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Der Trickfilm "Talon" (2006), den Nina Könnemann im Grazer Kunstverein zeigt, ist nach der gleichnamigen Achterbahn im Freizeitpark Dorney Park & Wildwater Kingdom, Pennsylvania benannt. Die Dauer des Films entspricht der Dauer einer Achterbahnfahrt. Der Film besteht aus einer Kamerafahrt, die den Streckenverlauf und die Höhenunterschiede der Achterbahn aus der Vogelperspektive über vier Hollywoodplakaten imitiert. Im Kunstverein läuft außerdem ein Ausschnitt aus einem Interview, das Nina Könnemann mit dem Achterbahndesigner Werner Stengel geführt hat (Mai 2007). In einer Seitengrotte des Kulturachsestollens wird der Einzelbildfilm "Der Zaun" (2007) gezeigt. Einer von Werner Stengel gezeichneten Kurve folgend, verändert sich die Projektionsgeschwindigkeit des Films von Tag zu Tag.

"Der Reiz einer Achterbahn liegt nicht in der Geschwindigkeit, denn der Mensch besitzt gar keinen Sensor dafür. Wir spielen ständig mit Beschleunigungen und Änderungen der Beschleunigung. Wenn das in einer guten Sequenz aneinander gereiht ist, haben Sie eine gute Bahn."

Interview 2007, von Nina Könnemann mit Werner Stengel, Ing. Büro Stengel GmbH, München.

Könnemann übersetzt die Dramaturgie der Strecken-Verläufe der Bahnen wie das Auf und Ab, Kurven, Looping, Be- und Entschleunigung oder die unterschiedlichen Distanzen zum Boden in Kamerabewegungen und -fahrten. Das Unterhaltungsdispositiv Achterbahn eignet sich Könnemann dabei als eine Art Regieanweisung für ihre eigenen Filme an.

Aus dieser Mechanik heraus entstehen entpersonalisierte Fahrten durch die bunte Welt der Plakate. Details wechseln mit Aufsichten, zufällig überlagern sich Streckenverläufe mit der Lesrichtung der Plakate um sich dann wieder voneinander zu lösen und deren Bildkomposition bis ins Unkenntliche zu fragmentarisieren.

Für andere Videos von Nina Könnemann bilden Beobachtungen öffentlicher Ereignisse den Ausgangspunkt: Der Morgen nach einer Open-Air Veranstaltung, ein Wohngebiet, das von einem Minitornado gestreift wurde, ein Treffen von Live-Rollenspielern, ein Sturm auf einer Amüsiermeile in einer englischen Hafenstadt. In diesen Szenarien erscheinen die Menschen in Gruppen, als Zuschauer, Teilnehmer oder Spieler. Einzelpersonen werden nur gezeigt, wenn sie einen kollektiven Zustand visualisieren. Diese Situationen sind mit einer Videokamera aus der Hand gefilmt.

Nina Könnemann benutzt diese subjektive Art der Kameraführung nicht um eine persönliche Sichtweise zu verdeutlichen. Die charakteristische Anmutung der Handkamera, mit Verwacklern und Unschärfen, soll eine Direktheit, eine filmische "Jetzt-Zeit" erzeugen. Hinzu kommt, dass die stilistische Homogenität des so aufgenommenen Materials es erlaubt, die dokumentierten Ereignisse im Schnitt unauffällig zu manipulieren. Indem sie die Abfolge der szenischen Ausschnitte aus der anzunehmenden zeitlichen Chronologie verschiebt, Geschehnisse durch Wiederholung akzentuiert, und nachinszenierte Sequenzen einfügt, gerät die geläufige Dramatik der Ereignisse in den Strudel des Außerordentlichen. Banalität und Surrealität halten sich dabei auf hintergründige Weise in Balance. Nina Könnemann vertraut der dokumentarischen Darstellungsweise um den Betrachter auf die fiktiven Möglichkeiten von gemeinschaftlichen Szenarien aufmerksam zu machen.

Aus: "Es ist schwer das Reale zu berühren", Grazer Kunstverein Sommer 2007, Verlag: Revolver, Frankfurt am Main.

Kurator: Søren Grammel

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Nina Könnemann
Kurator: Sören Grammel