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Ohne Schlüssel und Schloss? Chancen und Risiken von Big Data
17.09.2017 - 18.02.2018
Eröffnung: Sonntag, 17.09.2017, 11 Uhr,
Großer Saal des Pfalztheaters und anschließend im Museum Pfalzgalerie

Wer je in einer vollbesetzten U-Bahn beobachtet hat, wie alle Mitfahrenden in ihre jeweiligen technischen Geräte vertieft sind, kann sich des Verdachts nicht erwehren, es handele sich um eine kulturelle Fetischisierung, der wir als gesamte Gesellschaft anheim gefallen sind. Fetische, das hat der Kulturtheoretiker Hartmut Böhme in seiner Schrift „Fetischismus und Kultur" beschrieben, zeigen, was in einer Gesellschaft als Begehren oder Angst zirkuliert.

In diesem Sinn lassen sich aber nicht nur modernste IT-Geräte verstehen, sondern auch Ob-jekte früherer Zeiten, die dazu gedient haben, Dinge vor den Blicken oder dem Gebrauch Un-befugter zu schützen. Auch an ihrer Herstellung, mechanischen Raffinesse oder bildlichen Einbindung lassen sich Wünsche, Begehren und auch Ängste ablesen, die uns Hinweise auf kulturelle Praktiken der jeweiligen Gesellschaft zu geben vermögen.

Das Museum Pfalzgalerie Kaiserslautern zeigt vom 17. September 2017 bis zum 18. Februar 2018 mit: Ohne Schlüssel und Schloss? Chancen und Risiken von Big Data eine groß angelegte Gegenüberstellung historischer Schlösser und Verschlussobjekte auf der einen und modernster IT-Technologie zur Datenerfassung und Codierung auf der anderen Seite.

Ziel dieser Ausstellung ist, zu zeigen, wie sich, vom Gefühl des Bewahrens und der Versiche-rung her, entwickelte Verschlussobjekte früherer Zeiten zutiefst menschlich präsentiert haben, um ihre jeweiligen Funktionen erfüllen zu können. Wie sie auch gestaltet sein mochten, ihre „Grenzziehung" und damit ihr körperlicher Bezug ist auch heute noch auf einen Blick zu er-fassen; das gilt für Big Data keineswegs, denn beim Digitalen handelt es sich um Serviceleis-tungen, die wir selten unmittelbar verstehen können.

Zu den klassischen Exponaten dieser Ausstellung zählen nicht allein in faszinierender hand-werklicher Präzision hergestellte Schlüssel und Schlösser, vielmehr wird ein Bogen gespannt von mittelalterlichen Minnekästchen und Buchkassetten über verschließbare Gefäße für heilige oder medizinische Ingredienzien, von Briefladen, Zunft- und Reisetruhen bis hin zum Keuschheitsgürtel und Sargschlüssel des 19. Jahrhunderts. Möbel mit Geheimfächern konnten Politik beeinflussen, wie der Sekretär, der als „corpus delicti" am Ablauf der so genannten „Spiegel-Affäre" von 1962 beteiligt war oder wie es die Enigma im Krieg mit ihrer Ver-schlüsselungstechnik tat.

Und heute? Mit welcher Wertschätzung und Achtsamkeit behandeln wir heute unsere für schützenswert befundenen kleineren und größeren Geheimnisse? Sind uns Rückzugsräume und Privatsphäre noch genauso wichtig wie ehemals? Oder geben wir sie nicht geradezu gerne auf, um dafür wahlweise entweder größeren Komfort und Bequemlichkeit und/oder eine Ver-besserung unserer Leistungen und Performances erzielen zu können?

Um das vielfältige Erfassen unserer Daten im Alltag sichtbar werden zu lassen, haben unter-schiedliche Forschungsinstitute (Technische Universität Kaiserslautern, Deutsches For-schungsinstitut für Künstliche Intelligenz, Universität Stuttgart, Fraunhofer IESE) eigens für diese Ausstellung interaktive Stationen entwickelt. Dazu gibt es während des gesamten Aus-stellungszeitraums großzügig zur Verfügung gestellte IT-Technologie von Firmen, die ihren Sitz größtenteils in Kaiserslautern haben. Besucher und Besucherinnen sehen und erleben diese Objekte nicht nur, sondern bewegen sich mit den Ausstellungsstücken, die sie nutzen und gebrauchen, durch die Räume.

Doch was geschieht, wenn der eigene Museumsbesuch in einen Score einfließt, der unser Verhalten während des Rundgangs bewertet? Eine vom DFKI Kaiserslautern programmierte App provoziert auch solche Fragen nach Screens, Scores und Rankings. Automatisch erkennt die intelligible Software Besucherpositionen; sie spielt in Echtzeit Informationen zum Aus-stellungsstück auf das Display des eigenen Smartphones. Zudem erhält man mit der App Ra-batte auf den Eintritt und Empfehlungen für den Ausstellungsrundgang. Allerdings sind diese Serviceleistungen – wie auch sonst in der Welt des Internets – nicht folgenlos: Das spüren die Besucher gegen Ende ihres Rundgangs, wenn sie bemerken, wie sehr sie Teil der Ausstellung, ihrer Regeln und Bedingungen geworden sind.