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Eröffnung: Donnerstag, 13. September, 20 Uhr Pressebesichtigung: Donnerstag, 13. September, 11 Uhr und nach Vereinbarung

Manche nennen sie Chamäleon. Nikki S. Lee nimmt dieses Klischee hin. Sich selbst zu verändern, sei Teil ihrer Persönlichkeit, kontert sie. Denn sie habe immer das Gefühl gehabt, verschiedene Charaktere in sich zu tragen. Nikki S. Lee ist neugierig genug, diesen nachzugehen und gelassen genug, das spielerisch zu tun. In ihrer Fotoserie „Projects“ setzte sich die Koreanerin, die seit 1994 in New York lebt, unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen aus. Nach wochenlanger Recherche entstand so eine jeweils andere Nikki S. Lee. Wie eine Schauspielerin nahm sie für eine Rolle zu oder ab, modellierte sich die Haare, frequentierte die durchschnittlichen Einkaufsparadiese, vertrieb sich die Zeit auf Parkbänken, in Turnhallen, Bars der jeweiligen Community oder lernte Skateboard fahren, um sich dann als Punk, Yuppie, Latino, Hip Hopster oder Lesbe im Kreis ihrer Peargroup fotografieren zu lassen.

Entstanden sind Fotos, wie sie in Familienalben haufenweise zu finden sind. Hier steht nicht das Reservoir der Kunst- oder Filmgeschichte und auch nicht der sensationelle Voyeurismus zwischen Schlaf- und Badezimmer im Vordergrund, sondern die Alltäglichkeit. Mit einem sicheren Blick für Details, Gesten und Mimik konstruiert Lee Schnappschüsse, auf denen nichts dem Zufall überlassen ist. Ihre Raffinesse liegt nicht in einer vermeintlichen Exotik, sondern in der perfekten Mimikry durchschnittlicher Banalität. Gerade das Understatement des Nicht-Extravaganten macht den Reiz dieser präzisen Fotografie aus: „Ich will zeigen, wie die persönliche Identität durch andere Menschen beeinflusst wird.” Jedes Umfeld verstärke bestimmte Aspekte und unterdrücke andere. Diese Milieustudien der unterschiedlichen Möglichkeiten der Entfaltung des Einzelnen werfen u.a. folgenden Fragen auf: Wo liegt hier das Fremde und wo das Eigene? Könnten wir einfach jemand anderes sein? Funktioniert Gemeinschaft nur als Konformistenkollektiv?

Seit einiger Zeit isoliert sich Lee in ihren Fotografien bewusst von ihrem Umfeld. In ihrer Serie „Parts“ ist sie offensichtlich in Begleitung eines Mannes, von dem aber bestenfalls ein Arm oder ein Rücken zu sehen ist. An „seiner“ Seite schlüpft sie in immer andere Frauenrollen. Aber erst durch die verhinderte Präsenz des anderen provozieren diese Fotos ganze Beziehungsgeschichten: Seien es Mann-Frau-Konstellationen in unendlichen Variationen, seien es Sozialstudien oder die Frau als zurechtgemachtes (Schau-)Objekt der Begierde, als Verkörperung von Mode, das sich für ein – hoffentlich – bewunderndes Gegenüber stylt.

Ihr jüngster Film „a.k.a. Nikki S. Lee“ wiederum dreht eine Doppelschleife. Der vermeintliche Dokumentarfilm begleitet die Künstlerin bei den Dreharbeiten zu einem Dokumentarfilm über sich selbst. So führt sie den Zuschauer, der wissen will, wer die wahre Nikki S. Lee ist, humorvoll wie distanziert, intelligent und kurzweilig an der Nase herum: bis zuletzt bleibt in der Schwebe, ob die zurückhaltende Konzeptkünstlerin mit der beeindruckenden Bibliothek, die gerade einen Film über ihre vermeintliche Rolle als schrilles Jetset-Girl der Kunstsammlersociety dreht, nicht nur eine weitere Kapriole im Spiel mit Schein und Sein und eine funkelnde Satire über Anpassung in einer Gesellschaft ist.

Nikki S. Lee ist 1970 in Südkorea geboren und aufgewachsen. Seit 1994 lebt sie in New York. Sie studierte Fotografie an der University of Korea, Seoul, dem Fashion Institute of Technology, New York, sowie der New York University. Die Ausstellung in der GAK ist die erste institutionelle Einzelpräsentation von Nikki S. Lee in Europa.

Kuratorin: Gabriele Mackert