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Unter dem Titel „Labor Sammlung“ hat das Kunstmuseum Luzern im Herbst 2004 eine Projektreihe gestartet und damit einen neuen Umgang mit der museumseigenen Sammlung initiiert. Der Innovationsgehalt des programmatisch betitelten Projekts nährt sich aus dem Umstand, dass es kunsthistorische, konservatorische und kuratorische Fragestellungen und somit die wissenschaftliche Forschung wie sie an Museen mehr oder weniger intensiv, aber in der Regel stets hinter den Kulissen betrieben wird, als Prozess darstellt und öffentlich macht. Die Forschung findet in den Ausstellungsräumen statt, das Publikum kann an deren Fortschritt teilhaben, die laufend dokumentiert werden.

Die erste Folge von „Labor Sammlung“ war dem amerikanischen Künstler Paul Thek (1933-1988) gewidmet, der ab den späten Sechzigerjahren mit seinen prozesshaften und situationsbezogenen Installationen Aufmerksamkeit erlangte. Über einen Zeitraum von sieben Monaten wurden die rund siebzig Inventarnummern umfassende Werkgruppe von Paul Thek in der Sammlung des Kunstmuseums Luzern öffentlich ausgelegt und so weit als möglich den bekannten Werkkomplexen wie dem „Dwarf Parade Table“ oder dem „Artist’s Co-op“ zugeordnet. Ebenso konnten Schriftdokumente eingesehen werden, die den Vorbereitungsprozess zur Ausstellung „Ark, Pyramid, Easter – a visiting group show“ (Kunstmuseum Luzern 1973) von seiner organisatorischen Seite erhellen. Mit Hilfe von mündlichen Statements aufgrund von Befragungen und fotografischen Dokumentationen von Zeitzeugen schliesslich konnte die Luzerner Ausstellung in ihrer dreidimensionalen Ausführung zumindest fragmentarisch neu erfasst werden.

Der Beschäftigung mit dem Œuvre von Paul Thek lagen verschiedene komplexe Fragestellungen zugrunde, allen voran jene nach Autorschaft und Rekonstruktion. Thek ist einer der Ersten, die sich von der Idee des auktorialen Künstlers entfernt und jene der künstlerischen Kooperative nicht nur im Off-Space praktiziert, sondern auch ins Museum gebracht haben. Bezeichnend dafür ist auch der Untertitel der Luzerner Ausstellung von 1973, „a visiting group show“, und deren Künstlerliste, die Thek gleichwertig neben den anderen beteiligten Künstlern verzeichnet. Und im Falle einer Serie von Gouachen auf Zeitungspapier, die im Kunstmuseum Luzern entstanden sind, ging die gemeinsame Arbeit sogar so weit, dass Thek wie auch Franz Deckwitz daran gemalt haben. Trotz Überlagerung der gemeinsamen künstlerischen Praxis hatte jedes Mitglied auch seine individuellen Qualitäten, die er oder sie in den Dienst des Gesamtwerks stellte. So stellte Ann Wilson beispielsweise in Zusammenarbeit mit Charles Shuts das Ensemble des „Bootes“ zusammen, Franz Deckwitz malte den Himmel im „Sky Room“ sowie auf einen der Zwerge.

Nicht nur die Ergebnisse ausgiebiger Diskussionen innerhalb unseres Kuratoriumkollegs, sondern auch Aussagen vieler, die Paul Thek persönlich gekannt haben, tendieren dazu, Rekonstruktionen seiner Installationen abzulehnen. Eine derart raumgreifende Installation wie jene in Luzern von 1973 kann nicht einfach nachgebaut werden, da sie in ihrer physischen wie ideellen Präsenz an den Künstler, an die Kooperative und vor allem an die Zeit gebunden war. Umso grösser ist in museologischer Hinsicht die Herausforderung, den Relikten eine Heimstatt zu geben und sie von ihrem reinen „Inventarnummern-Dasein“ zumindest temporär zu befreien, damit sie im Rahmen der Vermittlung der Kunst eine Funktion wahrnehmen können.

Bei der Auslotung möglicher Präsentationsformen bietet sich nun auch die willkommene Gelegenheit, dokumentierende Medien wie die Fotografie oder das Video auf ihr Potenzial zur Vermittlung von Eindruck, Stimmung und Zeitgeist hin zu befragen. Dabei schreiben wir diesen Mittlern zwischen Vergangenheit und Gegenwart nicht nur dokumentarisch objektive, sondern (durchaus im Sinn von Roland Barthes’ Punktum) auch emotionale, wenn nicht sogar mythische Qualitäten zu. So sind auch schnappschussartige Bilder oder solche, die der klassischen Dokumentationsfotografie widersprechen, in die Ausstellung integriert, darunter viele Dokumente, die erstmals öffentlich zu sehen sind.

Auf dieser Basis vereint die abschliessende Ausstellung zum Projekt „Labor Sammlung: Paul Thek“ in einem Museumssaal zwei entgegengesetzte kuratorische Konzepte:

Ein erster Teil präsentiert in rein dokumentarischer Form die Luzerner Ausstellung „Ark, Pyramid, Easter – a visiting group show“ von 1973. Hier überwiegen Fotografien und Schriftdokumente, ergänzt durch Berichte von Zeitzeugen, die sich an die Ausstellung in Luzern zurückerinnern.

Den zweiten Teil bildet eine „interpretierende Präsentation“ eines der wichtigsten installativen Ensembles Theks. Originalobjekte, die in Installationen Theks und seiner Künstler-Entourage in unterschiedlichen Kontexten Verwendung fanden und sich heute in der Sammlung des Kunstmuseums Luzern befinden, werden in einem nachgebauten „Hühnergehege“, also sozusagen in einem ihrer historischen Zusammenhänge präsentiert. Die Konstruktion aus Holz und Gitterdraht wird in Anlehnung an Paul Theks Environment „The Artist’s Co-op“, das neben anderen Elementen in Ausstellungen zwischen 1969 und 1973 aufgebaut war, neu erstellt. Sie basiert auf Raumansichten von Theks Atelier auf Prinseneiland bei Amsterdam und der anschliessenden Ausstellung im Stedelijk Museum 1969. Das „Artist’s Co-op“-Hühnergehege stellt den historischen Präsentationskontext für mehrer Arbeiten von Thek zur Verfügung, die sich heute in der Sammlung des Kunstmuseums Luzern befinden, darunter den berühmten „Fishman“. Dieser Latex-Abguss des Körpers des Künstlers, an den unzählige Fische angebracht sind, hat Thek erstmals für die Amsterdamer Ausstellung angefertigt und existiert in vier Ausführungen. Die Rekonstruktion von „The Artist’s Co-op“ wird von Saal- und Vitrinentexten begleitet, welche die Ausstellungsexponate im Hinblick auf ihre historische Einordnung, Rezeption und Ikonografie erläutern.

Die beiden Ausstellungssegmente werden durch eine Diaschau zum Künstlerbuch „A Document made by Paul Thek and Edwin Klein“ (1969) und einer Videoprojektion angereichert, die Sequenzen verschiedener Aufnahmen von 1969-1973 aus dem Umfeld des Künstlers vereint und einen atmosphärischen Einblick in Theks bewegtes Leben erlaubt.

Die Ausstellung „Paul Thek Luzern 1973/2005“ ist der Versuch, eine nomadenhafte moderne Künstlerpersönlichkeit kaleidoskopartig zu erfassen und vermitteln. Sie zeigt daneben auf exemplarische Art und Weise Möglichkeiten auf, wie die kunstwissenschaftliche Forschung in die Ausstellungspraxis einfliessen kann. Und zugleich handelt sie von der spannenden Begegnung eines der bemerkenwertesten Künstler der jüngeren Vergangenheit mit dem spezifischen Ort Luzern sowie von den herausfordernden Folgen für diesen Ort und seine Institution Kunstmuseum. Darüber hinaus stellt sie der wachsendes Interesse findenden internationalen Thek-Forschung wertvolle Grundlagen zur Verfügung.

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