SCHULTZ BERLIN

GALERIE MICHAEL SCHULTZ / SCHULTZ CONTEMPORARY | Mommsenstraße 34
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Die Malerei gewinnt. Zum Zyklus "Augenweide" von Olivier Masmonteil

Das Schöne erzeugt den Wunsch nach ständigem Neubeginn. Dieses berühmte Diktum von Paul Valéry könnte den absoluten Anfang jedes künstlerischen Erlebnisses wiedergeben. Zu den grundlegendsten künstlerischen Erfahrungen gehört seit eh und je die Landschaftsmalerei. Unabhängig von der Epoche des Entstehens, vom kulturellen und sozialen Umfeld und von den persönlichen Motivationen und Empfindungen der Künstler muss jedoch immer wieder klar festgesellt werden: Wer Landschaften malt, bildet nicht ab, sondern schafft autonome Bild-Wirklichkeiten. Diesem Grundsatz können sich dabei genauso wenig die fotorealistischen und in ihrem Ursprung dokumentarischen Darstellungen in der Malereigeschichte entziehen, wie auch die Fotografie selbst, die das Künstlerische an ihr seit ihrer Erfindung und weiterer Entwicklung immer wieder verstärkt hat. Heute haben wir uns in der Kunstrezeption auf diese Vielfalt und Einmaligkeit der Landschaftsdarstellungen bereits eingestellt, immer wieder mit der unbewussten Freude, die persönlichen Vergleiche ziehen zu können und zwar zu dem, was wir am Realen selbst schon mal gesehen und erlebt haben und was wir andererseits vom Irrealen noch erwarten können. Die Vermischung der Realität mit der Virtualität scheint uns im Zeitalter der jederzeit wiederholbaren Bildproduktion und der beschleunigten Bildrezeption erst gar nicht zu stören. In der Regel intuitiv richtig unterscheiden wir zwischen diesen beiden Bereichen, zwischen Realem und Imaginärem, zwischen Original und Kopie, einer realen Evidenz und ihrer Abbildung oder zwischen einem echten Bild und seiner Vorlage. In den Vordergrund rückt dabei immer wieder unser eigener Blick, unsere eigenen Präferenzen und das, was wir letztendlich als anziehend oder gar schön empfinden. Ein eigenständiges, individuelles und persönliches Betrachtungsfeld ist für uns relevanter als Objektivitätskriterien. Die Echtheit der Bilder scheint vorerst unbedeutend zu sein.

Olivier Masmonteil eröffnet uns mit dem Zyklus "Augenweide" einen überraschend systematischen und streng strukturierten Blick in eine Welt, von der wir zunächst ebenso nicht wissen können, ob sie je existiert hat oder nicht. Selbst ein wenig verblüfft, müssen wir im ersten Augenblick der Betrachtung des Zyklus feststellen, dass es uns gar nicht interessiert, ob die dunklen Naturdarstellungen einen Anspruch auf die Wiedererkennbarkeit erheben oder nicht. Es scheint zunächst unwichtig zu sein, ob Masmonteils Landschaften in irgendeinem realen Land existieren oder in irgendeiner Wirklichkeit ihre Vorlagen finden. Es scheint sogar unwichtig zu sein, ob diese Landschaften komponiert, wiedergegeben oder gar erfunden wurden. Wir wissen nicht warum, aber wir merken es deutlich, dass es gerade die Unwirklichkeit dieser Darstellungen ist, die auf uns beim ersten Kontakt mit dem Zyklus so anziehend wirkt und nicht irgendeine Korrelation zu irgendeiner Realität. Diese Unwirklichkeit wird uns in beinah schon sequentiell aufgebauten, großformatigen Ausschnitten als Teil eines homogenen Ganzen präsentiert. Eines Ganzen, das das eigentliche Thema des Zyklus zu sein scheint, aber explizit und konkret nicht direkt angesprochen wird, weil es mehr zu umfassen scheint, als in der einzelnen Darstellung möglich ist. Dieses Ganze soll dem einzelnen Werk anscheinend gleichsam vorausgehen und seine Betrachtung bestimmen. Es selbst ist allerdings nicht lokalisierbar und lässt sich nur erahnen. Es kommt spürbar direkt vom Geist des Malers, ist ein deutlicher Hinweis auf seine persönliche Vision und macht die Aura des gesamten Zyklus aus. Eine recht ungewöhnliche Situation entsteht, denn dies geschieht nur in unserer Vorstellung und kommt physikalisch nicht vor. Die einzelnen Bilder übernehmen dabei die Rolle der Fenster, die nur an bestimmten Stellen einen Durchblick gestatten.

Eine darüberliegende und deshalb gleichsam universelle und als Ganzes unsichtbare Einheit dominiert hier unverkennbar die Ausgangssituation und beherrscht nicht nur unsere Gedanken, sondern schafft auch die vom Künstler wohlkalkulierte Grundlage der weiteren Betrachtung der einzelnen Werke. Jedes Bild scheint in diesem Zusammenhang ein Teil dieses Ganzen zu sein und eröffnet mehrere Betrachtungsperspektiven, ohne dass es selbst erst genauer anvisiert wurde. Es besteht kein Zweifel darüber: Wir haben es hier mit einer universellen Welt zu tun, auf die uns der Künstler direkt hinweist, gerade weil deren einzelne Darstellungen seriell konkretisiert werden. Ein Spiel zwischen Gedanken und Betrachtung, zwischen Realem und Irrealem, zwischen Natürlichem und Künstlerischem wird in diesem Zyklus eröffnet. Und wir stehen mittendrin und wissen es nicht, wer oder was es initiiert hat. Noch bevor wir zu den Details der Bilder übergehen können, nehmen wir ein Übergreifendes wahr, wir spüren seine Anwesenheit, obwohl wir es, streng genommen, gar nicht sehen können. Wir ergänzen das zuerst Gesehene mit unseren Gedanken und Vorstellungen und meinen sicher zu wissen, wie in einer filmischen Suspense, dass dieses Übergreifende hier die Bühne beherrscht, dass der Künstler uns etwas mitzuteilen hat und dass der ganze Zyklus deutlich mehr ist als die Summe seiner Teile. Wir lassen uns auf diese Suggestion ein und beginnen mit der genaueren Analyse, die Olivier Masmonteil von uns auf diese Weise gleichsam erwartet. Erst jetzt widmen wir uns den einzelnen Gemälden .

Wir sehen dort menschenleere Landschaften. Das diffuse und gerade eben vorhandene Licht, die dunklen Farben und die direkte Beobachterperspektive lassen die Vermutung aufkommen, dass jemand hier, an einer ganz bestimmten Tageszeit, irgendetwas beobachtet oder intensiv erlebt. Eine angespannte Ruhe macht sich breit. Durch diese Anspannung, von der frontalen, direkten Anordnung der Komposition der Bilder noch verstärkt, werden wir dazu animiert, in dem Bildraum nach Details zu suchen. Wir wollen für das angetroffene Rätselhafte einfach rasch eine Lösung finden. Gleichzeitig lässt uns die merkwürdige Stimmung der einzelnen Darstellungen nicht los. Und die ist, man möchte es sagen und gleichzeitig nicht sagen, romantisch und dokumentarisch gleichzeitig. Die Formen zeigen sich und gleichzeitig wird an ihnen etwas gezeigt. Die Emotionen scheinen, abwechselnd, wichtiger als die dargestellten Gegenständlichkeiten zu sein und dann, quasi im selben Augenblick, wieder weniger wichtig. Das Tempo der Betrachtung nimmt dabei stetig zu. Unsere Blicke werden beschleunigt, wie in dem Übergang vom statischen Bild zu einer Filmsequenz. Vielleicht gerade deswegen gewöhnen wir uns im weiteren Verlauf der Betrachtung unbemerkt daran, nicht nur an die Bildfläche zu denken, nicht nur an ihre Farbigkeit, nicht nur an die dargestellten Gegenstände und Naturfragmente, sondern eher an ganze Situationen, Erlebnisse und Gefühle.

Systematisch werden die restlichen Wirklichkeitsbezüge aufgehoben, die Zeit verliert an Bedeutung. Ein universelles Bild entsteht, mit dem der Künstler uns etwas zu sagen scheint. Wir wissen zwar nicht was. Wir können es aber gleichzeitig nicht übersehen, dass seine Mitteilungen einen sehr emotionalen Charakter haben. Sie weisen auf seine Welt, seine Landschaft hin. Paradoxerweise verlassen wir durch diese Zuwendung zum Emotionalen das Malerische nicht. Ganz im Gegenteil. Indem wir über die persönlichen Motive des Künstlers rätseln, geben wir uns schließlich der von ihm hervorgerufenen Stimmung hin und damit direkt seiner Malerei. Erst jetzt beschäftigen wir uns mit dem Bildaufbau.

Als Erstes merken wir, dass Olivier Masmonteil in allen Arbeiten seines Zyklus die Perspektive eines Beobachters schafft. Ob ein Naturmaler, ein Fotograf oder ein Kameramann hier gerade am Werk zu sein scheint: Letztendlich sind wir es, die aufgefordert werden, diese Beobachterposition einzunehmen. Das macht uns aber automatisch zu den direkten Teilnehmern an den bildnerischen Situationen, wie Zuschauer im Kino oder im Theater. Das dunkle Licht, das scheinbar zur Verstärkung der Konturen dient und die in jede Bildkomposition integrierten größeren Farbflächen betonen dabei deutlich die dargestellten Formen. Sie werden, wie in einer Zeichnung, hervorgehoben, ohne dass beispielsweise die Bäume, die stets im Vordergrund sind, den plastischen Charakter verlieren. Sie scheinen, ganz im Gegenteil, gleichsam zu Skulpturen zu versteinern und geben die Aura einer Frontalität und einer Materialität wieder, die sich der flachen Naturdarstellung klar wiedersetzt. Die Plastizität der Bäume konkurriert mit ihren zeichnerisch betonten Konturen. Dadurch entsteht eine magische Welt, die zwar schweigt, jedoch nicht stumm zu sein scheint. Eine Erwartung wird in uns geweckt und macht die gemalten Landschaften zu spannenden Situationen, die man nicht lediglich betrachten, sondern richtig erleben möchte. Wir versetzen uns wie von selbst in diese Situationen und entdecken die Entspannung einer Abgeschiedenheit, die Langsamkeit, das Kontemplative, das Geheimnisvolle, das Verträumte und das Schöne. Diese Eindrücke sind dabei so intensiv, dass wir glauben, gerade hier die persönliche Botschaft des Künstlers entdeckt zu haben: sein inniges, vielleicht sogar intimes Verhältnis zu dieser Landschaft.

Und tatsächlich ist es so! Olivier Masmonteil bestätigt uns das: es ist sein Limousin in Zentralfrankreich, sein Horizont, seine Wege, seine Bäume, seine Berge, seine Gewässer, sein Himmel, die ihn hier so fesseln. Wahrscheinlich deswegen will der Künstler nicht bloß ein Beobachter seiner Landschaft sein. Das kann er auch nicht, dafür ist sein Verhältnis zu ihr viel zu innig. Es ist seine eigene Welt, seine eigene Bühne, auf der er alleine der Akteur ist und wir sein Publikum. Deswegen auch wirken seine Landschaftsdarstellungen so unwirklich, nicht zeitgebunden und universell. Durch die Verbindung dieses Universellen der Darstellung mit den persönlichen Intentionen des Malers passiert aber etwas Erstaunliches. Wir stellen quasi den direkten Kontakt zu der Sensibilität des Künstlers her und nehmen teil an den ständigen Übergängen zwischen der reinen Naturdarstellung und ihrer künstlerischen Wirkung. Was dauerhaft bleibt, ist die ästhetische Freude und der Wunsch, sich die Bilder dieses Zyklus und die dort eingebettete universelle Welt des Olivier Masmonteil immer wieder anzuschauen. Das Schöne erzeugt eben den Wunsch nach ständigem Neubeginn. Und die Malerei gewinnt.

Jacek Barski Pressetext

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Olivier Masmonteil "Augenweide"