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Über die junge türkische Kunstszene Necmi Sönmez

Die türkische zeitgenössische Kunst ist auf einem neuen Kurs. Die ständig wachsende Reputation der „International Istanbul Biennial", der regelmäßige Auftritt türkischer Künstler und Künstlerinnen in wichtigen, internationalen Ausstellungen (documenta, Manifesta, Biennalen, Carnegie International), die Entstehung international ausgerichteter privater Kunstmuseen in der Türkei (Elgiz Contemporary Art Museum, Istanbul Modern, SANTRALISTANBUL, Pera Museum, Sabanci Museum) und der durch diverse Stipendien (DAAD, Transfer) geförderte Dialog zwischen deutschen und türkischen Künstlern haben hierzulande ein recht positives Bild der erst wenig bekannten „Kunstszene Türkei" etabliert. Die politischen Entwicklungen, die noch immer ungelöste Zypern-Frage und die problematischen Beitrittsgespräche zwischen der EU und der Türkei verleihen der türkischen Kunstszene eine zunehmende Aktualität.

Außerhalb von Istanbul gibt es in Städten wie Izmir, Ankara, Eskisehir und Diyarbakir eine interessante junge Kunstszene, die sich um die dortigen Kunstakademien und pädagogischen Institute gebildet hat. Die künstlerischen Produktionsverhältnisse in diesen Städten sind noch schwieriger als in Istanbul. In der Stadt Diyarbakir, die als wichtigste Metropole der in der Türkei lebenden Kurden gilt, hat sich in den letzten Jahrzehnten aufgrund ihren multikulturellen Eigenschaften eine spannende und lebhafte Kunstszene entwickelt. Treibende Kraft sind die Aktivitäten der Kunststiftung „Anadolu Kultur“, die aufgrund einer Initiative des Unternehmers Osman Kavala im Jahr 2003 entstanden ist. Die Stiftung bemüht sich um eine kulturelle Annäherung zwischen Kurden und Türken. Sie unterhält das Diyarbakir Sanat Merkezi (Diyarbakir Kultur Zentrum), kooperiert mit europäischen Kulturinstituten und hat ein Regionalnetz mit privaten kulturellen Einrichtungen benachbarter Staaten geknüpft. Die erfolgreiche Projektarbeit dieses Zentrums hat einen in der Geschichte der türkischen Republik einmaligen Kulturtransfer zwischen der anatolischen Provinz und den Metropolen im Westen der Türkei ermöglicht. Diese Aktivitäten haben die lokale Kultur aus einer langen Isolation befreit und besonders im Bereich der zeitgenössischen Kunst eine neue Ära ermöglicht. Die neue Kunstszene wird von ca. 40 kurdischen und türkischen Künstlerinnen und Künstlern bestimmt, die überwiegend mit neuen Medien, hauptsächlich Video und Fotograxe, arbeiten und entweder als Kunsterzieher an den staatlichen Gymnasien beschäftigt sind oder noch an der Dicle Universität Kunstpädagogik studieren.

Die von René Block kuratierte Ausstellung „Nicht einfach, die Welt in 90 Tagen zu retten“ untersucht mehrere Rexexionsebenen der jungen Künstlergeneration. Sie zeigt Künstler, die die widersprüchlichen Aspekte der eigenen Herkunft und jeweiligen Lebenssituation in der Türkei und in der Diaspora thematisieren. Fragen der individuellen Identität sind dabei auf das Engste verknüpft mit Politik, Religion und Geschlechterrollen, aber auch mit Stellungnahmen zum globalisierten System Kunst und seinen Marktmechanismen. Die eingeladenen Künstler bewegen sich zwischen parallelen Lebensräumen des Privaten und des Öxentlichen, des Unbeobachteten und des Überwachten und entwickeln im Spannungsfeld zwischen Anpassung und Autonomie ihre kritischen Arbeiten. Die Teilnehmer repräsentieren drei verschiedene Gruppen, die jeweils unterschiedliche Aspekte der jungen Künstlergeneration aufzeigen. Halil Altindere und Ali Kazma gehören zur Gruppe der Künstler, die in Istanbul leben und arbeiten. Eine zweite Gruppe besteht aus im Ausland lebenden Ku?nstlern (Köken Ergun, Nasan Tur, Ahmet OÅNgüt, Servet Kocyigit). In der Stadt Diyarbakir lebende Künstler (Fikret Atay, Sener Özmen, Erkan Özgen, Cengiz Tekin) bilden die letzte Gruppe. Ihre mehrheitlich kurdische Herkunft verbindet die meisten der teilnehmenden Künstler. Es ist wichtig zu betonen, dass die ausgestellten Arbeiten direkte ironische Bezugspunkte zu politischen Themen haben und die berechtigte Frage nach der „kulturellen Identität“ stellen. Die Teilnehmer der Ausstellung „Nicht einfach, die Welt in 90 Tagen zu retten“ thematisieren ihre komplexen Sozialisationen, die eine Mischung aus westeuropäischen und orientalischen Weltanschauungen und Lebenserfahrungen sind. Aus der Distanz untersuchen sie die Bedeutung von Verwurzelung und Entwurzelung, von Vertrautheit und Fremdheit.

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Nicht einfach, die Welt in 90 Tagen zu retten

Künstler: Halil Altindere, Fikret Atay, Köken Ergun, Ali Kazma, Servet Kocyigit, Ahmet Ogut, Erkan Özgen, Sener Özmen, Cengiz Tekin, Nasan Tur.