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DIE SCHIRN ZEIGT EINE RETROSPEKTIVE DES MALERS PETER DOIG UND ÜBERTRÄGT DOIGS STUDIOFILMCLUB FÜR ZWEI MONATE NACH FRANKFURT

Peter Doig gilt als einer der maßgeblichen und international einflussreichsten Maler der Gegenwart. Anhand von rund 50 Gemälden, einer Gruppe von Arbeiten auf Papier und rund 130 gemalten Filmpostern zeigt die Schirn einen umfassenden Überblick über sein Schaffen der letzten zwanzig Jahre. Viele der ausgestellten Werke waren bisher nie in Deutschland zu sehen. Einen Schwerpunkt der Schau bilden Gemälde, die Doig in den vergangenen fünf Jahren in Trinidad geschaffen hat, sowie gemalte Poster, die für sein Kinoprojekt, den STUDIOFILMCLUB in Port of Spain auf Trinidad, entstanden sind. Anlässlich der Ausstellung wird Doig zudem einen eigenen Frankfurter STUDIOFILMCLUB einrichten, in dem vom 9. Oktober bis 30. November 2008 jeweils mittwochs von 19 bis 22 Uhr ein vom Künstler ausgewähltes Filmprogramm gezeigt wird. Peter Doigs Gemälde beziehen sich einerseits auf die Geschichte der Malerei und sind andererseits fest im heutigen Leben verankert. Ausgangspunkt für seine Bilder sind oft Reiseprospekte, Zeitungsfotos, Filmstills oder private Schnappschüsse. Gleichzeitig spiegeln sich in ihnen auch die wechselnden Umgebungen und Gesellschaften, in denen der Künstler gelebt hat: die gefrorenen Seen seiner Kindheit in Kanada, die schillernde Metropole London oder die karibischen Landschaften und urbanen Szenerien Trinidads. In visionären Landschaften, deren Ruhe jeden Moment zu kippen scheint, gerinnen Erinnerung, Biografisches, populäre Bilder und erzählte Handlungen zu traumartigen Sequenzen.

Die Ausstellung "Peter Doig" wird vom Verein der Freunde der Schirn Kunsthalle e. V. gefördert.

1959 in Edinburgh geboren, in Trinidad und Kanada aufgewachsen, verbrachte Peter Doig zwei Jahrzehnte in London und lebt seit 2002 wieder in Trinidad. Von 1980 bis 1983 studierte er an der St. Martin's School of Art, wo er seine ersten Streifzüge in die figurative Malerei unternahm. 1986 kehrte er nach Kanada zurück, arbeitete in Montreal als Kulissenmaler in der Filmbranche und widmete sich in der freien Zeit weiterhin seiner eigenen Malerei. 1989 ging er erneut nach London und schrieb sich an der Chelsea School of Art ein. An diesem Punkt setzen die aktuelle Ausstellung und der Katalog ein, denn in den ersten Jahren nach Doigs Rückkehr nach London entstanden viele Werke, die den Grundstein für sein gesamtes späteres Schaffen und seinen nun schnell einsetzenden Erfolg in der Kunstwelt bilden: unheimlich wirkende Landschaftsbilder unter dem Einsatz von leuchtenden Ölfarben und pastos bearbeiteten Oberflächen. Im Lauf der Jahre ist aus diesem Ansatz Doigs unverwechselbare Malerei zwischen Figuration und Abstraktion hervorgegangen, welche die Schirn Kunsthalle bereits im Rahmen von zwei Gruppenausstellungen gewürdigt hat: In "Lieber Maler male mir ..." (2003) und "Wunschwelten - Neue Romantik in der Kunst der Gegenwart" (2005) haben Werke von Peter Doig eine zentrale Rolle gespielt.

Die aktuelle Schau, in enger Zusammenarbeit mit dem Künstler entstanden, gibt dem Besucher nun Gelegenheit, sich Doigs vielschichtige Themenwelt und seine malerisch-technische Entwicklung im großen Zusammenhang zu erschließen. Werke aus zwei Jahrzehnten vermitteln die Erfahrung eines ständigen Szenenwechsels, der dennoch zu immer wiederkehrenden Orten und Situationen führt, die seltsam bekannt und unheimlich zugleich erscheinen: Auf einem herbstlichen See treibt ein einsames Boot, ein Pferd grast in einer paradiesischen Bucht, hinter dunklen Wäldern leuchtet die weiße Fassade eines Wohnblocks auf. Doch wenn diese fantastischen Landschaften oft auch reale Vorbilder haben, geht es in ihnen nicht um konkrete Orte. Die Motive sind durch den Filter der Erinnerung und aus der Distanz gesehen. Der Künstler malt in seinem Atelier in London kanadische Winterlandschaften, während ihn in Kanada wiederum seine Erinnerungen an London nicht loslassen. Gleichzeitig verschmelzen seine Landschaftsentwürfe mit Bildern aus dem großen kollektiven Bildgedächtnis, gespeist aus aktuellen Medien und der Kunstgeschichte. "Die Leute gehen irrtümlich davon aus", sagt Doig, "dass es in meinen Bildern nur um meine eigenen Erinnerungen geht. Selbstverständlich kann man diesen nicht entkommen. Aber ich interessiere mich mehr für die Idee der Erinnerung." Der Künstler hat häufig auf seine Suche nach einer "Atmosphäre" für jedes seiner Gemälde verwiesen, und bereits in frühen Gemälden tritt die Bedeutung zutage, die er dem Bildthema beimisst - doch nicht als narrativem Element, sondern als Tor zur individuellen Erfahrung des Betrachters. "Hitch Hiker" (1989/90) nimmt den Betrachter mit auf einen Truck, mit allen Verheißungen eines ungewissen Abenteuers. Schnurgerade zieht sich die offene Straße unter einem stürmischen Himmel dahin; der dünn aufgetragene grüne Vordergrund fällt ab und zeigt keinerlei Details. Im Ungewissen verhaftet bleibt auch die nächtliche Landschaftsszene von "Milky Way" (1989/90). Die Idee für das Gemälde und das Motiv des Kanus, das bis heute im Werk des Künstlers eine Rolle spielt, gehen auf eine Szene aus dem bekannten Horrorfilm "Freitag, der 13." zurück.

Vielen von Doigs Gemälden eignet etwas Unbestimmtes, Ambivalentes, Widersprüchliches. Immer wieder leugnet beispielsweise der Aufbau des Bildes den Raum des dargestellten Motivs. Der Künstler lässt Farbflächen flimmern, legt blass schimmernde Flecken wie einen Schleier über das Bild oder rastert die Oberfläche in fast abstrakt wirkenden Motivüberschneidungen. In der "Concrete Cabin"-Serie (1992) verliert sich der utopische Traum einer modernen Heimstatt - Le Corbusiers Unité d'Habilitation in Briey-en-Foret - im unheimlichen Dickicht des Waldes, in den das als Wohnunterkunft für Wanderarbeiter gedachte Gebäude eingebettet ist. Bewusst hat der Künstler die Hierarchie innerhalb des Bildes aufgelöst, für visuelle Desorientierung gesorgt und sich damit gleichermaßen als formalistischer wie auch als gegenständlicher Maler etabliert: "Statt die Fassade eines Gebäudes zu malen und dann mit Bäumen zu verdecken, holte ich die Architektur durch das Blattwerk hindurch hervor, sodass das Bild sich ins Auge des Betrachters drängt. Meiner Ansicht nach ist das eine viel wirklichkeitsgetreuere Weise, Dinge zu betrachten, weil es der Art und Weise entspricht, wie das Auge sieht: man sieht ständig durch Dinge hindurch, sieht gleichzeitig den Vorder- und den Hintergrund."

Auch die Figuren in Doigs Bildern tragen das Fantastische in sich. Sie scheinen einer anderen Zeit zu entstammen - obwohl sie häufig reale Personen darstellen. So zeigt die traumartige Fantasie "Gasthof zur Muldentalsperre" (2000-2002) Doig selbst mit einem befreundeten Künstler. Beide tragen märchenhaft anmutende Kostüme aus einer Produktion von Strawinskis Ballett "Petruschka". Wie in vielen Gemälden Doigs geht auch dieses Figurenpaar auf ein Foto zurück, einen Schnappschuss aus der Zeit, als der Künstler nach Ende seines Studiums als Garderobier in der English National Opera arbeitete. In der Verbindung des Fotos mit einer Postkarte aus dem 19. Jahrhundert entsteht eine der surrealsten Erscheinungen des Malers: der Künstler in einer verzauberten Landschaft als theatrale Figur in romantischer Verkleidung.

Im Jahr 2000 kehrte Doig zu einem Studienaufenthalt an einen Ort zurück, den er aus seiner Kindheit kannte und der in Folge einen starken Einfluss auf seine Kunst haben sollte: die Karibik-Insel Trinidad, auf die er schließlich 2002 mit seiner Familie zog. Doig hütet sich zwar, unmittelbar Bildthemen aus Trinidad aufzugreifen, aber die Fotografien, die er während seines ersten Aufenthalts dort aufnahm, tauchen in wichtigen Werken wieder auf: "Grande Riviere" (2001/02), "100 Years Ago (Carrera)" (2001), "Pelican" (2004) und "Pelican (Stag)" (2004). Als er zum ersten Mal nach Trinidad zurückkehrte, empfand er die Landschaft als extrem "präsent und mächtig". Bis heute ist Trinidad nicht nur als Einfluss seiner Imagination von Bedeutung, sondern inspiriert auch neue methodische Ansätze. So spielen in Gemälden wie "Figures in Red Boat" (2005-2007), "Pelican Island" (2006) oder "Man Dressed as Bat" (2007) die Farbe und ihre nun feiner lasierte Leuchtkraft eine zusehends zentralere Rolle. Doig selbst spricht heute von einer Suche nach "reinen Bildern, die sich zu einer Art von Abstraktion entwickeln".

Die Ausstellung wurde organisiert von der Tate Britain in Zusammenarbeit mit der Schirn Kunsthalle Frankfurt und dem Musée d'Art moderne de la Ville de Paris.

STUDIOFILMCLUB 9. Oktober bis 30. November 2008, jeden Mittwoch 19-22 Uhr

Als Peter Doig im Frühjahr 2003 zusammen mit dem Künstler Che Lovelace den STUDIOFILMCLUB in Port of Spain auf Trinidad gründete, hatten bereits große Multiplexsäle die dortige Kinoszene verändert und die Programmkinos verdrängt. In Doigs Atelier, einer ehemaligen Rumfabrik, werden seitdem einmal wöchentlich Filme gezeigt, zu deren Vorführungen der Künstler jedes Mal ein Plakat entwirft. Die Schirn präsentiert über 130 Poster Doigs und lässt jeden Mittwochabend im Ausstellungsraum samt Bar den STUDIOFILMCLUB erstehen. Am Programm stehen Filme, die selten gezeigt werden bzw. schon lange nicht mehr zu sehen waren wie "Touki Bouki" (1973, 95 Min., Farbe) von Djibril Diop Mambéty, "Die Nacht des Jägers" (1955, 93 Min., S-W) von Charles Laughton oder "THX 1138" (1969, 83 Min., Farbe) von George Lucas. Wie in Trinidad ist auch in Frankfurt der Eintritt frei, die Filme werden kurz angekündigt, im Mittelpunkt stehen das gemeinschaftliche Erleben von Filmen und die soziale Interaktion. Gestaltung und Programm des STUDIOFILMCLUBS wurden in enger Zusammenarbeit mit Peter Doig und seinen Studenten der Kunstakademie Düsseldorf und der Schirn Kunsthalle Frankfurt konzipiert.

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Peter Doig

Stationen:
05.02.08 - 27.04.08 Tate Britain, London
29.05.08 - 07.09.08 ARC/Musée d´Art Moderne de la Ville de Paris
09.10.08 - 11.01.09 Schirn Kunsthalle, Frankfurt