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Pedro Barateiro präsentiert mit Theatre of Hunters (Theater der Jäger), seiner ersten Einzelausstellung ausserhalb Portugals, in den fünf Räumen des Erdgeschosses der Kunsthalle Basel eine Abfolge von Installationen, welche «inszenierte» Skulpturen, gefundene Objekte, Fotografien, Zeichnungen, Malereien und Filme umfassen.

Das vielfältige Schaffen von Barateiro kann in einem zeitgenössischen Modus der Post-Studio-Produktion verortet werden, die weder an ein Medium gebunden, noch auf eine bestimmte fachgemässe Herstellung von Objekten limitiert ist. Statt dessen arbeitet der in Lissabon lebende Künstler hauptsächlich mit aus den unterschiedlichsten Bereichen gesammelten gängigen Bildern, Dokumenten, literarischen Texten, gefundenen Objekten und Kunstwerken. Barateiros Praxis ist geprägt von einer kritischen Relektüre derjenigen kulturellen und historischen Texte, die bei der Festlegung unserer Wahrnehmung der Realität eine grosse Rolle spielen. Mehr noch als auf erlebte Erfahrungen zu reagieren oder diese zu spiegeln, vermittelt Barateiro hoch codierte und fragmentierte Aussagen mittels komplexer visueller Zeichen, welche die Qualität von Traumerinnerungen besitzen, die sich aber gleichzeitig auf spezifische Referenten beziehen.

In seiner Installation Plateia (Publikum), die 2008 im Pavilhão Branco im Museu da Cidade in Lissabon realisiert wurde, ordnete Barateiro eine Anzahl gewöhnlicher Stühle in der Art, wie sie regelmässig für öffentliche Veranstaltungen benutzt werden, in einem Raster und versenkte sie zur Hälfte in eine Plattform aus Beton. Der Akt des Schauens wurde dem passiven und unbeweglichen Mobiliar gleichsam übertragen. In der aktuellen Ausstellung der Kunsthalle Basel präsentiert der Künstler als Teil einer Installation eine Fotografie, die von Edward Sheriff Curtis (1868–1952), Autor des zwanzigbändigen, illustrierten Buchs The North American Indian (Der nordamerikanische Indianer, 1915) aufgenommen wurde. Von der frühen amerikanischen Presse wurde Curtis als der «kamerabewehrte Kreuzritter des roten Mannes» bezeichnet. Das Bild zeigt einen Quagyuhl-Indianer mit einer Maske des sagenhaften Bezwingers eines menschenfressenden Oktopus und wird von Barateiro auf eine der Wände der Kunsthalle projiziert. Dem geläufigen Narrativ der Ethnologie entnommen, spielt das Archivbild eine neue Rolle im «Theater der Jäger» und erlangt eine gespenstische Präsenz.

In früheren Arbeiten, welche die Darstellung der ehemaligen portugiesischen Kolonien Angola und Mozambique in den Medien thematisierten, hat Barateiro Archivmaterial des portugiesischen Fernsehens benutzt. In der Kunsthalle Basel ist ein tonloses Video in Zeitlupe zu sehen, das sich auf das engelhafte Gesicht von Lia Gama (geb. 1944) konzentriert, der ikonischen portugiesischen Film- und Theaterschauspielerin. Ein zweites Video, ebenfalls Archivmaterial der portugiesischen Fernsehsendung Palavras Ditas (Gesprochene Worte), zeigt den Schauspieler Mário Viegas, wie er das groteske dadaistische Gedicht A Cena do Ódio (Szene des Hasses, 1915) des portugiesischen Avantgarde-Schauspielers, Dichters und Malers José de Almada Negreiros (1893–1970) rezitiert. Von Barateiro auf den gegenüberliegenden Seiten des gleichen Raumes installiert, spielen diese historischen Performances nun Rollen in einem neuen Stück.

Der Titel von Barateiros Ausstellung in der Kunsthalle Basel suggeriert die Verschmelzung zweier divergierender Felder, auf die sich der Künstler in seinen bisherigen Arbeiten häufig bezogen hat – der darstellenden Künste und der Kulturanthropologie. Obwohl es verlockend scheint, Analogien zwischen einer Ausstellung und einem Theaterstück aufzustellen, visuelles Display und Bühnenbild zu vergleichen, oder die Rolle des Künstlers mit derjenigen des Kurators oder Theaterdirektors, können solche Parallelen irreführend sein. Barateiros Theatre of Hunters ist genau deshalb nicht Theater, weil es den Apparat des Theaters dekonstruiert und vor Augen führt, anstatt der narrativen Logik des Spektakels zu folgen. Letzteres geschieht häufig in Ausstellungen, die Kunstwerke als Requisiten in von Kuratoren geschriebenen Stücken einsetzen und versuchen, Geschichten zu erzählen oder Themen zu illustrieren, anstatt es den Künstlern zu ermöglichen, ihren Ideen verständliche Formen zu geben.

Barateiros Repertoire an aus dem Bereich des Theaters entliehenen Motiven und Inszenierungstechniken schliesst auch die Beteiligung von Schauspielern als performative Erweiterung der Skulpturen oder Installationen mit ein. Ebenso Teil davon ist die Nachahmung der dreigeteilten Struktur des Theaterraums – die Bereiche «Hinterbühne», «Bühne» und «Zuschauerraum» – innerhalb seiner Installationen. Auch verwendet er bestehende Theaterkostüme und -accessoires für seine «darstellenden Skulpturen», verschiedene «Doubles» (Skulpturen als Schauspieler, Schauspieler als Skulpturen, Gemälde als Dekorationen, Bilder als Skripte, Texte als Bilder etc.) und schliesslich, neben seinen eigenen, die Arbeiten von zwei anderen Künstlern.

Dazu gehört eine abstrakte geometrische Zeichnung von Mário Alberto (geb. 1925) für eine «Komödienbühne», die Barateiro aus der Sammlung des Museu Nacional do Teatro in Lissabon auswählte (laut Vitruvs architektonischer Typologie war die der Komödienszene entsprechende Umgebung eine Strasse, die der Tragödie ein Palast und die des pastoralen oder satyrischen Stücks eine Waldlandschaft). Barateiro integrierte auch eine Reihe von Gemälden der portugiesischen Künstlerin Ana Jotta (geb. 1946) in seine Ausstellung, die entlang derjenigen Installation gehängt sind, welche an den Bereich der «Hinterbühne» erinnert und die Ausstellung eröffnet. Jotta ist eine der bedeutendsten Vertreterinnen der portugiesischen Kunstszene und machte in den 1970er Jahren zuerst als Schauspielerin Karriere, bevor sie sich in den 1980ern mit Malerei, Zeichnung und Performance den bildenden Künsten zuwandte. Ihre Arbeitsweise basiert auf der Missachtung eines einzelnen Stils oder Regelwerks künstlerischer Produktion. Dementsprechend besteht ihr Beitrag zu Theatre of Hunters aus vier expressiv-realistischen Chiaroscuro-Zeichnungen auf golden grundierten Leinwänden. Sie zeigen einen staubigen Bereich hinter der Bühne mit einem an der Wand hängenden Erste-Hilfe- Kasten, eine kafkaeske Stadtansicht, eine fantastische Landschaft und ein geräumiges Schlafzimmer mit einem Rennwagen aus den 1930er Jahren. Alle vier Settings erinnern eher an Bühnendekorationen als an «reale» Räume, wobei die beiden letztgenannten stilistisch dem kurvigen, stromlinienförmigen Stil des späten Art Déco verpflichtet sind.

Der Titel Theatre of Hunters ist ein relativ offensichtlicher Anklang an Antonin Artauds Theatre of Cruelty (dt. Theater der Grausamkeit), obwohl Artaud in der Ausstellung nicht mehr weiter zitiert ist, während Textausschnitte von Louis Aragon, Denis Diderot und Oscar Wilde als Zwischentitel in Barateiros neuem Film Hoje estamos de olhos fechados (Heute sind unsere Augen geschlossen, 2010) verwendet werden. Der Film ist in der Kunsthalle zum ersten Mal präsentiert und wird danach in der Kunsthalle Lissabon, einem Ausstellungsraum und kuratorischen Projekt von João Mourão und Luís Silva, zu sehen sein. Er besteht aus zwei aufeinanderfolgenden Teilen. Im ersten Abschnitt sehen wir Negative von tropischen Bäumen und Büschen in einem kleinen Lissabonner Park, während der zweite Teil Material zeigt, das Barateiro an der Fakultät für Architektur und Urbanismus an der Universität von São Paulo (FAU-USP) aufgenommen hat. Das Gebäude wurde in den 1960er Jahren von João Vilanova Artigas (1915–1985) gebaut, einem der führenden Vertreter der brasilianischen Moderne.

Vielleicht ist diese visuelle Sprache von modernistischer Architektur und Grafikdesign – mit einer Duchamp’schen Wendung – die Inspiration für die Installation im letzten Raum von Barateiros Ausstellung. Auf drei von oben beleuchteten Tischen sind abstrakte Muster aus goldfarbenen Bleistiften präsentiert. Dieses Werk steht in Zusammenhang mit einer Reihe skulpturaler Arbeiten im ersten Raum, die sich alle auf Rituale, Spiele oder Rätsel beziehen. Die kleinen Skulpturen wurden in Reihen angeordnet und erinnern an einen Zuschauerraum. Sie wirken zugleich traumähnlich und seltsam vertraut: eine vergoldete Kartonschachtel, ein Sockel mit dem Bild einer Frau, die eine Kamera hält, die rote aus Karton ausgeschnittene Skyline einer Stadt, die auf einem Stuhl präsentiert wird, und die von einem hölzernen Kasten umhüllte Fotografie einer Skulptur der ägyptischen Katzengöttin Bastet.

Dieses «Publikum» aus sitzenden Objekten findet seinen Gegenpart in der regelmässigen Anwesenheit des realen Publikums während der von Pedro Barateiro geschriebenen Performance, die bis zum Ende der Ausstellung jeden Donnerstag um 19.30 Uhr von wechselnden Basler Schauspielern aufgeführt werden wird. Die 15-minütigePerformance wird im vierten Saal stattfinden, wo die Installation The Theatre of Hunters – eine frei stehende Holzkonstruktion mit den Schuhen und dem Schal des Schauspielers Mário Viegas und eines daneben liegenden Palmblatts – zu sehen ist.