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Wir freuen uns zu Various Others in Kooperation mit der Galerie Barbara Wien, Berlin eine Ausstellung von Nina Canell und Ian Kiaer in unseren Räumen zu zeigen.
Beide Künstler_innen sind Pioniere einer Tendenz der Gegenwartskunst, die sich in einer durch die Digitalisierung zunehmend entmaterialisiert erscheinenden Welt den materiellen Phänomenen der Wirklichkeit zuwendet. Ungreifbare Erscheinungen wie Kommunikation, Ideen oder Emotionen finden Ausdruck in der physischen Präsenz der oft kunstfremden Materialien ihrer skulptural-installativen Werke.

Gemein ist den künstlerischen Praktiken Ian Kiaers und Nina Canells ihre bewusste Offenheit, die, bei aller Präzision, auch dem Zufall Raum lässt, und der Fragilität von Zwischenzuständen, Unentschieden-heit und Zweifel den Vorzug vor endgültigen Wahrheiten gibt.

In Ian Kiaers Werk nimmt das Modell sowohl konzeptuell als auch formal eine zentrale Stellung ein. Selbst gebaute Architekturmodelle tauchen ganz konkret in seinen aus gebrauchten Alltagsgegenständen, Abfallmaterialien und Bildern komponierten Installationen auf, die sich wiederum selbst als offene modellhafte Versuchsanordnungen begreifen lassen. Im Modell lassen sich Gedanken materialisieren und testen, es fungiert als Mittler zwischen einer Idee und ihrer Umsetzung.

Die Installation Endnote tooth (grey) verschränkt verschiedene Maßstäbe miteinander. So deuten das Aquarell eines Pfennigbaums, das Bild eines Fußbodens, die am Boden liegenden Neonröhren und ein Tischgestell einen Wohnraum an und orientieren sich am Maßstab des Betrachters, während ein kleines aus Pappe gebautes Architekturmodell auf dem Boden der Galerie den Betrachter zum Perspektivwechsel auffordert.

Der Titel nimmt Bezug auf Frederick Kieslers (1890–1965) Entwürfe zu einem zahnförmigen Tooth House, das die Lebensbereiche Wohnen, Arbeiten und Freizeit vereinen und sich vollkommen in seine natürliche Umgebung einfügen sollte. Kieslers Werk zeigt beispielhaft welchen Einfluss Entwürfe und Modelle auf die Realität haben können: obgleich von seinen architektonischen Entwürfen kaum einer umgesetzt wurde, prägten sie Kunst und Design der Nachkriegszeit entscheidend. Ian Kiaer, der sich mit Kieslers visionären Ideen intensiv auseinandersetzt, illustriert diese in seinen Arbeiten nicht, sondern führt sie im Sinne einer Fußnote assoziativ weiter.

Nina Canell interessiert sich für die verschiedenen Vorgänge der Übertragung von Energie, die Dinge miteinander verbindet, und erforscht diese in ihren Arbeiten in ganz konkretem Sinne. Ihre Werke sind stets Schauplätze von Prozessen, die sich in ihnen vollziehen oder von deren Geschehen sie zeugen.

Seit Jahren beschäftigt sie sich mit Elektro- und Telekommunikationskabeln, dem "Nervensystem der heutigen Zeit“, wie die Künstlerin es bezeichnet. Brief Syllable (Quiet) präsentiert ein kurzes Stück eines unterirdischen Übertragungskabels auf einem Sockel aus Beton: ein aus dem endlosen Fluss des Informationsaustauschs herausgeschnittenes Bruchstück zwischenmenschlicher Kommunikation, das, in Acryl gegossen wie ein wissenschaftliches Anschauungsobjekt, dauerhaft in der Schwebe gehalten wird.

Shedding Sheaths nennt sie ihre Werkgruppe von skurril geformten, organisch verschlungenen Objekten, die sich auf dem Boden der Galerie verteilen. Es handelt sich um ausrangierte, halb geschmolzene Ummantelungen unterirdischer Glasfaserkabel. Gefunden hat Canell sie in einer Recyclinganlage in Südkorea, wo sie, nach Farben sortiert und zu losen Bündeln gepresst, auf ihre Wiederverwertung warten. Einst im Dienste der weltumspannenden, grenzenlosen Kommunikation, die durch ihr nun fehlendes Inneres floss, zeigt Canell sie jetzt im Transitzustand. Schlaff und müde zeugen sie von der kaum je wahrgenommenen materiellen Basis des Internets.

Der Eindruck von Ermattung setzt sich in den blass leuchtenden Neonröhren und deren lose herunter-baumelnden Kabeln der Arbeit Satin Ions (Weak) fort. Für das im Oberlichtraum der Galerie hängende Objekt nutzt Canell die Funktionsweise von Neonröhren. Indem sie einzelne Komponenten wie die Lichtdurchlässigkeit, die Zusammensetzung der Leuchtstoffbeschichtung oder die Spannung innerhalb der Röhren variiert, bringt sie zufallsbasierte Tonalitäten und Texturen hervor und schafft einen Lichtteppich von malerischer Qualität.

Nina Canell, geboren 1979, in Växjö, Schweden, studierte in Dublin, Irland und lebt und arbeitet in Berlin. Einzelausstellungen (Auswahl): S.M.A.K, Ghent; Kunstmuseum Sankt Gallen (2018); Museo Tamayo, Mexico City; Le Crédac, Ivry-sur-Seine, France (2017); Arko Center Seoul (2015); Moderna Museet, Stockholm (2014). 2017 stellte sie im Nordischen Pavillion auf der Venedig Biennale aus.

Ian Kiaer, geboren 1971, in London, lebt und arbeitet in London und Oxford. Einzelausstellungen (Auswahl): Musée d'Art moderne de la Ville de Paris, Paris (2017); Neubauer Collegium, Chicago (2016); Henry Moore Institute, Leeds; Focal Point Gallery, Southend-on-Sea (2014); Aspen Art Museum (2012); Kunstverein München (2010).