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Strukturen sind schon immer das besondere Interesse von Nicolaus Schmidt gewesen. In seinen frühen malerischen Arbeiten waren es die aus der Verwendung ungewöhnlicher Materialien und Werkzeuge resultierenden malerischen Strukturen. in der Cerro-Rico-Kunstaktion ergaben viele Tausend zu einem Berg aufgetürmte Blechdosen eine Plastik, deren Reiz sich aus der Zusammensetzung von unzähligen kleinen metallenen Formen ergab. Die Struktur als besonderes kunstspezifisches Interesse. Dagegen der Mensch, seine Ausstrahlung, seine Gesten, sein Äußeres, seine Individualität als Objekt eines tieferliegenden grundsätzlichen Interesses, die sind zwei gegensätzliche Pole.

Nicolaus Schmidt ist lange Zeit mit seinen malerischen Experimenten unzufrieden gewesen. "Die Farben, Bildstrukturen gingen ihren eigenen ¬formal durchaus interessanten Weg, ließen sich aber nicht mit meiner Absicht verbinden, den Menschen darzustellen." Erst in einer extremen Reduktion findet der Künstler eine Arbeitsmethode, in der er beide Interessenfelder verknüpfen kann. In seinen „Morphogrammen" sind die Formen menschlicher Körper zu sparsamen, farbigen Lineaturen reduziert. Im ersten Zugang scheinen die Morphogramme abstrakte, farbige Strukturenbilder zu sein. Aus den sich überlagernden, durchdringenden Linienstrukturen setzen sich beim Betrachten allmählich menschliche Formen, Körper zusammen. Genaue Begrenzungen dieser Körper lassen sich nicht ausmachen, das Auge ist immer wieder versucht, andere Teile der Lineatur mit der einmal identifizierten Figur zu verbinden, diese zu verändern. "Die Morphogramme sind ein Angebot an den Betrachter. Was dieser darin sieht, hängt von seiner Seherfahrung ab, von seinen Stimmungen, Interessen, aber auch vom jeweiligen Licht und der Umgebung. In den Morphogrammen gibt es eine Parallelität der Wahrnehmungsmöglichkeiten. Dasselbe Zeichen kann als Farb-Form-Wert wie auch als Bedeutungsträger wahrgenommen werden, der Betrachter kann bewusst zwischen diesen beiden Ebenen wechseln."

Die Möglichkeit des Ebenenwechsels scheint dem Künstler ein Grundanliegen zu sein. Die malerisch dargestellten Morphogramme setzen sich jeweils aus quadratischen Bildelementen zusammen. Jedes dieser Quadrate präsentiert eine eigene Komposition der Linien, ist ein eigenes Bild für sich. Durch die Aufgliederung lassen sich die Morphogramme sowohl als Ganzes, als auch in ihren konstituierenden Teilen wahrnehmen. Der Betrachter kann Quadrat für Quadrat die Bildstrukturen analysieren und dabei erstaunt feststellen, welch unterschiedlichen, teilweise gegensätzlichen Charakter die Lineaturen in den einzelnen Bildquadraten annehmen, obwohl sie sich doch zu einem einheitlichen Ganzen zusammensetzen.

Ausgangspunkt der Morphogramme ist ein zeichnerischer Prozess. In schnellen, spontanen Skizzen nach dem Modell erarbeitet Nicolaus Schmidt sich die zu Bildzeichen verdichteten Strukturen. "Entscheidend ist für mich der assoziative, künstlerische Prozess in der jeweiligen Situation. Die Zeichen, die auf diese Weise, abgeleitet aus der Form, aus der Ausstrahlung einer Person entstehen, scheinen mir, bei aller Reduktion, eine besondere Kraft zu besitzen, mehr zu sein als nur abstrakte Zeichen."

In der Entwicklung seiner Morphogramme seit 1989 tastet Nicolaus Schmidt die Grenzen zu verwandten Zeichensystemen ab. Während die ersten Arbeiten sich eindeutig auf den menschlichen Körper bezogen, so erinnern neuere Arbeiten auch an Piktogramme, "primitive" Bildzeichen, kaligraphische Darstellungen. Gerade durch die Beschränkung in der Wahl der Gestaltungsmittel einheitliche Pinselstärke, grauer Bildgrund und Rastereinteilung der Bilder erschließt Nicolaus Schmidt die Variationsbreite, die in den Linienstrukturen steckt. "Mit dem Begriff 'Morphogramm' wollte ich diese Wechselbeziehung ausdrücken: Einerseits Standardisierung in der schriftähnlichen Verwendung der Linien und andererseits Individualisierung als Grundmerkmal der vom Körper abgeleiteten Form mit ihrer unendlich variierenden Ausprägung.“

In den neueren Arbeiten beginnt Nicolaus Schmidt, die festgefügte Form des Gesamtbildes aufzulösen. Die farbigen Lineaturen materialisieren sich zu plastischen Formen, die direkt an der Wand arrangiert sind. Zwischen ihnen erscheint die Wandfläche. Die Beziehung der Linienstrukturen zwischen den einzelnen Bildelementen zueinander bleibt bestehen, aus der Malerei wird reliefartige Kompositionen. Dabei wird ein weiteres Merkmal der Morphogramme deutlich: diese definieren sich immer auch durch den sie umgebenden Raum. Erst in der Wechselbeziehung mit der sie umgebenden Fläche der Wand entfalten die Morphogramme ihre eigentümliche Wirkung. Die Lineaturen scheinen zu schweben, wirken bewegt, nicht nur innerhalb der Bildfläche, sondern auch bezogen auf den benachbarten Raum. Das Bild grenzt sich nicht als imaginäre Bild-Raum-Welt gegen die Fläche ab, sondern greift in diese ein, bezieht sich auf die Umgebung, prägt diese. Gerade die reduzierten, sparsamen linearen Zeichen erweisen sich dabei als fordernd. Die Morphogramme brauchen die sie umgebende Fläche als Bühne ihrer Sprache. Der Teufelhof zeigt seit 1991 die erste dieser reliefartigen Arbeiten, das Morphogramm R1.

Pressetext zur Ausstellung im Teufelhof / Basel, 1991

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Nicolaus Schmidt - morphographische Zeichnungen