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Die Kunsthalle Basel freut sich, die erste umfassende Einzelausstellung der polnischen Künstlerin Paulina Olowska (*1976 Gdansk, PL) in der Schweiz zu präsentieren. Im Zentrum der Ausstellung Pavilionesque in der Kunsthalle Basel steht ein in den Oberlichtsaal errichteter, hölzerner Pavillon. Der aus dem Französischen stammende Begriff „Pavillon“ leitet sich vom Wort „Papillon“, Schmetterling, ab. Der ephemere und zarte Charakter des Schmetterlings ist es, der sich auf den Pavillon als freistehendes, flüchtiges Bauwerk anwenden lässt, welches oft aus leichten Materialien und in rudimentärer Weise erbaut wird. Ebenso kann der Bau als mobile und unbeschwerte Architektur oder sogar als freistehende Skulptur definiert werden, die dem Nachdenken und anderen Vergnügungen dienen soll ‒ die oft nur saisonal bespielten Bauten dienen seit jeher keinem existentiellen Bedürfnis, sondern sind Orte der Kultur und der Geselligkeit.

Olowskas Pavillon erscheint als Zwischenform aus skulpturalem Werk und tatsächlichem Gebäude im Oberlichtsaal der Kunsthalle Basel. Die hölzerne Skulptur erinnert an ein Kinderspielhaus, welches die Künstlerin in vergrösserter Form für Erwachsene von Mieczyslaw Teofil Golenski, einem lokalen Schreiner in Polen, nachbauen liess. Es ist ein dreidimensionales Modell oder eine Skizze eines hölzernen Pavillons ‒ eine funktionale Skulptur, ein Gebäude in einem Gebäude, das als Kulisse für Aufführungen, aber auch für die Präsentation neu produzierter Gemälde, Keramiken, Skulpturen und Marionetten dient. Die Arbeiten in der Ausstellung, die die Künstlerin in einer Vielfalt verschiedener Medien schuf, deuten die Idee der Erschaffung einer zeitgenössischen Puppen- Performance oder eines Kabarett-Theaters an. Die Installation ist eine Hommage einerseits an die verschwindende Form volkstümlicher Architektur wie die des Kiosks, des Marktstandes oder des „Zigeuner-Wagens“ ‒ der kleinsten und einfachsten architektonischen Form ‒ genauso wie sie gleichermassen Referenz an die seltene Form des mobilen, herumreisenden Theaters ist.

Schon in früheren Arbeiten Olowskas findet man das Interesse für diese funktionalen Kulissen. Die mehrschichtigen Perspektiven, die sie dabei erreichen möchte, erinnern an Theaterkulissen, Bühnenbilder oder an tableaux vivants. Für eine Ausstellung im Kunstverein Braunschweig im Jahr 2004 realisierte sie mit der Arbeit Sie musste die Idee eines Hauses als Metapher verwerfen eine raumübergreifende Installation, die eine imaginäre Kulisse für mögliche oder bereits stattgefundene Aktionen schuf. Requisiten wie Möbelstücke verschiedener Epochen, Architekturmodelle, Wandgemälde und ein Audio-Guide verwandelten das Gebäude in ein vielschichtiges Ideenlaboratorium, welches Erinnerungsfragmente und aktuelle Bezüge zu einer kunst- und kulturgeschichtlichen Collage verschmolz. Dabei galt das besondere Interesse den Bewegungen der unterschiedlichen Strömungen der Moderne, sei es die russische Avantgarde, das Bauhaus oder die amerikanische Nachkriegskunst. So bezog sie sich beispielsweise auf Friedrich Kieslers theatralische Ausstellungsarchitektur oder die interaktiven Ausstellungskonzepte der Surrealisten.

Wie in allen Ausstellungen Olowskas wurden ausserdem weibliche Protagonistinnen in den Vordergrund gerückt. Sie präsentierte auf grossformatigen Gemälden Portraits verschiedener bedeutender weiblicher Positionen aus Kunst und Literatur wie Virginia Woolf, Vanessa Bell, Charlotte Perriand, Nina Hamnett, Peggy Moffat oder die polnische Bildhauerin und Grafikerin Alina Szapocznikow, welche auf Illustrationen aus dem Buch Woman Artists and Writers: Modernist (Im)positionings von Bridget Elliott and Jo-Ann Wallace basieren. Die Gemälde wurden auf grossen Tafeln gezeigt, welche dank angebrachter Rollen durch den Raum geschoben werden konnten und so eine Art neuen salon de femmes bildeten.

Auch für das Projekt Nova Popularna (2003) bezog Olowska die Architektur direkt in ihre Arbeit mit ein. Hier verwandelte sie zusammen mit der schottischen Künstlerin Lucy McKenzie das alte Gebäude der Society of the Friends of Fine Arts in Warschau, in welchem das erste Happening Polens, Cricotage von Tadeusz Kantor, im Jahr 1965 stattfand, in einen temporären Künstler-Salon oder ein Bohemien Café. Olowska und McKenzie schufen einen multifunktionalen Ort, an dem sich Künstler und junge Leute treffen konnten, Konzerte und Lesungen veranstaltet wurden und die Künstlerinnen selbst hinter der Bar standen. Durch die Gestaltung des Raumes durch Wandmalereien und speziell angefertigte sowie gefundene Möbel, wurde der Ort zusätzlich zu einer Art dreidimensionalem Gemälde. Die Ästhetik der klassischen polnischen Folklore wurde mit Art Deco verbunden, mit dem Ziel, die verschwindende Form des Art Salons wiederzubeleben.

Seit einigen Jahren beschäftigt sich Olowska vermehrt mit traditionellem polnischem Handwerk und verwendet in ihren Arbeiten Materialien wie beispielsweise Metall oder Keramik, in welche die Künstlerin modernistisches Vokabular mit einbezieht. In ihrem derzeitigen Wohnort Raba Niżna in Polen kam sie in Kontakt mit dem lokalen Puppentheater Rabcio aus Rabka-Zdrój, dessen Geschichte bis in die 1950er Jahre zurückreicht. Um die Tradition dieses experimentellen Theaters wiederzubeleben, reproduzierte Olowska die wunderschön gestalteten, frühen Vorstellungsplakate und kreierte neue Bühnenbilder und Requisiten für mögliche Aufführungen eines Puppentheaters.

In Pavilionesque legt Olowska einen speziellen Fokus auf eine ganz spezifische Ästhetik, die des Puppen- und Marionettentheaters. Die Künstlerin unternahm Reisen zum Museo Internazionale delle Marionette in Palermo, Sizilien sowie in das Institut International de la Marionnette in Charleville-Mézières in Frankreich, um sich ausgiebiger mit der Thematik auseinanderzusetzen. Weitergehend verbrachte sie Zeit in den Archiven mehrerer polnischer Marionettentheater wie dem Teatr Groteska in Krakau, dem Teatr Baj in Warschau, dem Teatr Lalek Banialuka in Bielsko-Biala aber auch dem wohl bekanntesten Archiv Cricoteka des bedeutenden polnischen Künstlers Tadeusz Kantor (1915–1990). Kantor gilt als einer der wichtigsten Vertreter des experimentellen Theaters, der sich an den Ideen der künstlerischen Avantgarde orientierte, mit dem Ziel, die vorherrschende distanzierte Bühnensituation des klassischen Theaters aufzubrechen und für das Publikum zu öffnen. Mit seinem Theater des Todes schuf er eine kulissenhafte Skulptur, die gleichzeitig Happening, Performance und Schauspiel verband. Die Mischung aus lebensgrossen Puppen und echten Schauspielern präsentierte einen leeren Körper in unheimlicher und bedrohlicher Weise und dennoch konnte man urtypische Wesenszüge des Menschseins in ihnen ablesen.

Die neuen Malereien und Grafiken Paulina Olowskas, die als Teil von Pavilionesque entstanden sind, präsentieren ausgewählte Standbild-Szenen, die beispielhaft Beziehungen zwischen Schauspieler und Puppe sowie zwischen Puppe und Abstraktion zeigen. Die Puppe oder Marionette steht zwar im Vordergrund, aber auch in unmittelbarer Beziehung mit dem Spieler. Eine mysteriöse Kollaboration zwischen den expressiven Händen der Spieler und dem imaginären Körper der Puppe entsteht. Die Marionette kann als Sinnbild des menschlichen Daseins gesehen werden, sprachlos bekommt sie erst dann eine Stimme, wenn sie der Puppenspieler bewegt. Gleichzeitig ist sie frei von jeglichen menschlichen und physischen Limitierungen, kann das Unaussprechliche aussprechen. Sie funktioniert als stellvertretende Position kindlicher Unschuld und trägt trotzdem etwas Unheimliches und Merkwürdiges in sich.

Olowska greift in ihren Malereien dieses “Unheimliche” auf und präsentiert in ihren 13 in Gouache und Öl gemalten Bildern, auf verschiedenen Ebenen, seien sie dokumentarisch, emotional oder persönlich, ein Gesamtbild des Marionettentheaters. Wir sehen Theaterkulissen, Bühnenbilder und Marionettenspieler. Neben dem Pavillon in Saal 10 finden wir Gemälde, die man als dokumentarisch bezeichnen könnte. Das grösste Gemälde Beauty Life (2013), genauso wie Niebieski Ptak (Jan Dorman wg. M. Maeterlincka 1963)/Blue bird (Jan Dorman after M. Maeterlinck 1963) (2013) und die beiden Bilder Groteska I (2013) und Groteska II (2013) kann man dieser Gruppe zuordnen.

Herta Frankel, y sus marionetas (2013) zeigt ein Portrait der spanischen Marionettenspielerin Herta Frankel (1913–1996). Neben Emmy Hennings, Margo Rose, Lotte Pritzel und Maria Signorelli ist sie eine wichtige Frauenposition des Genres. In den 60er Jahren galt Frankel mit ihren Marionetten als Pionierin des Kinderprogramms im spanischen Fernsehen. Olowska legt den Fokus bewusst auf die Darstellung der Frau mit der Marionette, den Mensch und die Figur, die Künstlerin und ihr Kunstwerk.

Persönlicher wird Olowska in Saal 12 mit Mały nieznany teatr/Small unknown theatre (2013) oder Teatr/The Theatre (2013), einem Portrait zweier anonymer Marionettenspieler, im Vordergrund ihre Marionetten, im Hintergrund eine Kulisse, das Theater, in dem sie spielen. Im Fokus steht die Darstellung von Mensch und Puppe, die Beziehung zwischen Spieler und Marionette. Eine deutliche Ähnlichkeit in der Ästhetik zu ihrer früheren Arbeit Applied fantastic (2010) ist dabei zu erkennen, in der sie grossformatige Malereien von polnischen Strickmuster-Postkarten aus den 70ern anfertigte.

Die emotionale Bindung zwischen Betrachter, vor allem zwischen Kind und Puppe, wird auf den Bildern Biały Łoś/The White Moose (2013) und Laleczka/The Dolly (2013) behandelt. Hier liegt der Fokus auf der spielerischen Beziehung von Kind zum unheimlichen Universum des Theaters.

In Saal 11 stehen Keramiken sowie mehrere gemalte Plakate, welche auf diversen Vorstelungsplakaten des Puppentheaters Rabka-Zdrój basieren. Die Keramikhäuser, welche in einer lokalen Keramikwerkstatt in Rabna Niżna (PL) hergestellt wurden, zeigen Nachbildungen von Gebäuden aus Olowskas Nachbarschaft. Sie tragen die Titel der originalen Gebäude, wie beispielsweise „Friseur“, „Optiker“ oder „Fotogeschäft“ und bilden so eine Art Weiterführung der Kulisse oder des Settings des Saals 10. Weitergehend repräsentieren sie die zum Teil einfache Architektur der polnischen Provinz und schaffen ein Bild des Ortes, an dem Olowskas Faszination für das Puppen- und Marionetten-Theater begann, in Rabka, Polen. Ebenso wie der Bau des Pavillons erscheinen auch Olowskas Keramikskulpturen rudimentär, ähnlich wie das Bauen eines Hauses, das Formen von Sand oder das Kneten von Teig und lassen die natürliche Vorgänge ihrer Machart erahnen.

Die Besucher der Ausstellung Pavilionesque werden nicht nur Statisten, sondern selbst zu Protagonisten in Paulina Olowskas Theater. Die ironische Widersprüchlichkeit zwischen historischen Begegnungen, subjektiven Erlebnissen und kulissenhaftem Aufbau setzt die Ebenen in ein suggestives Verhältnis, das vielschichtige Narrationsebenen zulässt und zusätzlich bemerkenswerte Momente historischer Entwicklungen, unentdeckter Kunstformen und vergessener Ästhetik freilegt und neu anregt. Pavilionesque ist eine Narration, welche all diese Themen integriert und sich dem Betrachter als ein facettenreiches und diverse Genres betreffendes Kunstwerk präsentiert, das nicht nur angesehen, sondern auch betreten werden kann.

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Paulina Olowska
Pavilionesque