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Für. Adorno I kiss your little hand, Madame, And dream I kissed your lips, you see I’m so gallant, Madame, on such a night as this

Ich werde nie vergessen, wie ich meinen Professor für Philosophie in lautes Lachen versetzte, als ich ihm und dem Seminar den Sinn des Höhlengleichnisses von Platon zusammenfasste. Jahre später las mein ehemaliger Professor vor einem willkürlichen Publikum des Abends in der Galerie vor. Er wählte die ersten sieben Briefe von Seneca. Wir erlebten unter der Haut den Hauch einer Idee, der in der Bildenden Kunst wesentlich ist.

Nader Ahriman und ich lernten uns kennen, als ich mein Studium beendete und er zusammen mit Michel Majerus, Franz Ackermann, Stephan Jung und anderen in Berlin für ihre Malerei bekannt wurde. Während Michel mit seinen großformatigen Pop Art Bildern die deutsche Malereiszene verwirrte, Franz von seinen Reisen die mental mappings mitbrachte, malte Nader figurative Bilder, die zunehmend kryptischer wurden, in akademischer Manier und mit Titeln wie »Aristoteles auf dem Eismeer« oder »Begegnung zwischen französischem Strukturalismus und deutschen Existentialismus« (beide 1996). Sperrige Motive auf großen Formaten, weder wild noch gestisch, sondern unzugänglich und mechanistisch, gemalt damals noch in schnelleren und breiten Strichen. Heute sind Naders Bilder verfeinert, die Räumlichkeit ist abstrakter geworden. Zeichnerische Schraffuren erzeugen Tiefe, Naturnachahmung verschwindet zunehmend und macht einem fast hysterischen Manierismus Platz. Die Bühne ist dadaistisch schwebend, von dunkler Ernsthaftigkeit und doch metaphysisch surreal lachend die Figuren, die wie zusammengesetzte Kostüme fast in Auflösung sind, verbunden durch einen Hauch von Fäden, wie Perlen aus Geometrie und Utensilien, die an Geräte aus dem Labor erinnern, in poetischer Atmosphäre – und Einsamkeit. Antigone, die Schwester und Mutige trägt wie ein Reptil Eier auf dem Rücken und wird fast von Sci-Fi Architekturen erdrückt. Nicht nur Achilles’ Ferse sondern der gesamte Unterschenkel und die Fußsohle werden jeweils von einem frischen Baguette gestützt und sie schweben durch das Nichts.

Die Anekdote um das Liebespaar Rimbaud und Verlaine, die sich im Drogenrausch streiten, so, dass Verlaine Rimbaud in die Hand schießt und für Jahre ins Gefängnis muß, sieht bei Nader wie ein leidenschaftlich-dadaistisches Rollenspiel aus. Welches seiner Bildchiffren auf welchen Sachverhalt aus der Philosophie oder Begebenheit der Literatur anspielt, kann man sich erarbeiten. Muß man aber nicht. Die Phänomenologie des Geistes von Hegel, die Gestalt des Selbstbewusstseins nach Hegel und die Negation, der Dualismus (der Widerspruch zwischen These und Antithese) sind wesentlich in Naders Denken. Während Nader sich lesend, zeichnend und malend immer weiter in die Welt der Geisteswissenschaften vertiefte, so weit, dass die Hegelianischen Philosophen in ihm einen ihresgleichen ansehen, blieb mein philosophischer Exkurs oberflächlich. Und trotzdem! Da ist ein magischer Sog wie eine Ahnung, die aus Naders Malerei wirkt. Nader gewährt dem Geistigen seinen Stellenwert.

In den frühen 90er Jahren bekam ich ein Blatt geschenkt. Es war von Nader. Das Aquarell zeigt im Hintergrund eine Frau, die ruhig aus dem Bild den Betrachter ansieht, auf ihrem angedeuteten Unterarm liegt der Kopf eines Mannes. Salome und Johannes der Täufer. Seine Augen sind geschlossen, der Kopf ist mit wenigen schwarzen Strichen gezeichnet. Daneben: »I kiss your little hand, Madame ...« Über allem: »Für. Adorno«. Nichts stimmt. Der Enthauptete begehrt die Mörderin, die still bleibt. Was hat das mit Adorno zutun? Seit Jahren ist diese Zeichnung für mich rätselhaft geblieben. Höchstwahrscheinlich erschließt sich mir nicht der gemeinte Kontext, aber er fehlt mir nicht. Mir gefällt die Spalte, über die ich nichts weiß, der Widerspruch – in der Kunst und im Leben. Dieses Blatt war Anlass über das Verhältnis von Männern und Frauen nachzudenken, über Täter und Opfer, über Lust und Leidenschaft, über Anwesenheit und Abstinenz. Oft habe ich mir den stummen Blick der Frau angesehen und mich gefragt, was Gewalt und Freiheit sind.

Giti Nourbakhsch

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Nader Ahriman
Transzendentale Denkfiguren