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Ausstellungsdauer | Duration: 30. November 2012 - 12. Januar 2013 Eröffnung | Opening: Donnerstag, 29. November, 2012, 18:00-22:00 Uhr

"Das Andere ist ein Relief, wie ich es bin, nicht absolut vertikale Existenz.", bemerkt der französische Philosoph Maurice Merleau-Ponty. [1]

Die Galerie Jette Rudolph freut sich sehr, ihre zweite Soloshow von Paule Hammer in Berlin präsentieren zu dürfen. Wie bereits in Teil 1 von Paule Hammers „Interview Magazin“ in der Leipziger Galerie Laden für Nichts setzt auch die Ausstellung in Berlin den Fokus auf die nun fortgesetzte Serie der Interviewbilder, für welche der Künstler Freunde sowie alte und neue Bekannte zur Porträt- und Gesprächssitzung ins eigene Atelier lädt. Waren zuvor die eigenen Träume des Künstlers sowie weiter ausgreifende weltenzyklopädische Fragen an die Menschheit das Ausgangsmaterial der Motiv-Text-Bilder Hammers, in denen sich persönlich Erlebtes mit von Freunden Erzähltem und medialen Informationen vermischte, so öffnet sich der Künstler nun in der intimen Atmosphäre der Porträtsitzung im eigenen Atelier verstärkt den individuellen Träumen, Erfahrungen, Wünschen oder personenübergreifenden Welttheorien seiner Gegenüber, mit welchen ihn aber stets ein direktes soziales Umfeld als Basis des vertrauten Austausches verbindet. Absichtsvoll liegen den Arbeiten des Künstlers dabei traditionelle kunsthistorische Genres zu Grunde, wie etwa die Landschaftsmalerei, das Stillleben und das Porträt. Diese entwickelt Hammer jedoch über ihre Grenzen hinaus in ein erweitertes Bezugfeld, sodass sie sich nicht mehr in der Darstellung wieder erkennbarer lokaler Gegebenheiten oder individueller menschlicher Merkmale erschöpfen, sondern die Grenzen ihrer eigenen Formen sprengen: „Die Formen zu überschreiten bedeutet […] nicht, sich von den Formen zu lösen, noch ihrem Ort gegenüber fremd zu bleiben. Das Formlose geltend zu machen bedeutet nicht, Nicht-Formen zu verlangen, sondern vielmehr, sich auf eine Arbeit der Formen einzulassen.“ [2] Sowohl die Entgrenzung der tradierten Repräsentationsvorgaben als auch die Festlegungen auf unterschiedlichste Kontexte verleiht den Arbeiten des Künstlers somit ihre spezifische Dynamik.

Auf der Projektionsebene des Bildes, explizit der Leinwand oder des Zeichenkartons, vollzieht Hammer verschiedene Strategien, um Bild und Information ergänzend zusammenzubringen oder auch als utopische Parallelwelten nebeneinanderzustellen. Stets zeichnet sich dabei das Hammer’sche System dadurch aus, durch ein Zusammenfügen dichotomischer Bereiche eine facettenreiche Innenschau des Menschens frei zu legen. So wird in "Juliane 1" das von der hier porträtierten Künstlerin im Dialog mit Hammer geschilderte noch vergleichsweise unkonkrete Konzept der Entwicklung einer fiktiven männlichen Künstlerfigur namens "Alain d' Arc" wie eine Textfolie hinter die davor gelagerten Profilschatten der Interviewpartner geblendet. In "MIG" dahingegen steht in Vogelperspektive die dominierende Vedute einer ehemaligen NVA-Siedlung im Vordergrund, als der Jugend-Ort der Protagonistin "Nicole", welche in dem fensterartig eingeblendeten Textlayout ihre tristen Erinnerungen an jenen Ort wiedergibt: "(...) Und es gab niemals Leute auf der Strasse, die einfach spazieren gegangen sind (...). Um sechs gab es ein Alarmsignal. Dann war Ruhe."

Paule Hammer macht sich – anders als in seinen (Sound-)Skulpturen – in der Malerei den besonderen Charakter des Mediums Bild zunutze, als eine Ebene des "Zwischen" zu fungieren und damit dem Betrachter eine Sichtbarkeit der Dinge, Personen und Informationen anzubieten, "(...) die uns in eine Beziehung mit anderen und mit der Welt bringen und uns eine Repräsentation des Selbst, auch des eigenen Körpers, erlauben." [3] Mit und in seinen Bildern vermag der Künstler, sein gesammeltes Material zu abstrahierten Gestalten und (Text)Mustern zu transformieren, welche die Distanz zwischen dem Selbst und der Außenwelt manifestieren. Dabei stellt Hammer die (Selbst-)Wahrnehmung des sich erinnernden Subjekts (respektive seines Protagonisten) als auf bestimmten Strukturen basierende Selbstbilder vor, welche nicht auf Entitäten zurückgreifen als vielmehr auf dynamische Muster, in welchen das Verhältnis zwischen Mensch und Welt in steter Bewegung ist.

Die Idee der Emergenz des Sichtbaren vollzieht sich aber nicht nur innerhalb des Bildes sondern auch in der vom Bild in den Raum übergreifenden Gestaltung des Ausstellungsparcours' in der Galerie. Es ist die besondere Charakteristik der Arbeiten des Künstlers, den Bildgrund mit fast plakativ anmutenden Farbmischungen abzudecken, worauf sich wie beispielsweise in der Arbeit "Nicole" in hartem Kontrast und mit feinem Pinselstrichen die Lineaturen des sich weit über das Bildfeld vernetzenden Beziehungsgeflechts der Protagonistin verspannen. Auch kräftige Konturierungen einzelner Motiv- oder Textteile kommen zum Einsatz, um der Tendenz einer gegenseitigen Überblendung der einzelnen Inhalte im Bild wiederum entgegenzuwirken. Zuletzt provoziert der Künstler die Überschreitungen des maßstäblich beschränkten Projektionsschirms der Leinwand oder des Papiers in Form von direkt auf die Wand gemalten und einzelne Bilder sinngemäß miteinander verbindenden „Beziehungsarmen". Dabei will Paule Hammer nicht etwa einen theoretischen Überbau in der Ausstellung manifestieren als vielmehr einen argumentativen Zusammenhang im Sinne einer perzeptiven Offenheit der Bildwahrnehmung herstellen zwischen Sein, Erscheinung und Bedeutung.


[1] Maurice Merleau-Ponty: "Das Sichtbare und das Unsichtbare", München 1986, S. 338. [2] Georges Didi-Huberman: „Formlose Ähnlichkeit oder die Fröhliche Wissenschaft des Visuellen nach Georges Bataille“, München 2010, S. 34. [3] Vgl. Reinhold Görling: „Die Schreckensseite der Sichtbarkeit: Traumabilder“, in: Antje Kapust u. Bernhard Waldenfels (Hg.): „Kunst.Bild.Wahrnehmung.Blick. Merleau-Ponty zum Hundertsten“, München 2010, S. 118.

Press release:

"The Other is a relief, as I am, not absolutely vertical existence.” – Maurice Merleau-Ponty in The Visible and the Invisible [1]

The Jette Rudolph gallery is very pleased to present Paule Hammer’s second solo show at its gallery in Berlin. Part 1 of Paule Hammer’s “Interview Magazine” was shown at the Leipzig gallery, “Laden für Nichts,” and the Berlin exhibition picks up where it left off. Once again, the focus is on a series of interview pictures that the artist created by inviting old and new friends and acquaintances to his atelier to sit for a portrait and discussion session. The artist’s own dreams as well as larger world-encyclopedia-like issues on the problems facing humanity had previously provided the starting material for Hammer’s motif-and-text-filled pictures, which combined personal experiences with stories from friends and media information. But now, in the intimate atmosphere of a portrait session held in his own atelier, the artist opens himself more than ever before to his subjects’ personal dreams, experiences, desires or theories about the world and humanity in general – yet always within the context of a straightforward social situation that forms the basis for this close exchange. Landscape painting, the still life and the portrait are just some of the traditional art history genres that intentionally underlie the artist’s works. But Hammer takes these genres, surpasses their limits, and creates an expanded reference field. So they are not limited to representing familiar local situations or individual human characteristics, but transgress the limits of their own forms: ”Surpassing forms does not mean … breaking away from forms, alienating oneself from their location. To validate the formless does not call for non-forms; instead, it is about agreeing to work with forms.”[2] Two factors are behind the specific dynamics in Hammer’s works: the elimination of the rules governing traditional representation and the use of different contexts.

On the image’s projection surface or, more specifically, on canvas or cardboard, Hammer employs various strategies to integrate the image and information in a complementary way or to juxtapose them as utopic parallel worlds. Hammer’s system is always characterized by the following: he fuses dichotomous areas to offer a complex look inside human beings. So, in “Juliane 1,” the concept that is still relatively vague on developing a fictive male artist figure called “Alain d’Arc,” which the artist portrayed here and Hammer are in the process of discussing, is positioned like a text slide behind the profiles of the interview partners that are superimposed over it. By contrast, in “MIG,” an aerial view of a former East German military housing complex dominates in the foreground. The protagonist, “Nicole,” spent her childhood there. Her sad memories are presented in text that is superimposed over the image like a window: “... And there were never people on the street who were simply out on a walk... An alarm signal sounded at six. After that, it was always quiet.” Unlike his (sound) sculptures, in his paintings Paule Hammer takes advantage of the medium’s special nature and uses his paintings as an “intermediary” level to offer viewers a view of things, people and information “... that puts us into a relationship with others and the world and allows us to represent the self, even one’s own body.”[3] In his paintings, all the material the artist has collected is transformed into abstract shapes and text designs that represent the distance between the self and the outside world. Hammer thereby presents the (self)-perception of the remembering subject (or his protagonist) as images of the self, which are based on specific structures that are not rooted in entities, but rather in dynamic patterns, in relationships between the human being and the world that are in constant motion.

But interrelationships not only emerge and become visible within the image. They extend from the image to the actual gallery space and are inextricable from the exhibition’s layout. The artist is especially known for his almost sensational use of background colors. By contrast, in “Nicole,” Hammer uses fine brush strokes for the lineature that extends far beyond the picture’s field and the protagonist’s network of relations. Powerful contouring is also used for various motifs or text sections and works to keep them from canceling each other out. Lastly, the artist provokes the transgressions that occur when the boundaries of the projection surface or rather of the canvas or paper are overstepped and branching “relationship arms” are painted directly on the wall to connect various paintings. Paule Hammer’s objective is not to give the exhibition a theoretical superstructure, but rather to create a context that is open to debate, in other words, to create an image where issues related to existence, appearance and meaning are open to interpretation.


[1] Maurice Merleau-Ponty: The Visible and the Invisible. [2] Georges Didi-Huberman: La Ressemblance informe, ou le gai savoir visuel selon Georges Bataille, Paris, Editions Macula, 1995. [3] Please see Reinhold Görling: “Die Schreckensseite der Sichtbarkeit: Traumabilder” in Kunst.Bild.Wahrnehmung.Blick. Merleau-Ponty zum Hundertsten, edited by Antje Kapust and Bernhard Waldenfels, Munich, published by Wilhelm Fink Verlag, 2010, p. 118.

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Paule Hammer
Interview Magazin 2