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Galerie EIGEN + ART Berlin

Nicola Samorì. In abisso

Ausstellung:
3. September - 31. Oktober 2020

Eröffnung:
Donnerstag, 3. September 2020, 17 - 20 Uhr

Die Beziehung Nicola Samorìs zu den Quellen seiner Bilder ist durchdrungen von einer kontinuierlichen Auseinandersetzung mit der Geschichte der bildenden Kunst, nicht lehrhaft, sondern substanziell. Die Arbeit als Maler und Bildhauer impliziert notwendigerweise die Konfrontation mit diesem Erbe, das heutzutage nur allzu oft als sperriger Ballast wahrgenommen wird. Samorì hat keine Angst vor der Vergangenheit und vor seinen Vorgängern. Er nimmt sie als Vorbilder in Besitz und nutzt sie, um einen notwendigen Weg der Erkenntnis und Selbsterkenntnis zu durchlaufen, benutzt sie als Instrumente, um ihre Sprache zu dekonstruieren und eine eigene Poetik zu begründen.

Die Suggestionskraft einer kunsthistorischen Ikone kann so stark sein, dass sie über die Jahrhunderte immer wieder neu bearbeitet wird, jedes Werk zu einem Baustein wird, der nach und nach die Elemente der Wiedererkennbarkeit verliert, immer mehr mit seinem jeweiligen Urheber eins wird und sich immer weiter vom Ursprungswerk entfernt. (...)

In den malerischen Arbeiten der Ausstellung arbeitet Nicola Samorì mit den natürlichen Fehlstellen in Marmor- und Onyxplatten, mit Aushöhlungen, Geoden und Aggregaten im Material. Die Figuren in seinen Bildern passen sich diesen Fehlstellen an statt sie zu kaschieren, mal werden sie zu Augen umgewidmet, mal lösen sie sich in Blumenblüten oder Gesichtern auf, dann wieder werden Brustwarzen nachempfunden. Die Motive entwickeln sich aus einem physischen Mangel oder einem Defekt der Natur und verweisen oft auf die Martyrien biblischer und kunsthistorischer Figuren: der Lukrezia, der Heiligen Lucia oder dem Hieronymus. Und wenn das Ursprungsmaterial makellos ist, wie im Falle der Santa Lucia in weißem Carrara-Marmor, dann ist es der Künstler, der dort mit seiner Bearbeitung einen Störfaktor, eine Anomalie einbaut: Wie bei einem chirurgischen Eingriff implantiert er natürliche Geoden in die orbitalen Hohlräume des Materials. Der Akt, der das Bild blendet, öffnet den Blick desjenigen, der es betrachtet für Neuinterpretationen des Kodex.

Ausschnitt aus einem Text von Chiara Stefani
Übersetzung aus dem Italienischen von Sabine Heymann