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Der nüchterne Titel der Ausstellung des Leipziger Meisterschülers von Prof. Timm Rautert ist bezeichnend für seine Arbeitsweise, die sich intensiv mit den Möglichkeiten dieser Abbildungsverfahren auseinandersetzt. Wer von Schmidt (*1977), der nach dem Studium der Malerei an der HfbK in Halle (Burg Giebichenstein) in die Fotografieklasse von Timm Rautert nach Leipzig an die Hochschule für Grafik und Buchkunst wechselte, nun formale Testbilder unterschiedlicher Technikvariationen erwartet, wird beeindruckend auf die Suche nach Kontemplationspotenzialen von bildnerischen Darstellungen geleitet.

Im höchsten Grad exemplarisch dafür ist die Serie von Mädchendarstellungen. Die großformatigen Fotografien zeigen jeweils ein junges Mädchen in ungewöhnlich artifizieller Pose. Ungewöhnlich nicht im Sinne unmöglicher oder in besonderem Maße technisch spektkulärer Körperhaltungen, sondern vielmehr in der Feinsinnigkeit ihrer Ausprägung. Schmidt platziert die Modelle in aufgeräumter aber mit ihrer natürlichen Anmutung mehr umgebender, denn isolierender Kulisse einer Zimmerwand und formuliert die Pose sorgsamst aus. Von der inszenierten Stellung des Körpers, die Haltung und Winkel von Armen, Beinen und Kopf ausgehend, gehört der Grad der Körperspannung und die Beziehung zu einem Gegenstand oder Möbel zur Justierungsoption einer Vollinszenierung, deren Ergebnis verblüfft.

Die hohe Inszenierungsqualität ist wohl der Grund für die Zwiespältigkeit, die sich beim Betrachten einstellt. Die Exponiertheit des Modells gestattet dem Betrachter nicht die Rolle des unbemerkten Beobachters und gleichzeitig gewinnt man das Gefühl unberechtigt motivierte Teilhabe am Blick auf die Szenerie zu erlangen. Schmidt gelingt hier eine höhere Strapazierung der Betrachter-Bild-Beziehung als es der Maler Balthus mit seinen unzweifelhaft mit einem Lolitakomplex beladenen zur Voyerismusdebatte einladenden Mädchenportraits vermochten, deren Posen widerum Schmidt als Ausgangspunkt seiner Serie dienten.

Während Balthus' Mädchen handelnd dargestellt zum Beobachtungsobjekt werden, harren Schmidts Modelle in einem Moment der ewig anzudauern scheint und sich dies in einer Unveränderlichkeit, dem Fehlen einer vorstellbaren Modifikation des Verhältnisses von Darbietung und In-sich-Geschlossenheit des Bildmotivs manifestiert. Oskar Schmidt trachtet danach, das Potenzial der Fotografie, mehr als Abbildung einer Wirklichkeit oder ihrer Verfremdungen erscheinen zu lassen, ins Spürbare zu heben. Von "Transzendierung der Bildgegenstände" wird gesprochen, wenn Bilder mehr Selbsterkenntnis oder Autoerfahrung ermöglichen, denn empirisch ermittelbaren Stellenwert tragen.

Auch wenn auf Schmidts Bildern mal keine Personen zu sehen sind, so in der Serie des einfallenden Kartenhaus, entstehen Fragestellungen, die über bloße Abbildungstechnik hinausgehen. Die Kontemplation scheint noch näher an die Rezeption herangeführt. Und vielleicht ist es gerade auch die Ungewissheit, ob Schmidt das Kartenhaus und seine Zerstörung als einen symbolistische Metapher zulässt oder gerade mit der Möglichkeit dieser Unterstellung spielt, die seinen äußerst bewussten Umgang mit der Bildkreation unterstreicht.

Und wenn der Künstler fotografische Arbeiten für eine Ausstellung auswählt, fügt er den bisweilen stattlichen Formaten eine Malerei hinzu. Kleinformatig, traditionell und ziselliert in Öl-Eitempera-Technik gepinselt, wundert man sich im ersten Augenblick ob des parallel zur Fotografie dargestellten Sujets. Vielleicht ist es ähnlich wie beim Muster eines Bettbezuges sich auf dem Kissenbezug variiert wiederholt - den Kopf bettet man nur auf einem der beiden, das andere wärmt den Wanst - weiß Oskar Schmidt: "manches geht halt nicht in der Fotografie"

Haltungsfragen Der Leipziger Oskar Schmidt erschafft durch Posen eine eigene Wirklichkeit von Julia Mummenhoff

Oskar Schmidts Akteure sind mehr als nur allein in einem Raum. Sie wirken entrückt, abgeschnitten von der Welt, die in Form von ein paar Möbelstücken und spärlichen Requisiten gerade noch angedeutet wird. Sehr sachlich, geradezu emotionslos erscheinen die Arrangements, deren Akteure der Künstler in "Mädchen" und "Soldaten" einteilt. Was das "Mädchenhafte" an einer Fotografie wie "Mädchen mit Buch" ausmacht ist schwer zu sagen. Wahrscheinlich sind es das leichte Sommerkleid und die weißen Söckchen, eigentlich eine ziemlich anrüchige Symbolik, die hier sehr nüchtern zitiert wird. Was Schmidt in großem Format inszeniert, passt nicht zum kunsthistorischen Topos der beim Lesen beobachteten Frau, schon allein durch die absurde, unbequeme Haltung.

Einer lesenden weiblichen Person in einem seltsam verdrehten Vierfüßler-Stand begegnet man in mehreren Werken des französischen Malers Balthus (1908-2001), der ursprünglich ein Vorbild für Schmidt war. Überhaupt liegt seine Fotografie eher in der Malerei begründet als in dem eigenen Medium, schließlich hat Schmidt als Maler angefangen. Die schwüle Erotik, das Voyeuristische der Bilder von Balthus spart Schmidt vollkommen aus. Er übernimmt lediglich die Posen. Aber ein Satz, der über Balthus geschrieben wurde, trifft auch auf seine Arbeiten zu: Dass der Raum die Figuren darin nicht schützt, sondern isoliert und noch einsamer erscheinen lässt (Gilles Néret).

Der 1977 Geborene studierte an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst, die inzwischen als Kaderschmiede der hoch gehandelten Leipziger Schule gesehen wird. Schmidt fotografiert mit einer analogen Großformatkamera und verhält sich dabei wie ein Maler. Er bestellt seine Modelle fast immer mehrmals um einen ganz bestimmten Ausdruck zu perfektionieren. Auch die Räume wählt er sorgfältig aus: Sie sind leer, aber nie steril, die Textur des Bodens ist wichtig. Manchmal übersetzt er ein Motiv in ein kleinformatiges Gemälde. Dieses ist als diskursives und nicht als installatives Moment zu verstehen. Es ist eine Darstellung der Auseinandersetzung, der "Arbeit am Bild": "Ich spiele darin Sachen durch, die in der Fotografie nicht lösbar sind".

Durch die gekünstelte Übersteigerung in der Pose bringt Schmidt den Realitätszustand des Bildes ins Wanken. Seine Fotografien sind frei von dem Zwang, zu dokumentieren. Sie heischen nicht nach Rätselhaftigkeit, aber sie bleiben unerklärlich. Und ihre Sachlichkeit ist anders, als das was man in der Fotografie bisher "sachlich" nannte. (Julia Mummenhoff)

"Oskar Schmidt zeigt Fotografie - und eine Malerei"

Dauer: 13.4. bis 20.5. Eröffnung: 12.4., 19 Uhr

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Oskar Schmidt zeigt Fotografien und eine Malerei
Malerei & Fotografie