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Die Geschwindigkeit hat im Zeitalter der Medien eine neue Dimension erreicht. Zuerst waren es die Maschinen, die eine neue Phase der Rasanz eingeleitet haben. Eisenbahn und Dampfschiff veränderten den Blick auf die Welt ebenso wie die Rationalisierung der Arbeit. Nach der Industrialisierung haben die Medien, besonders die Bild- und Kommunikationsmedien (Fotografie, Telegrafie, Phonografie), die Welt weiter beschleunigt und zwar in einer Weise, wie es bis dahin unbekannt war. Die Geschwindigkeit geriet schließlich jenseits des Blicks, weil zeitliche und räumliche Intervalle ausgelöscht waren. Der Fluß der Bits auf der sogenannten Datenautobahn ist nicht mehr mit menschlichem Erfassungsvermögen nachvollziehbar, die Welt wurde vorgeblich zum Stillstand gebracht. Tatsächlich wurde sie zu schnell, um wahrgenommen zu werden, ähnlich wie der Film vor Jahrzehnten zu täuschen begann, als er 24 Bilder in der Sekunde vor das träge menschliche Auge projizierte.

Die Geschwindigkeit in der Kunst ist ein Thema der Moderne. Die historische Avantgarde, allen voran der Futurismus, sah im Schnellen die Vision einer Zukunft verwirklicht, die er leidenschaftlich anpeilte. Körper, Maschine und Rasanz sollten nach diesen waghalsigen Ideen untrennbar ineinander übergehen, man bereitete eine neuen "Menschen mit Ersatzteilen" vor, der das Schnelle als rauschhafte Erfahrung erleben sollte. (Marinetti) Der Automobilist, blind vor Erregung, tötet den Raum, die Landschaft wird ihm zum Film, er rast, Schrecken verbreitend, auf den Straßen der jungen Metropolen. Er will Erster sein, denn das Rennen ist auch ein Anrennen gegen die Gesellschaft, gegen das persönliche Empfinden, gegen sein eigenes Menschsein. Marinetti und seinen Gesinnungsgenossen entglitt das Schnelle, weil die Maschinisierung des Körpers durch die beschleunigte Beschleunigung, die Geschwindigkeit der Medien, anachronistisch geworden war.

Die Kunst der Gegenwart sieht in der Rasanz, die die Medien erbrachten, nicht die herbeigesehnte Erneuerungskraft wie der Futurismus. Sie erkennt, daß Geschwindigkeit ihren utopischen Gehalt verlieren mußte, weil diese an die Beweglichkeit des Körpers und die Wahrnehmungsleistung der Sinne gebunden ist.

Sie widmet sich daher nicht der Geschwindigkeit selbst, sei sie materiell oder immateriell, sondern den Bedingungen ihrer Wahrnehmbarkeit. Die jungen internationalen Künstler, die der Grazer Kunstverein in die dafür adaptierten Räume am Lendkai 83 eingeladen hat, machen Geschwindigkeit zu einem erfaßbaren Phänomen. Sie zeigen das Sichtbare und steigern die Wirkung des Schnellen. Sich per Auto oder Flugzeug fortzubewegen ist um ein vielfaches schneller als eine Fahrt mit der Achterbahn, und wirkt doch um vieles langsamer.

Der französische Künstler Xavier Veilhan (F) bringt Scheiben durch einfache Motoren zum Kreisen, wobei er die Bewegung durch gemalte Linien verstärkt. Fiona Banner (GB) stellt eine Explosion in den Mittelpunkt ihrer Arbeit: "Fire Work" visualisiert die Plötzlichkeit und das Erschrecken, das mit unwahrnembarer Schnelligkeit einhergeht. Martin Kersels (USA) aus Los Angeles zeigt Fotos, auf denen zu sehen ist, wie er seine Freunde durch die Luft wirft. Dieses einfache kindliche Vergnügen des Fliegens verzichtet auf jegliche technische Unterstützung und bezieht das Geschwindigkeitsempfinden auf das körperliche Erleben selbst. Diese körperliche Erfahrung von Geschwindigkeit ist auch für die Österreicherin Flora Neuwirth (A) Ausgangspunkt für ihre Arbeit, in der sie Wartesituationen inszeniert in denen sie den Besuchern, die sich im Farbraum bewegen FNCOCKTAILS anbietet. Takashi Murakami aus Japan läßt ein schrilles, aufblasbares Comicwesen durch die Luft schwirren.

Wie die Bewegung so zeigt auch das Anhalten der Geschwindigkeit, das Verharren im Blick, Abläufe und schafft damit ein Repertoire an Zugriffsmöglichkeiten, das man bereits verloren glaubte. Der Brite Julian Opie konzentriert in einer bilderbuchartigen Inszenierung einer städtischen Ansicht, flüchtige Bilder zu einem schemenhaften Ganzen. Die Geschichtlichkeit von Geschwindigkeit befragt Neo Rauch (D) in großformatigen Bildern, die unter Anlehnung an die Ästhetik des Futurismus die Maschinengläubigkeit in Frage stellen. David Thorpe (GB) bedient sich der altmeisterlichen Technik des Scherenschnittes, um Bilder zu entwerfen, die nostalgisch und ironisch den Fortschrittsgedanken der 50er in Erinnerung rufen.

Eva Maria Stadler, Thomas Trummer Pressetext

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Need For Speed // steirischer herbst 97
Konzeption: Eva Maria Stadler, Thomas D. Trummer, Bart de Baere
Ort: Lendkai 83 (ehemalige AVL)

Künstler: Fiona Banner, Fischli / Weiss, Martin Kersels, Takashi Murakami, Flora Neuwirth, Julian Opie, Neo Rauch, David Thorpe, Xavier Veilhan