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++ 11. Februar bis 22. Mai 2022

PORTRÄT - Fotografien von Matthias Schaller

Spiegelnde Visiere von Astronautenhelmen, menschenleere Ateliers und verlassene Arbeitszimmer im Vatikan: Die Abwesenheit ist Grundmotiv im Werk des Fotografen Matthias Schaller. Er porträtiert Menschen, indem er einen direkten Blick auf sie verwehrt. Mit rund 100 Arbeiten unter anderem aus den Serien Disportraits, Die Mühle, Lagunenwalzer oder Das Meisterstück präsentiert das NRW-Forum die unkonventionellen Porträts des Fotokünstlers, die dessen grenzenlose Neugier gegenüber der Welt, dem Menschen und der Kunst offenbaren.

Anstatt die Kamera auf Personen zu richten, widmet Schaller sich ihren alltäglichen Umgebungen und Gegenständen. Seine fotografischen Arbeiten, die von der Kunstgeschichte des Mittelalters ebenso inspiriert sind wie von der jüngsten Gegenwart, leben von der Abwesenheit. Sie zieht die Betrachtenden in die Bilder hinein und wirft sie zugleich auf sich selbst zurück.

Das NRW-Forum zeigt Matthias Schallers erste umfassende Einzelausstellung in Deutschland und führt den Künstler damit nach Düsseldorf zurück: Hier entstand vor rund zwanzig Jahren die nun erstmalig ausgestellte Serie Die Mühle (2001–2002), in welcher er die Wirkungsstätte von Bernd (1931–2007) und Hilla (1934–2015) Becher mit seiner Kamera abtastet. Auf diese Weise schafft er indirekte Porträts zweier der einflussreichsten Künstler*innen Düsseldorfs und greift ein Grundprinzip ihres Werks auf. In Bildpaaren, innerhalb derer sich die fotografische Perspektive nur gering und doch folgenreich verschiebt, fängt er die Einfachheit der Räumlichkeiten ein, die von Funktionalität geprägt und auf die künstlerische Arbeit ausgerichtet sind.

Seit 2007 reist Schaller auf der Suche nach Farbpaletten berühmter Maler*innen um die Welt. Die Serie Das Meisterstück (fortlaufend) versammelt großformatige Fotografien solcher Paletten, die er vor weißem Hintergrund isoliert und durch digitale Bearbeitung die Farben zum Leuchten bringt. Die Serie lädt zu Projektionen ein, etwa dazu, in der Palette von Paula Modersohn-Becker deren kräftige Strichführung zu erkennen, oder durch die Farbschattierungen von Vincent van Gogh dessen bekannteste Gemälde vor dem inneren Auge auftauchen zu lassen. Die Bilder spielen mit dem kunsthistorischen Kanon und regen zum Nachdenken über das kollektive visuelle Gedächtnis an.

Zwischen 2004 und 2008 fotografierte Schaller für die Serie Purple Desk (Purpurner Schreibtisch) die Arbeitszimmer der höchsten Mitarbeiter der Zentralverwaltung der römisch-katholischen Kirche, der Kurienkardinäle des Vatikans. Die Bilder provozieren dazu, sie nach Spuren des religiösen und bürokratischen Wirkens abzusuchen. Schaller hat im Vorfeld alle persönlichen Gegenstände akribisch entfernt: Nicht das Abbild des Individuums, sondern das Porträt einer Institution steht im Fokus seines Interesses.

Die Serie Echokammer ist ein Porträt der Stadt Neapel, in der Schaller einen großen Kinderkult entdeckte. Von 2002 bis 2003 besuchte er dort Familien, um die Zimmer der Kinder zu fotografieren. Die meisten von ihnen hatten vorab akribisch aufgeräumt. Die penible Ordnung trägt zum gespenstischen Eindruck der Bilder bei, in denen die, die sie bewohnen, fehlen. In der Tontechnik dient eine Echokammer der Verstärkung von Geräuschen, von den Wänden der Kinderzimmer schallen die Projektionen der Eltern zurück. Die Serie spielt mit der Ambivalenz von Schutz und Ausgeliefertsein, die auch die Lage Neapels mit seiner Nähe zum Vulkan Vesuv prägt.

Der Titel der Serie Lagunenwalzer (2012) schickt bewusst auf eine falsche Fährte: Schaller hat sich für das Werk einer der weltweit größten Punk-Musik-Sammlungen bedient, die sich heute in Venedig befindet. Die Bilder zeigen die Rillen der Schallplatten und sind Ergebnis eines aufwändigen Arbeitsprozesses: Mit Makroobjektiv fotografiert, wurde im Nachhinein in digitaler Bildbearbeitung die Krümmung der Rillen begradigt. Die überraschende Kombination von Punk und Venedig ist ein Verweis auf den historischen, avantgardistischen Mut und die Schlagkraft der Lagunenstadt.

Als Vorlage für die Arbeit Veronika (2019) dient Hans Memlings Gemälde Das Schweißtuch der Veronika (um 1470), auf dem sich das Antlitz Jesus auf dem Tuch deutlich abzeichnet. Schaller jedoch hat es aus seinem Bild entfernt, sodass lediglich eine weiße Fläche zurückbleibt. Die Idee des visuellen Abdrucks durch Berührung ist von großer Bedeutung für die Fototheorie, innerhalb derer bis heute diskutiert wird, ob es sich bei einem fotografischen Bild um Spuren der Wirklichkeit oder reine Fiktion handelt.

Um eine Zwischenstufe auf dem Weg zum finalen Kunstwerk geht es in der Serie Canova (2018). Zu sehen ist die Oberfläche eines Gipsmodells in Nahaufnahme, eine Vorlage für ein Marmorselbstbildnis des italienischen Bildhauers Antonio Canova (1757–1822). Schaller tastet das Gipsmodell rundherum mit seiner Kamera ab und fängt dabei auch immer wieder schwarze Punkte ein, die Fixierstellen für das Vermessen der Arbeit.

In den Disportraits (2008–2009) spiegelt sich schwarze Leere in den Scheiben von Astronautenhelmen, die den Blick auf ihrer Träger*innen verwehren. Die Serie verdeutlicht, wie Schallers Spiel mit An- und Abwesenheit die Grenzen des Genres Porträt und die eigenen Erwartungen herausfordert. Obwohl es sich um authentische Raumanzüge handelt, steht im Zentrum nicht die Person, sondern deren leere Hülle. In das Visier des Helmes hat er nachträglich die Spiegelung des Mondes eingearbeitet. Wie der Mond um die Erde, dreht sich die Kamera um die Figur, die ihr Gesicht jedoch nicht preisgibt.

Zum Künstler

Geboren 1965 in Dillingen an der Donau, studierte der zwischen Wien und Mailand lebende und arbeitende Matthias Schaller Kulturanthropologie in Hamburg, Göttingen und Siena. Er schloss mit einer Arbeit über das Schaffen von Giorgio Sommer ab, eines der erfolgreichsten Fotografen des 19. Jahrhunderts. Schallers Arbeiten waren unter anderem im Rahmen der Venedig Biennale, im Museum of Modern Art, Rio de Janeiro, und im Victoria & Albert Museum, London, zu sehen.