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Der kjubh Kunstverein freut sich, am Donnerstag, dem 06.04.2006, von 19 bis 22 Uhr, eine Ausstellung mit klassisch montierten Fotocollagen sowie mundgeblasenen Glasobjekten von Nada Sebestyén zu eröffnen. Die Künstlerin ist 1968 geboren, sie lebt und arbeitet in Berlin. Nach ihrem Kunststudium in Braunschweig und Berlin, als Meisterschülerin von Christiane Möbus, hat sie mehrere Stipendien erhalten. Ihre Arbeiten sind in Einzel- und Gruppenausstellungen in Berlin und im Ausland gezeigt worden. Mobilität und Sesshaftigkeit sind Gegenstand der Arbeiten von Nada Sebestyén. In Performances, Plastiken, Fotocollagen und Diaserien thematisiert sie die Frage: Wo, wann und wodurch wird der Mensch heimisch? Von 1991 bis 1997 entwirft Sebestyén Objekte, die zwischen der Funktionalität von Mobiliar und der zweckfreien Ästhetik von Plastiken changieren. Diese sind einem fiktiven Bewohner ihrer Kunsträume gewidmet, genannt Oblomov – wie der Held des 1859 erschienenen gleichnamigen Romans von Iwan Gontscharow, der sich angesichts der Überforderung durch den sozialen Wandel im Kontext der Industrialisierung zum konsequenten Rückzug ins Private und für das Nichtstun auf seinem Wohnzimmersofa entscheidet. Wie hier den Verweis auf die Globalisierung, enthalten auch alle weiteren Werke Sebestyéns Bezüge zu aktuellen gesellschaftlichen Themen wie kulturelle Identität oder Migration und befassen sich gleichzeitig mit archaischen Grundtypen menschlichen Behaustseins. Nach einem New York-Aufenthalt gründet sie 1999 das Modelabel NADA und entwirft Umhänge, Capes, Röcke, Hosen und Umhänge, die verschiedene Gestaltungsprinzipien aus Mode, Kunst und Design verbinden: Gegenstände, die ein temporäres Zuhause schaffen wie Zelte und stabile Kleider, z. B. aus Segeltüchern oder Zeltplanen, strapazierfähigen Materialien mit Gebrauchsspuren, hergestellt für den mobilen Einsatz. So schneidert sie aus Umzugsdecken eines New Yorker Speditionsunternehmens zeltartige Mäntel, so genannte "Moving Clothes", die als schützende Haut und flexible Behausung gleichermaßen funktionieren. In plastischen Arbeiten aus zusammengesetzten Kleidungsstücken unterschiedlicher Herkunft werden die den Geweben innewohnenden Erinnerungen, ihre Beziehungen zu Personen und Umgebungen, denen sie einst zugehört haben, in neue Bezüge gesetzt – untereinander und mit dem jeweiligen Umraum. Sebestyéns textile Objekte vereinen Schmuck- und Schutzfunktion, verknüpfen die moderne westliche Vorstellung vom weltläufigen Kosmopoliten und die uralte östliche Tradition von Nomadentum. Auf zahlreichen Reisen nach New York, in die Türkei, nach Ghana, Pakistan, China, Ägypten und in die Mongolei beschäftigt Sebestyén besonders das Verhältnis von Heimat und Fremde, das wechselseitige Erleben kultureller Differenz. Ziel ihrer künstlerischen Inszenierungen dieser Reiseerfahrungen ist weniger den eigenen Blick auf das Fremde zu thematisieren, als vielmehr den Blick, mit dem die Fremden zurückschauen: "Das Fremde zu betrachten, bedeutet immer, als Fremder betrachtet zu werden." Ständig unter Beobachtung zu stehen, als andersartig wahrgenommen zu werden, erzeugt die Verunsicherung eines Kindes, das Anpassungsleistungen erbringen und erst erlernen muss, welcher Verhaltenskodex, welcher Kleidungscode und welche Kommunikationsweise angemessen ist.

Während eines Arbeitsstipendiums 2000 in Istanbul schafft sie die Fotocollagen der Serie "Neubau" von bis zu 120 cm Größe, Entwürfe für bewohnbare Strukturen in erdachten Landschaften, die aus Aufnahmen in Ägypten, Kreta und Brandenburg montiert sind. Kulturelemente – Häuser, Unterstände, tiefe Baugruben oder zerklüftete Fassaden und Naturversatzstücke aus Gebirgen, Gewässern oder Wüsten werden kaleidoskopartig kombiniert: Die Machart der Collagen entspricht der von so genannten "Gecekondu", zusammengebastelte Hütten, die im Zuge der explosionsartigen Bevölkerungsentwicklung durch Zuwanderer aus dem Osten am Stadtrand von Istanbul entstehen. Nach und nach werden diese zunächst temporär gedachten illegalen Behausungen zu soliden Häusern und dauerhaften Wohnstätten gewandelt und schließlich von der Stadtverwaltung legalisiert. Dieser Vorgang ist zugleich Thema und Arbeitsprinzip im Werk von Nada Sebestyén: Dem Entstehungsprozess der Hütten analog erwächst das Patchwork ihrer Collagen. In einer Mischung aus Dokumentation und Neukonstruktion von Lebensräumen werden Bildräume konstituiert, die auch jenseits aller inhaltlichen Konnotationen als abstrakte Kompositionen funktionieren. Tiefenräumliche Staffelungen und farbliche Rhythmisierungen verleihen diesen mal stärker graphische, mal eher malerische Qualität. Perspektivische Brüche innerhalb der Landschafts-Hybride ohne die Möglichkeit eindeutiger geographischer Zuordnung geben ihnen den Charakter von hyperrealen Traumlandschaften, die weniger Utopien als wertfreie Entwürfe sind. Oft wird eine Atmosphäre der Geborgenheit von der Tatsache konterkariert, dass die gesamte Szene frei im Raum schwebt, ohne feste räumliche Verankerung. Die Kombination vielfältiger Bildfragmente wird immer gebunden durch formale Parallelen, wie z.B. der Entsprechung des Faltenwurfs einer Stoffdecke und dem wellenförmigen Verlauf einer Mauer. Da der Bildaufbau frei von eindeutigen narrativen Aspekten bleibt und sowohl perfektionierte als improvisierte Wohnformen zitiert, enthebt er sich vollkommen der Romantisierung des Elends in pittoresken Armutsszenerien. Der Ausgleich von heterogenen und verbindenden Elementen verleitet das Auge in einer Art "Escher-Effekt" zur Suche nach Vertrautem im Fremden, dem man auch auf Reisen in den Parallelen mit dem Bekannten, in den Möglichkeiten der Ein- und Zuordnung nachspürt. Andererseits formalisieren die perspektivischen Brüche die Vielfalt möglicher Blickwinkel und Wahrnehmungsweisen im Blick auf das Fremde. Auch in den neueren Fotocollagen der Serie "Jetzt weiß ich wo" findet ein verunsicherndes Spiel mit der Perspektive oder den Dimensionen statt, aber es treten die architektonischen Elemente zurück, vermehrt bevölkern Menschen die Szenerie. Die Bilder sind bunter angelegt, Lichtstimmungen, Farbreflexe, Schattierungen spielen eine größere Rolle. Allgemein erscheinen sie gegenüber den älteren Arbeiten inhaltlich "heimeliger". Möglicherweise spielt dabei Biographisches eine Rolle, wie auch in den Glasarbeiten: Die mundgeblasenen bauchigen Glasgefäße von Nada Sebestyén besitzen gewollt unperfekte Konturen und unruhige Farbverläufe, sind gesprenkelt und meliert. In bewusster Vermeidung von Symmetrie verleiht die Künstlerin ihnen krummbeinigen Halt auf drei Beinen und die Anmutung von Lebewesen. Ihr Titel "Schatz" – oder in der Gruppe auch "Herde" – ist Anspielung auf Sebestyéns jüngste Reise in die Mongolei. Die vasenähnlichen Gefäße erinnern an die Tiere der Mongolen, die in übertragenem Sinn als Nahrungsquelle auch Schatz und Gefäß für ihre Halter sind. Wichtiger aber ist für die Künstlerin die Wertschätzung, die in dem Titel Ausdruck findet, denn sie hat auf dieser Reise "etwas sehr Bedeutendes" für sich gefunden. Ebenso zeugt der Titel ihrer Serie "Jetzt weiß ich wo" davon, dass ihr Unterwegssein sie zu einer Erkenntnis geführt hat, die für Sebestyén jedoch nicht Stillstand bedeutet. Wie die Reisebewegungen der Nomaden kein festes Ziel haben, sondern dieses immer nur Zwischenstation und Ausgangspunkt für neue Suchbewegungen ist, erstrebt sie weiterhin den spannungsvollen Zustand "überall zu Hause sein zu können, nicht nirgendwo zu Hause zu sein".

Birgit Laskowski

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Nada Sebestyen
"Jetzt weiß ich wo"