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Eröffnung: 1. April 2016 / 6 - 10 Uhr

Die Ausstellung "Der unsichtbare Setzer" von Philip Loersch (geb. 1980 in Aachen; lebt und arbeitet in Berlin und Seebüll) präsentiert neue Arbeiten des Künstlers im Medium Zeichnung - auf Papier, als Artefakt auf Stein sowie als Fadeninstallation im Raum. Der Besucher und Betrachter begegnet Zeichnungen mimetischer Darstellung wie bspw. einer großformatigen Waldzeichnung mit ihrer minimalen Differenzierung von Linien und Geäst. Oder er steht vor doppel- bis mehrteiligen Werkkomplexen minutiös ausgearbeiteter Textzeichnungen, die Kapitelüberschriften oder ganze Buchseiten philosophischer Abhandlungen zitieren, z.B. über Musik, Logik oder "Textbewegungen". Die Handhabung der Linie in ihrer Grenzwertigkeit zwischen Kontur und Schrift bzw. ihre Lesbarkeit zwischen Text und Bild sind der Topos des neuesten Werkzyklus' von Philip Loersch.

Die aktuelle Ausstellung ist die vierte Solopräsentation des Künstlers in der Jette Rudolph Galerie und knüpft an die beeindruckende Duett-Show "PHILIP LOERSCH - HANNE DARBOVEN" im Ausstellungsraum poolhaus blankenese (Juni bis September 2015) an. Die Institutionen produzieren zusammen ein Ausstellungsbuch, das zum Gallery Weekend Berlin erscheint, wenn zeitgleich die Hamburger Kunsthalle die thematische Groupshow "Zeichnungsräume" eröffnet mit Arbeiten aus Sammlungsbestand von Philip Loersch, Hanne Darboven, Marcel van Eden u.a..

Im Rahmen seiner Berliner Ausstellung "Der unsichtbare Setzer" stellt Philip Loersch die Linie als wesentliches Ausdrucksmittel der Zeichnung vor und setzt sie in einen besonderen Dialog - namentlich jenen zwischen Bild, Schrift und Zahl. Dabei beschreitet Loersch in seiner medialen Spurensuche zwischen Realität und Illusion oft zwei parallele Wege zugleich: Der eine geht der Frage nach der Verbindung zwischen Hand und Schrift bzw. Hand und Zeichnen als einem performativen Akt nach. Es gibt ein "Sprach- bzw. 'Bild'-handeln", das im "Beschriften und Bezeichnen" seine Bild-/Schrift- Gegenstände (begrifflich) "handhabt" (Horst Wenzel). Der andere verfolgt die Frage des Phänomens der "operativen Schriftbildlichkeit" (Sybille Krämer), welche die Schrift nicht allein als einen medialen Transfer einer sprachlichen Diskursivität in eine graphisch-visuelle Dimension begreift, sondern ihr neben der eindimensionalen Buchstabenreihung insbesondere den Status einräumt, als Text eine zweidimensionale Ordnung auf der (Bild-)Fläche zu behaupten.

Die Hand bzw. genauer vier miteinander agierende Hände sind das Motiv einer mimentisch anmutenden Zeichnung Philip Loerschs, welche minutiös umringt sind vom Schriftbild kleiner Fußnoten, durchnummeriert von 1-12 und dem im oberen Bildfeld fast mittig sitzenden Wort "sic!". Die Hand im Bild Philip Loerschs ist Träger einer symbolischen Transferleistung zwischen praktischer Handhabung einerseits und reiner Visualität andererseits. So begleitet auch die Linearität der sie umgebenden Schrift zwar das Körperbild, aber beide sind nicht deckungsgleich bzgl. ihrer Be-Deutung. Denn Bild und Zahl treten in der visuellen Aufführung des Zeichenblattes zusammen auf, aber der den Nummern zugehörige Text wird getrennt aufgeführt - in einem separaten "Fußnoten"-Blatt. Indem Loersch aber über das identische Motiv der Zahl den Fußnotentext auf das Bild der Hände zurückbindet und in der Nennung von Namen wie "Tim", Sandra, "Jörg" sowie in partiell vorgeführter persönlicher Handschriftlichkeit individuiert, dynamisiert er das Wissen des Fußnotentextes und animiert den Betracher zur synthetischen Re-Konstruktion von Bild und Text vermittels einer individuellen assoziativen "Hand-Habung" bzw. "An-Eignung" derselben.

Es gibt ein vergleichbares Interesse des Künstlers Philip Loersch, das er sowohl in seinen motivischen Zeichnungen dichter Muster (Textilien, Fellmaserung o.ä.), sich überkreuzenden Geästs in der Waldzeichnung und optischer Phänomene wie photographischen Unschärferelationen oder Überbelichtungen verfolgt. Denn dieses motiviert ihn auch zu seinen vielfältigen Textzeichnungen wie den minutiös abgezeichneten Lexikonartikeln und philosophischen Abhandlungen zum Verhältnis Text/Bild bis hin zu den durchs Papier rückwärtig und in Spiegelschrift durchschimmernden Zeilenfolgen oder mehrspurigen Zeilenüberlagerungen einer verhinderten Lesbarkeit: Es betrifft die Differenz zwischen dem piktoralen Medium der Zeichnung einerseits und dem notationalen Medium der Schrift andererseits. Durch seine Ausformulierung der von ihm zitierten Texte als Zeichnung öffnet der Künstler der Schrift die Option, ihre vermeintlich lineare Eindimensionalität auf der Zweidimensionalität der Fläche (des Papiers) in Anspruch zu nehmen. Linie und Schrift transferieren sich durch die operative Handhabung des Künstlers in zweidimensionale sichtbare Ordnungen im Raum. Vielmehr sogar operiert das Bild mit dem Konzept einer "dichten Raumkonstellation", während die Schrift mit einer "Zwischenräumlichkeit" operiert, bei der es auf Lücken, Abstände und Leerstellen ankommt (vgl. Sybille Krämer). Aus einem wissenschaftlichen Beitrag Gernot Grubes zitierend über die Linearität als einer Ordnungseigenschaft von Text fühlte Loersch sich herausgefordert, die darin enthaltene Beschreibung der "Textbewegungen" direkt als performativen Akt auf dem Zeichenpapier auszuführen: Sie mündet in die für den Betrachter unlesbare Überlagerung mehrspuriger Textzeilen. Dazwischen stehen vermeintliche Leerflächen im Bild, die eine visuelle Ahnung vom rückwärtig aufs Papier aufgebrachten Text geben. Dabei sucht Loersch nach der "Ideographie" (Sybille Krämer) respektive den Zwischenräumen/Abständen zwischen den Worten und Buchstaben einerseits aber auch zwischen den Konturen bzw. den Strukturen/Schraffuren im Bild andererseits.

Denn ebendiese machen die Inhalte in Bild und Text sichtbar. So führt Loersch dem Betrachter vor Augen, dass Buchstaben und Text konkret und individuiert wahrgenommen werden, dass aber in der Verweigerung desselben die besondere Qualität der Zeichnung sichtbar wird - namentlich dass die Linie bzw. der Strich in der Zeichnung immer Teil eines Ganzen ist. Zweifelsohne provoziert die von Loersch initiierte Abhandlung von Bild und Text auf z. T. getrennten Zeichenblättern die Option einer nicht-linearen Rezeption. Die Vermessung von Linie und Schrift verso Fläche und Text geschieht vermittels des Akts von Operieren, Erinnern und Präsentieren. Zuletzt auch vonseiten des Nutzers und Betrachters: Denn Auge und Geist wechseln zwischen der Bedeutung von Bild - Zahl - Schrift stets hin und her. Und so übt sich der Rezipient im steten Akt des Erinnerns und Erneuerns von Wissen und Erkenntnis am Bild Loerschs.