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Sieben Künstlerinnen und Künstler aus Budapest hatte der Kunstverein Neuhausen (bei Stuttgart) eingeladen, um in einem leerstehenden Supermarkt ihre künstlerischen Positionen vorzustellen. Beöthy Balázs, Kisspál Szabolcs, Kriszta Nagy, Hajnal Németh, András Ravasz, Pál Szacsva und Gyula Várnai eigneten sich innerhalb weniger Tage den über fünfhundert quadratmetergrossen Konsumraum an, indem sie ihn mit Video- und Diaprojektionen, Objekt-Sound-Installationen, mit einer Lichtinszenierung, Fotoarbeiten und einem „billboard“ neu strukturierten. Obwohl einige Arbeiten am Ausstellungsort entstanden sind, wurde von der Ausstellungsleitung bewusst auf eine site-specifity verzichtet. Das bedeutet, dass einmal abgesehen von der Einbeziehung einzelner architektonischer Situationen oder der Wahl eines bestimmten Platzes wie es z.B. Szabolsz Kisspal, Guyla Varnai oder Szacsva y Pal für die Präsentation ihrer Arbeiten vornahmen, der Ausstellungsort selbst nicht durch die Arbeiten kommentiert, illustriert oder persifliert wurde. So konnte der Ausstellungsort seinen offenen, unprätentiösen Charakter behalten - und die Fragestellungen der ungarischen Künstler und ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten (Kunst)-Szene als lebendiges Implantat erfahrbar gemacht werden. Die ausgewählten Künstlerinnen und Künstler gehören der (Kunst) Szene an, die nach der politischen Wende Ungarns 1989/90 ihre künstlerischen Fragestellungen unter dem Eindruck der sich rasch entwickelnden Konsum-und Informationsgesellschaft sowie der digitalen Bilderzeugung herausbildeten. Dabei handelt es sich um eine Gruppe von Künstlerinnen und Künstler, die im Umfeld von C3, dem Soros Center für Kultur und Kommunikation und/oder Studio Galerie in Budapest arbeiten und deren künstlerische Formulierungen sich an ähnlichen ästhetischen Schemata und Erlebnisangeboten orientieren. Die meisten von ihnen befassen sich mit der Erzeugung, mit dem Umgang und mit der Wahrnehmung von Bildern und Informationen, und sind folglich eher im 2-als im 3- dimensionalen Bereich tätig. Die Bezugsquellen für die künstlerische Praxis sind u.a. in der Werbung, in der Musik- und Diso-Club-Kultur oder in der Kunstgeschichte und Naturwissenschaft zu suchen. Es handelt sich dabei generell um Informationsmaterial, das selbst schon medial aufbereitet und vermittelt ist. Charakteristisch für die künstlerische Haltung ist ein freier, mitunter gar spielerischer Umgang mit Bildern, Medien, Sounds und Zeichen, sowie mit unterschiedlichen künstlerischen Strategien, die je nach Bedarf gewechselt werden. Die Motive der Bilder sind dabei nicht unwichtig, manchmal sind sie für die Selbstdarstellung und Eigen-Promotion sogar bedeutend, wesentlicher ist jedoch die Art und Weise, wie mit Bildern und Informationen umgegangen wird, wie sie durch Mix und Remix, durch Deutung und künstlerische Praxis erweitert, angepasst und verwandelt werden. Die in einigen Arbeiten enthaltene ironische Distanzierung und kritische Hinterfragung der medialen Bilderflut ist ebenso wesentlicher Bestandteil dieser künstlerischen Praxis ,wie die mitunter unprätentiös und provisorisch wirkende Anordnung der Bilder und Gegenstände im Ausstellungsraum. Diese heterogen Struktur durchzieht nicht nur die ganze Ausstellung, sondern ist auch bestimmend für die Werke der einzelnen Künstlerinnen und Künstler. Andras Ravasz zum Beispiel unterlegt ein Symbol der japanischen Techno-Kultur der neunziger Jahre, (ein monumentales pneumatischen Baby- Objekt mit Vinylmund ) mit dem Musiktitel „Le patron est devenu fou“ einer französischen Popband. Parallel dazu sind von ihm grossformatige Farbkopien zu sehen, in denen er digitale Effekte wie z.B. slow motion, durch analoge Bildherstellungsverfahren simuliert. Obwohl er sich mitunter auch computergenerierter Bilder bedient wie bei dem Leuchtobjekt „I am sitting on top of the world ... think nothing“ 1998/99, plädiert er für ein Arbeitsprinzip der „Langsamkeit“, das eher durch analoge Verfahren realisiert werden kann. Auf die Erlebnis- und Wahrnehmungskultur der Clubszene spielen auch die Video-Clips von Balázs Beöthy an, die mit der wellness verheissenden Sprache der Werbung arbeiten und mit softig-cooler Chillout-Musik unterlegt sind. Für die Ausstellung im Supermarkt hat Balázs Beöthy jedoch zwei Tapes ohne soundtrack vorbereitet, deren Bildrhythmus und Bildgliederung jedoch eine nahezu percussionsartige Wirkung besitzen. Bei „Unidentified Plant I und II“ handelt es sich um digital aufbereitetes Abfallmaterial von einem anderen geschnittenen Video. Beide Tapes zeigen dasselbe Motiv, das sich nur in Bildeinstellung, Struktur und Rhythmus unterscheidet. Während sich im Clip I der Bildauschnitt in rhythmischen Intervallen von der Totalen zur Grossaufnahme der nicht identifizierbaren Pflanze verengt - wird die Fruchtkapsel derselben Pflanze in Video- Clip II symmetrisch gespiegelt und optisch aufgeblättert, so dass die Illusion von Öffnung und Tiefenräumlichkeit entsteht. Durch die dabei entstehenden kaleidoskopartigen / fraktalenStrukturen werden psychedelische und soundartige Effekte erzeugt. Mit seiner Paraphrase auf Claude Monets „Nympheas“ zog sich der ehemalige Mathematiker und Physiker Gyula Várnai in das Kühlhaus der Metzgerei zurück. Verbunden mit einem ganglienartigen Netzwerk von Kabeln, schweben helle Lichtpunkte im abgedunkelten (Kühl-)Raum und erzeugen eine poetische, märchenhafte Atmosphäre. Eine surreal-fiktive und rätselhafte Situation, die voller Andeutungen und Versprechen steckt, beschwört Hajnal Németh in ihrer digital aufbereiteten Fotoarbeit mit dem Titel „Homemade Trance“1999/2000, in der ein weibliches Beinpaar über dem Wasserspiegel einer Badewanne schwebt. Rätselhaft und in der Bedeutung offen bleiben ebenfalls die Video-Sequenzen „Yo Channel“ und „The Wolf of Dreams“ sowie die noch in analogen Verfahren hergestellten Farbfotografien mit dem Titel „Life-Style- less (in East and West)“. In der zweiteiligen Fotoarbeit ist jeweils ein männliches und weibliches Beinpaar zu sehen, deren Anordnung und Konstellation jedoch auf unterschiedliche Handlungen (pflegende und sexuelle) schliessen lassen. Die Künstlerin belässt es auch hier wieder bei Andeutungen und enthält sich sowohl einer moralischen Wertung als auch einer eindeutigen Zuordnung der Lebensstile. Mit den Mitteln der Selbst-Werbung und mit deutlichem Körpereinsatz arbeitet hingegen die Künstlerin und Popsängerin Krizta Nagy. Zumeist bedient sie sich grossformatiger billboards, die ähnlich der Werbung aus Bild/Image und Sprache aufgebaut sind. Ihre Self-Promotion besteht zumeist aus Rollenbildern, die mit einer Ich-Botschaft versehen sind. Auch in dem aufwendig bearbeiteten „billboard“ , das im Kunstverein Neuhausen zu sehen ist, werden - nach dem Vorbild der Konzeptkunst - Image und Text einander gegenübergestellt. Das Image zeigt Kriszta Nagy in der Rolle der „femme fatale“, die sich nach dem Vorbild von Unterwäschenwerbung von der Kamera ablichten lässt. Auf ironische Weise wird auch hier wieder mit Rollenerwartungen und -zuordnungen sowie mit Pseudoidentitäten gespielt, indem der Text verheisst: I am a contemporary painter. Krizta Nagys Selbstinszenierungen spielen mit Pop, Girlism und Sexiness sowie mit schönen attraktiven Oberflächen und sind aus feministischer Sicht absolut „political incorrect“ . Szacsva y Pal und Szabolcs Kisspal reflektieren in ihren Arbeiten die Entstehungs- und Wahrnehmungsbedingungen der durch Medien vermittelten Bilder. Auf die zunehmende Bilderflut reagierte Szacsva y Pal schon 1997 mit einem Anti-Media Manifesto und einer Methode der Bild-Projektion, in der sich Bildinformationen palimpsestartig überlagern und damit auslöschen - oder nur noch als dekonstruierte Bildgefüge in Erscheinung treten. Die Aufsplitterung eines Bildkontinuums zeigt Szacsva y Pal im Untergeschoss des Supermarktes. Dort schuf er eine Situation aus Fundstücken und Abfallmaterial, die von der Projektion einer Barockarchitektur überlagert werden. Die mit den Projektionen verbundene Methode der Dislocation, Ent-Kontextualisierung und Mehrfachcodierung soll ebenfalls auf eine verbreitete Strategie in der Medien- und Informationsgesellschaft aufmerksam machen. Dass es sich bei den meisten Medien um Apparaturen und Anordnungen handelt, die in unsere sinnliche Wahrnehmung eingreifen, sie verändern und neu strukturieren wird anhand von Szabolcs Kisspals Video-Installation be-greifbar gemacht. Die Video-Kamera, die hinter dem Strassenfenster, dem traditionellen Beobachtungs- und Informationsort platziert wurde, wird hier zunächst als reines Beobachtungsmedium eingesetzt. Das Objektiv der Kamera ist dabei auf die Strassenachse zum Schloss und auf die wehende blau-weisse Kunstfahne von Kisspal Szabolcs hin ausgerichtet. Das im Monitor realzeitlich wiedergegebene Bild zeigt jedoch kein reales Abbild, sondern ein farbverkehrtes Negativ-Bild der Aussensituation mit Fahne. Die Umkehrung der Farbgebung offenbart die verborgene schwarz-rot-goldene Farbskala der Fahne, die erst durch die Inversion des von der Kamera aufgenommenen Bildes sichtbar gemacht wird. Die Video-Installation von Szabolcs Kisspal stellt zwei Wahrnehmungssysteme einander gegenüber: das des erkenenden Organismus und das des Mediensystems - und macht dabei die Diskrepanz zwischen unmittelbar sinnlicher und mediengenerierter Wahrnehmung der Wirklichkeit sowie deren Relativität deutlich.

Susanne Jakob, Mai 2000

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Positionen ungarischer Kunst der 90er Jahre

mit Balazs Beöthy, Szabolcs Kisspal, Kriszta Nagy, Hajnal Nemeth, Andras Ravasz, Pal Szacsva, Gyula Varnai