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Reisebürogalerie, Diko Reisen

Natalie Häusler, Delia Jürgens, Stella von Rohden “Cracked Lips”
06.09.2019 - 19.10.2019

Cracked Lips, stellen Sie sich bitte eine Landschaft vor. Landschaft, präsentiert sich ebenso unabhängig in den gezeigten Arbeiten von Natalie Häusler, Delia Jürgens und Stella von Rohden wie in ihren Vorstellungen. Ein Erdbeben in Tel Aviv, direkt am Meer hat mir 15-jährig eine Erfahrung ermöglicht, nach einem kurzen Schrecken, unsere Erde als schwerelose styroporartige, sich zum Himmel aufbäumende Schichtung wahrzunehmen. Im freien Spiel sich aus jeder Geschichtseinschreibung zu lösen, um wenn es Zeit wird zurückzufallen, den Blick in verdichtete undurchdringliche von Spuren gezeichnete Krustungen zu vertiefen, im Sinne von Mythenverdichtung oder freier Poesie. Der Titel Cracked Lips, inspiriert von einer Gedichtszeile aus "Apples and Water" von Robert Graves, dem Kontext eines Kriegsgedichtes entlehnt, nach Rauhheit schmeckend und in ganz anderen Zusammenhängen erlebbar. Gehe ich weiterhin mit Robert Graves und davon aus, dass mit Medusas Enthauptung griechische patriarchalische Strukturen Pre-Hellenistische Götterrituale ablösten, oder mit Medeas dämonisierter Revolte ein Bild für den Übergang vom Matriarchat zum Patriarchat geschaffen wurde, schlummern im Verborgenen, Kräfte, die es zu aktivieren gilt. Wenn Stella von Rohden auf ihren Reisen "Medeas Traces", ein Videotagebuch erstellt und eine vom Wind in Bewegung gebrachte Maske die Küstenlandschaft des Schwarzen Meeres zart umspielt, wird der Mythos im Jetzt belebt. Geografische Stationen, wie die Prometheus-Höhle in Georgien, werden nach mythologischen Überresten abgetastet und den inneren Bildern der Künstlerin übergeben, wenn in und mit ihren Visualisierungen, Ausblicke jenseits von verfestigt geglaubten Strukturen entstehen. Sie entlockt ihren Bildern vielfältige Impulse und Narrationen, wenn diese immer wieder aufs Neue ungeahnte Konstellationen der Präsentation behaupten. Die skrupellosen Argonauten, die nun die nervösen Wellen zögernd unter sich erobern, wandeln sich bei Stella von Rohden zur künstlerischen Trägerfrage, die zwischen einer zarten Membran und einer hartnäckigen Projektionsfläche pulsiert. Daraus entstehen große Bildräume, die mit jeglichen aufgeladenen Symbolen und falschen Göttern agieren.

Delia Jürgens lässt Oberflächen von dem Sprechen was nie sichtbar sein wird. Ihre "Fragmented Landscapes" werden zum strukturierenden Universum. Mir erzählen sie neben fraglichen globalen gesellschafts-politischen Zuständen unserer Welt, von Malereien und Wahrnehmungsgeschichten. Hineinschieben in die Zwischenräume physisch und psychisch, eine dynamische Bewegtheit implizierend. In der Ausstellung können für Momente Teppiche und Schlafsäcke sichtbar werden, bevor sie ihren Status von industriellem Produkt wechseln und sich ihrem Ursprung entziehen. Die Künstlerin widersetzt sich der Kraft des Diskurses, indem sie sich jeglicher affirmativer Definition enthält und den Möglichkeiten eines ständig wandelten Prozesses öffnet. Ihr Zugang zum Malerischen wird über das Spannungsfeld von Grund und Figur ermöglicht, die Manipulation des Materiellen und des Immateriellen, das permanente Auffächern und die Zeitlichkeit des Lichtes und der Rhythmen. Ein Weg in die Monochromie, ich denke an Ad Reinhardt im Sinne seines weit gefassten Verstehens von Zusammenhängen, jenseits des Nachweis- und Sichtbaren und an eine sinnliche Herauslösung aus vorgegebenen Sinnzusammenhängen der konkreten Poesie. Mit dem Modus Operandi unterschiedlicher Realitäten schichtet Delia Jürgens nun virtuelle Bilder und vielfältige Materialien zu unbekannten Existenzformen. Eine politische Sicht auf Geschichte und Metaphysik hält poetische Energie. Natalie Häusler spricht von einem "immersiven Environment", wenn ihre Arbeit wie hier in der Reisebürogalerie das Oberlicht und die dort angrenzende Wand im Innen- und Außenraum besetzt. Es ist ein ökopoetischer Ansatz, der uns über das Formale und Architektonische hinaus führt und die reaktiven Prozesse des Menschen und seiner Umwelt in den Blick nimmt. So erweitert, kann ich die abstrakte Malerei und Schrift auf perforiertem Aluminium und Glas, eine Aktivität zwischen einem gelenkten über Leserichtungen geführten und die Weite einer Fläche erfassenden Blick, als Visualisierungen eines Denkprozesses verstehen. Das 3-dimensionale Bild bringt mich dazu, trotz Wort und scheinbarer Repräsentation noch spezifischer auf ihr Medium einzugehen. Jegliche Illusion einer Wiedererkennung vertreibend, verhält sich ihre Arbeit einer Arabeske gleich, schlängernd, organisch und ungreifbar. Eine Hypothese mit eigenem Maß. Lücken schaffen Raum für ganz neue Kontexte, wenn Natalie Häusler angeregt von experimentellen botanischen Texten, wie „The Botanic Garden“ von Erasmus Darwin (1791) und „The Sensitive Plant“ von Percy Bysshe Shelley (1898), die eine Verbindung von Sexualität oder Psyche und den Pflanzen herstellen, auf eine Verflechtung anspielt. Im Sinne eines verwobenen Netzwerkes abstrakter Malerei und textueller Ansätze erscheint ihre Position in fragmentierten Räumen der Zeitgenossenschaft. Die Argonauten sind angekommen, immer noch brechen sich Wellen, die Landschaft reißt auf.
Cracked Lips Frances Scholz