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Urbane Landwirtschaft gibt es in unterschiedlichen Ausprägungen weltweit. Doch hat die Trennung von Arbeits- und Lebensbereichen bzw. die Rationalisierung der Nahrungsmittelproduktion diese Praxis in Vergessenheit geraten lassen. Entwicklung sollte in der Moderne über Industrialisierung und Großprojekte stattfinden und es wurde zur Imagefrage, ob sich eine Stadt als Industriestandort empfiehlt oder kleinteilige Strukturen unterstützen möchte. Die Krisen der letzten 20 Jahre (Grenzen des Wachstums, Zusammenbruch des Ostblocks, Folgen der Globalisierung etc.) haben die Notwendigkeit einer lokalen Versorgungs- und Arbeitspolitik wieder auf den Tisch gebracht. Bezeichnend ist hier die Umorientierung der Entwicklungshilfe, die nach der Förderung von Großprojekten heute auch urbane Landwirtschaft als Lösungsmodell für die Versorgung von Städten in den sog. Entwicklungsländern propagiert. Betont werden die positiven Nebeneffekte auf die Beschäftigungslage und die soziale Situation der Akteure. Nunmehr nähert sich das Phänomen auch den westlichen Industriezentren: In allen ehemaligen Ostblockstaaten läßt sich eine Zunahme der Subsistenzwirtschaft auf Parzellen und Datschen beobachten und auch in der Bundesrepublik wird in strukturschwachen Gegenden vermehrter Teilzeitlandbau betrieben. Selbst am Stadtrand von München vermieten Bauern wieder einzelne Ackerfurchen für den Anbau von Gemüse.

In Deutschland gibt es eine lange Tradition der Schrebergärten, deren Vorhandensein wie auch behördliche Beschränkungen eine Reminiszenz an die Krisenwirtschaft nach den beiden Weltkriegen darstellen. Für die Planungsämter der Städte liegen die Kleingartenanlagen eindeutig auf sogenanntem „Bauerwartungsland“ für potentiellen Wohnungsbau oder Industrieansiedelungen. Entsprechend unsicher ist die Zukunft vieler Schrebergärten, das Bewohnen ist nicht erlaubt und Landbau nur eingeschränkt möglich. Was passiert aber, wenn das Wachstum ausbleibt?

Interessant ist hierbei die Verknüpfung zwischen ökonomischen, politischen, sozialen und urbanistischen Fragestellungen: Aus dem Niedergang des ersten Arbeitsmarktes und der Zunahme informeller Tätigkeiten erwächst die Notwendigkeit einer Patchwork-Ökonomie die auch Kleinlandwirtschaft als Einnahme- bzw. Versorgungsfaktor wieder attraktiv macht. Eigenverantwortlichkeit und Selbstbestimmtheit sind Begriffe, die für die Arbeit der innerstädtischen GärtnerInnen tatsächlich zutreffen und auch vehemment eingefordert werden. Derartige Community Gardens, wie sie in den USA heißen, sind zudem ein funktionierendes Kommunikationsmedium für Nachbarschaften. Sie können das örtliche Zusammenleben nachhaltig beeinflussen und zu einem besseren wenden. Wenn urbane Landwirtschaft nicht bereits im Ansatz reglementiert würde (etwa durch die stark eingrenzende Schrebergartenverordnungen), könnten hier postindustrielle Entwicklungsmodelle für das Leben in der Stadt entstehen.

Pressetext

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Kartoffeläckerstädte, Kuhhirtenbürgermeister und Rübenökonomie
Perspektiven urbaner Landwirtschaft

Freitag, 19.11.04, 20:00 Uhr, Filmabend
Boris Gerrets zeigt Gärten aus Detroit und St. Petersburg. Ein ungewöhnlicher Vergleich, da die beiden Städte aus ganz unterschiedlichen Gründen einen Niedergang erfahren haben. In den Gesprächen mit den GärtnerInnen wird jedoch deutlich, wie naheliegend eine landwirtschaftliche Tätigkeit in dieser Situation ist und welche Auswirkungen dies auf mikro- und makroökonomischer Ebene hat. Mit den Gärten kommt eine dörfliche Mentalität zurück, die eine positive Wirkung auf das soziale Leben in der Stadt ausübt.
Garden Stories - Looking for the Country in the City, 51 Min., Regie: Boris Gerrets, NL 2004
Im Anschluß gibt es noch Ausschnitte anderer Filme zu sehen, die Gartenprojekte in New York, Buenos Aires und auf Cuba zeigen.

Samstag, 20.11.04, Vortragsveranstaltung und Diskussion
17:00 Uhr, Projekte: Ulrike Solbrig (Künstlerin und Gartenaktivistin, Berlin), Interkulturelle Gärten Friedrichshain Kreuzberg und andere Initiativen in Berlin; Konrad Bucher und Christl Willmitzer (ZAK, München), Bewohnergärten in München-Neuperlach; Ingo Vetter (Künstler, Berlin), Urbane Landwirtschaft in Detroit; Daniel Herrmann (Kultur/Block e.V., Halle), Neustadt-Gärten in Halle.

20:00 Uhr, Perspektiven: Brigitte Franzen (Kulturwissenschaftlerin und Autorin, München), Das kleine Grün - eine Kurzgeschichte; Elisabeth Meyer-Renschhausen (Soziologin und Autorin, Berlin), Selbsthilfe durch Eigenarbeit: Kleinstlandwirtschaft und Gärten als "weibliche Ökonomie".
anschließend Diskussion
Moderation: Heike Ander und Stefan Römer