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Nora Schultz erzählt in ihrer skulpturalen Installation eine Geschichte – die sie nicht erzählen kann. Beziehungsweise ist es eine neue, eine andere Geschichte, die aus dem Unvermögen entsteht, eine erlebte Situation wieder einzuholen und widerzuspiegeln. Die „story of the roof“ gerät zu einer „story off the roof“, quasi „vom Dach gekratzt“, nicht registriert und nicht offiziell.

Nora Schultz hat auf Schrottplätzen wie in Baumärkten ihr Material gesammelt und daraus für den Galerieraum ihre Installation entwickelt. Fragmente eines ausrangierten Blechdachs balancieren auf fragilen Stützen, auf Teleskopstativen, deren Funktion eine völlig andere als ihre sonst übliche ist. Nora Schultz betreibt eine Kontextverschiebung, doch nicht mit dem Vorhaben einer Verfremdung, sondern dem einer Erweiterung der Deutungsmöglichkeiten. Denn die jeweilige Herkunft der diversen Elemente wird keineswegs geleugnet, die Spuren der Geschichte und ursprünglichen Verwendung oder Bestimmung bleiben sichtbar und gehen mit den übrigen, fremdartigen Konstruktionselementen eine zum Teil bizarre Verbindung ein. Nora Schultz erzählt in ihrer Ausstellung die Geschichte eines metamorphen Daseins und deklariert diese Geschichte selbst als solches. Das Werk ist kein Relikt einer Performance, vielmehr ist die Tätigkeit der Performance auf das Werk selbst übertragen, wie aktiviert vereinnahmt es den Galerienraum, subordiniert ihn sich als Bühne und agiert in ihm.

Die Differenz zwischen Performance und Skulptur fällt zusammen; das Geschehen im und um das skulpturale Konstrukt scheint in einem einzigen Moment subsummiert und angehalten, ähnlich einem Filmstill, als würde sich der Formprozess im nächsten Moment der Unbeobachtetheit weiter wandeln. Bewegung und Handlung sind unmittelbar präsent ohne sich eindeutig zu erklären. Wir erfahren nur einen augenblicklichen Zustand eines dynamischen Daseins, das Vergangenes wie Futuristisch–Utopisches als Möglichkeitsform (eben inoffiziell) in sich trägt.

Trotz der Entschiedenheit des Erscheinungsbildes wohnt dem Werk die Spannkraft einer grundsätzlichen Veränderlichkeit inne und gleichzeitig das Dilemma der Nicht–Wiedereinhohlbarkeit – als dessen eigene Narration.

Durch die Präsenz der kruden Materialität und des komplementären auratisierten Kunst–Seins, das in dieser künstlich-bizarren Narration gründet, spielen sich Realitätsnähe und Distanz in einer Gleichzeitigkeit ab. In dieser substanziellen Differenz gründet sowohl das schillernde Potenzial aktiver Transformation als auch der zwingende Imperativ dieser fragilen, aber doch so autoritären Skulptur.

Innerhalb dieser großen plastischen Geste im Raum balanciert ein hintergründiges Netz aus Verweisen, das sich in einem zunächst unscheinbaren, doch wesentlichen Detail verdichtet – in der Form des Triangels. Angeregt durch den Science Fiction Roman The Man in the High Castle von Philip K. Dick zog diese reduzierte geometrische Form das Interesse und schließlich die insistierende Obsession von Nora Schultz’ Aufmerksamkeit auf sich. Der Triangel versinnbildlicht darin contemporary abstract art, weist in dieser Funktion als zeitlose identitätsstiftende Kategorie in eine andere Zukunft, welcher eine gegenwärtige Existenz nur relativ Stand hält.

Der Triangel steht formal im Fokus der gesamten Installation und begegnet in multiplen Referenzen in dem weiten Spektrum der Ausstellung.

Eine Drohne erzählt auf der anderen Seite ihre Version der Geschichte der Installation. Sie schildert den Ausstellungsaufbau tatsächlich als Performance und liefert dergestalt eine widersprüchliche Gleichzeitigkeit als simultane Vielzeitigkeit, Installation und Film ergänzen sich in ihrem andersartigen Zeitsystem, in der abwandernden Perspektive der Drohne, dieselbe Geschichte in einer neuen Subjektivität.

Die Kategorie Zeit, ihre Geschichtlichkeit ist in vielerlei Facetten aufgesplittert, ihre Objektivität unterlaufen, eigentlich zerrüttet, denn alle Perspektiven sind gleichermaßen berechtigt und damit gleichermaßen unzutreffend. Die unmittelbar aufgeworfene Frage nach der Objektivität der Perzeption und Interpretation ist irrelevant. Die Relevanz liegt komprimiert und verknappt in der Komplexität von Gegenwärtigkeit.

Margareta Sandhofer