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Über Jahrhunderte war Malerei ein äußerst diskretes Medium. Selbstgenügsam hing der Bildträger – unabhängig von der Beschaffenheit des ihn umgebenden Raumes – flach an der Wand. Die Kunsthalle Nürnberg präsentiert mit der Ausstellung Off the Wall! Bildräume und Raumbilder nun Positionen gegenwärtiger Malerei, die diese klassische Flachheit des Mediums selbstbewusst infrage stellen. Die eigens für die Ausstellung konzipierten Werke von Cornelia Baltes, Benjamin Houlihan, Markus Linnenbrink, Claudia & Julia Müller, Christine Streuli und Alexander Wolff beschränken sich nicht auf einen planen Bildträger, sondern werden volumenhaft, dehnen sich aus und greifen in die dritte Dimension. Malerei wird zum skulpturalen Objekt, der flache Bildträger zu dreidimensionalen Illusionsräumen transformiert und der architektonische Umraum durch installative Verfahren in die Kompositionen einbezogen. Die Möglichkeiten wie auch die Grenzen der Malerei als Tafelbild, Wandbild, Raumbild, Bild im Raum und Raum im Raum werden erprobt. Zugleich verweigern sich die Exponate einer simplen gattungsspezifischen Einordnung und bewegen sich im Spannungsverhältnis zwischen Objekt, Collage, Reproduktion, Fotografie und animiertem Video. Jedoch kann ein Kunstwerk, das als „Promenadenmischung“ daherkommt und einem traditionellen Malereiverständnis zunächst zu widersprechen scheint, dennoch als Malerei wahrgenommen werden, wenn malerische Fragestellungen und Methoden thematisiert werden. Der Titel der Gruppenausstellung ist doppeldeutig zu verstehen: In seiner wörtlichen Übersetzung bedeutet er so viel wie „Weg von der Wand!“, aber zugleich steht „Off the Wall!“ im englischen Sprachraum auch für „unorthodox“ oder „unkonventionell“. Und auch der Besucher hat in dieser Ausstellung eine unkonventionelle Rolle: Er ist nicht mehr „nur“ betrachtendes Gegenüber, da ihm die Rauminszenierungen eine aktive Rolle zuweisen. Erst durch seine Bewegung im Raum werden die Arbeiten erlebbar, und das traditionelle Davorstehen wird durch ein Eintreten und Eintauchen ersetzt. Cornelia Baltes (*1978) machte 2011 an der Londoner Slade School of Fine Art ihren Abschluss (MFA). Seit März 2014 arbeitet sie als Stipendiatin des Marianne-Defet-Malerei-Stipendiums in Nürnberg. Viele der Exponate, die nun in der Ausstellung Off the Wall! zu sehen sind, entstanden im Kontext dieses Stipendiums. Ihre Beobachtungen alltäglicher Objekte und Zusammenhänge des Lebens übersetzt die Künstlerin in subtil humorvolle Kompositionen zwischen Figuration und Abstraktion. Dabei erscheint das traditionell „langsame“ Medium Malerei vielfach wie eine vermeintlich spontane Geste mit unmittel­barem visuellem Bildwitz. In ihren Werken zeigt sich ebenso ein vielseitiges Spiel mit der Malerei: Architekturelemente werden zu abstrakten Farbfeldern, Fotografien werden digital „bemalt“ und skulpturale wie installative Elemente erscheinen als volumenhafte Variante der doch eigentlich körperlosen Malerei. Cornelia Baltes Werke spielen klug mit den Gattungsbegriffen und scheinen alles zugleich zu sein: Gemälde, Skulptur, Installation und Mixed-Media-Assemblage.

Benjamin Houlihan (*1975), der sein Studium an der Kunst­akademie Düsseldorf 2007 als Meisterschüler von Georg Herold abschloss, wird in einem Raum der Kunsthalle einen umlaufenden Fries auf die Wand „malen“. Dieses Friesband setzt sich aus abstrakten, roten Farbtupfern zusammen, die auf der Wand zu flirren scheinen. Ungewöhnlich ist, dass Houlihan die Farbe nicht mit dem Pinsel aufträgt, sondern auf die Wand leckt. In nahezu impressionistischer Gestaltungsweise, spontan und frei im Umgang mit der Farbe, ermöglicht das plastisch erscheinende Friesband eine neue Raumerfahrung und hinterfragt zugleich mit der Wand als Bildträger den Ewigkeitsanspruch der Kunst. Diese ephemere Wandarbeit setzt der Künstler in Bezug zu einer farbintensiven, amorph erscheinenden Skulptur, die sich aus scheinbar willkürlich übereinander geschichtetem Farbschaum aufbaut. Ihr Entstehungsprozess ist durch Houlihans Materialwahl geprägt: Die Skulptur ist aus Polyurethan, das vom Künstler mit Farbpigmenten eingefärbt wird. Das Material, eine Art Montageschaum, härtet bereits nach 10 Sekunden aus, so dass jede kompositorische Entscheidung schnell getroffen werden muss. Einem Action-Painting ähnlich, wo Farbe auf die Leinwand gespritzt, getropft oder geschüttet wird, bewegen sich auch Houlihans Skulpturen gekonnt im Spannungsfeld zwischen Gestaltungswille und Zufall. Im Kontext der Aus­stellung erscheint der Entstehungsprozess der Skulpturen auch deshalb interessant, weil das Ergebnis eines quasi malerischen Aktes eben kein Gemälde, sondern eine Skulptur ist: ein kluges Spiel mit den traditionellen Kategorisierungen der Kunst.

Das Werk des in Brooklyn, New York lebenden Künstlers Markus Linnenbrink (*1961) umfasst neben großformatigen Gemälden und Skulpturen auch ortsspezifische Wand,- Boden-, und Decken­malereien, die die Grenzen der Malerei und deren Ausweitung in den Raum thematisieren. Für die Ausstellung Off the Wall! wird er zwei Ausstellungsräume der Kunsthalle Nürnberg in ein begeh­bares All-over-Painting verwandeln: Die Böden, Wände und auch die Hohlkehlen der Decken werden bis hin zu den Oberlichtern mit perspektivisch angeordneten Farbstreifen versehen. Durch deren spezifische Anordnung und den alles überschreitenden Farbauf­trag scheint Linnenbrink die Grenze zwischen Zwei- wie Dreidimensionalität aufzulösen und suggeriert zugleich die Vorstellung eines sich endlos ausdehnenden Raums. Dieser Farbraum evoziert Bewegungen und Veränderungen, denen das irritierte Auge kaum folgen kann und entwickelt dabei eine nahezu psyche­delische Intensität. Die Farbe emanzipiert sich vom reinen Medium zum Protagonisten des abstrakten Bildsystems. Durch die spezi­fische Form der Farbverarbeitung, die sich durch die Substanz und Konsistenz der vom Künstler selbst gefertigten Farben ergibt, entwickelt die Farbe ein Eigenleben: Tropfen wie Schlieren erzählen vom Entstehungsprozess des Farbraums.

Ein intermedialer Umgang mit den künstlerischen Mitteln ist auch Leitmotiv der vielschichtigen und geheimnisvollen Rauminszenierungen von Claudia & Julia Müller, die seit Anfang der 1990er Jahre als Künstlerduo zusammenarbeiten. Das klassische Medium der Malerei und der Zeichnung verbindet sich in mehrteiligen, installativen Arrangements mit skulpturalen Elementen zu einem subtilen Dialog zwischen Fläche und Raum, zwischen Narration und Abstraktion. In der Kunsthalle Nürnberg ist erstmals eine neue Werkgruppe großer Keramikobjekte in Kombination mit zarten, wandfüllenden Zeichnungen zu sehen. Blind Paintings nennen die beiden Künstlerinnen die hybriden Keramikobjekte, da sich deren endgültige Farbigkeit erst während des Brennvorgangs ergibt und die Wahl des Kolorits daher bisweilen wie ein künstlerischer Blindflug erscheint. In den noch ungebrannten Ton schreiben die Schwestern eine abstrakte, gestische Malerei ein. Dabei prägt der Gestus nicht nur die zweidimensionale Oberfläche, sondern verformt den dreidimensionalen Gegenstand: Malerei und Plastik bilden eine untrennbare Symbiose. Die großformatigen Zeichnungen, die direkt auf die Wände der Kunsthalle Nürnberg gemalt wurden, zeigen Figuren, die trotz ihrer Monumentalität leicht wie Luftschiffe durch den Raum zu schweben scheinen. Diese beruhen teils auf privaten Erinnerungsfotografien, teils zeigen sie auch antik anmutende Skulpturen, deren Bildvorlagen aus Büchern entnommen wurden. Die schattenhaften Körper erzählen von träumerischen Momenten des Außerhalb-der-Welt-Stehens, von den stillen, unproduktiven und nur halbbewussten Zuständen während eines Tagesablaufs. Der transitorische Eindruck wird durch die verblasste, fast schüchterne Farbigkeit der Schattierungen befördert.

Christine Streuli (*1975), die 2007 gemeinsam mit Yves Netzhammer den Schweizer Pavillon auf der Biennale Venedig gestaltete, hat im Frühjahr 2014 eine große Rauminstallation als Beitrag zur 19th Biennale of Sydney konzipiert. Dem Entwurf dieser Arbeit ähnlich, hat sie für die Kunsthalle Nürnberg unter Verwendung von Tapeten und stark farbigen Papierarbeiten eine ortsspezifische Rauminstallation entwickelt, die ganz im Kontext ihres Anspruches steht, „einen Weg zu finden, mit der Malerei anders umzugehen, als bisher damit umgegangen wurde“. Streulis dichte Bildwelten von furioser Energie und Dynamik enthalten verschiedenste Elemente aus Hoch- und Populärkultur, die von Werbemotiven bis zu arabischer Ornamentik reichen. Die Künstlerin, die sich bereits während ihres Studiums weitgehend von der Arbeit mit Pinsel und Ölfarbe verabschiedete, verwendet, dem Gestus des traditionellen Malergenies entgegen, Spritzpistole und Schablone sowie verschiedene Druck-, Collage- und Abklatschverfahren. Wiederholung, Spiegelung und Symmetrie sind neben überbordendem Formenreichtum und gewaltiger Farbigkeit grundsätzliches Merkmal ihrer Arbeiten. Ihrem installativen, ortsspezifischen Denken entsprechend bildet ihre Malerei dynamische Erfahrungsräume, die anstelle einer passiven, frontalen Betrachtung eine aktive Blick- und Körperbewegung des Betrachters sowie Neugier und Aufmerksamkeit erfordern.

Die entgrenzten Wand- und Tafel-, ja Raumbilder des in Berlin lebenden Künstlers Alexander Wolff (*1976), der an der Städelschule Frankfurt a.M. und an der Akademie der Bildenden Künste in Wien studierte, lassen sich weder formal noch inhaltlich auf eine Ebene beschränken. Entgegen einem Verständnis von Malerei als in sich geschlossene Fläche und als eine von Betrachter und Ausstellungsraum auto­nome Realität, sind seine Arbeiten von einer grundsätzlichen Verwicklung mit dem Raum geprägt. Sie benötigen diesen als Bezugssystem, sind mit ihm verwoben, greifen in ihn aus, enthalten ihn. Dabei schafft Wolff komplexe, temporäre Gesamt­situationen, die architektonische Eigenheiten und Lichtverhältnisse des Ausstellungsortes ebenso thematisieren wie ihre Prozesshaftigkeit und Unabgeschlossen­heit. Basis seiner Arbeiten von sinnlicher wie anziehender Materialität – Holz, Textilien, Schmutz, Luftpolsterfolie und Schatten, aber auch Fotografie und Video werden in die Malerei integriert – sind dabei konzeptuelle Überlegungen zu grundsätzlichen Fragen nach der Natur des Bildes und seinem Ver­hältnis zu Umraum und Betrachter.