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24.06.2020 – 15.11.2020

Pedro Reyes. Return to Sender

Waffen verkörpern die Herrschaft der Angst, Musik hingegen die Herrschaft des Vertrauens – beide beinhalten Kreativität und Technik, aber das eine ist dazu gedacht, andere zu unterdrücken, das andere ist eine Form der Befreiung. Diese skulpturalen Arbeiten sollen nicht nur Materie umwandeln, sie sollen auch eine psychologische Umwandlung zur Folge haben, und hoffentlich auch eine Umwandlung der Gesellschaft.
Pedro Reyes in "Return to Sender" (2020)

Pedro Reyes (geb. 1972, lebt und arbeitet in Mexiko-Stadt) verwendet in seinen Arbeiten Architektur, Skulptur, Video, Performance und Partizipation, um kollektive und individuelle Handlungsmacht in politischen, sozialen, ökologischen und pädagogischen Situationen zu befördern. Seine Projekte vollziehen sich im Spannungsfeld eines sozial geprägten Architekturverständnisses, der sinnlichen und symbolischen Dimension des Plastischen und einer dezidiert politischen Haltung, die radikal humanistisch und marxistisch ausgerichtet ist. So zeigte er zum Beispiel 2012 an der documenta 13 die Arbeit Sanatorium, einen Erste-Hilfe-Pavillon für Zivilisationskrankheiten wie Stress oder Angst, die auf spielerische, aber doch sozial verbindliche und verbindende Weise vielerlei Therapien basierend auf Schamanismus, Kognitionsforschung oder Beziehungsberatung anbot. Im Museum Tinguely war er bereits 2016 im Rahmen der Ausstellung «Prière de toucher – Der Tastsinn der Kunst» mit der Arbeit Cuerpomático II (2015) vertreten, einem Werkzeugkasten, der sinnliche Objekte der Berührung präsentierte.

Kunst und Gesellschaft
Ursprünglich als Architekt ausgebildet, betrieb Reyes von 1996 bis 2002 den Projektraum ‹Torre de los Vientos› in Mexiko-Stadt. Internationale Aufmerksamkeit erregte er mit dem Projekt Palas por Pistolas von 2007, für das er mit den lokalen Behörden von Culiacán, Mexiko, zusammenarbeitete, um Waffen aus der Bevölkerung gegen Coupons für Haushalts- und Elektroartikel einzutauschen. Die Waffen wurden eingeschmolzen und zu 1’527 Schaufeln gegossen, um damit eine gleiche Anzahl von Bäumen zu pflanzen. Diese Aktionen wurden seither sowohl im lokalen Umfeld als auch mit internationalen Kulturinstitutionen weitergeführt. Im Zusammenhang mit Reyes Ausstellung «Return to Sender» im Museum Tinguely findet dieses Projekt mit der Neupflanzung eines Kastanienbaumes direkt vor dem Museumseingang eine Fortsetzung.

Die Einladung an Reyes, ein neues Werk für das Museum Tinguely zu konzipieren, knüpft an einer vorangegangenen Arbeit von 2012 an. Für die Werkgruppe Disarm konnte der Künstler 6’700 im mexikanischen Drogenkrieg konfiszierte Waffen verwenden und sie zu Musikinstrumenten transformieren. In einer ersten Version (Disarm) schuf er Instrumente, die von befreundeten Musikern und Musikerinnen live bespielt werden konnten. Darauf folgte die Konzeption eines mehrteiligen Waffen-Instrumenten-Ensembles Disarm (Mechanized) I, 2012-13 / II, 2014), das mechanisiert und automatisiert perkussive Musikstücke spielt.

Beide Projekte, Palas por Pistolas und Disarm, entstanden aus der spezifischen Situation des mexikanischen Drogenkrieges heraus. Die Kommerzialisierung und Verbreitung von Waffen ist allerdings ein weltweites Problem, das Reyes mit den neuen Arbeiten Disarm Music Box (2020) in den Fokus nimmt. Damit kritisiert er aus einer pazifistischen Perspektive die stets weitergehende Akkumulation von Waffen in der Welt. In dieser neu geschaffenen Werkgruppe werden Waffen von spezifischen Herstellern – es gibt sie fast in jedem Land der Welt – erworben und anschliessend zerstört, um aus ihren Läufen Klangkörper zu schaffen, die in neu kreierten Musikspieldosen eingesetzt werden. Sie spielen bekannte, klassische Musikstücke aus den Herkunftsländern der Fabrikanten. Mozarts Komposition erklingt in einer Spieldose mit Waffenteilen von Glock-Pistolen, Vivaldi mit Beretta-Läufen und für den Schweizer Liedermacher Mani Matter hat Reyes Karabiner gewählt. Ihm geht es darum, ein ‹Upcycling› zu betreiben – ein Instrument des Todes zu einem Musikinstrument zu transformieren, das für Dialog und Austausch steht. Er unternimmt diesen Transformationsprozess mit der Überzeugung, dass der physische Akt immer auch von einem ideellen begleitet ist, und appelliert an die spirituelle Dimension dieser quasi-alchemistischen Operation hin zum Guten.