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PORTRAIT OF A GENERATION
Clegg & Guttmann, Günther Förg

03/11/2021 – 05/01/2021

2021. Die 1980er Jahre sind von heute aus genauso weit entfernt, wie von den 80er Jahren aus gesehen die 40er. Sich das vor Augen zu führen ist für uns, die wir in den 80er Jahren als junge Erwachsene im kulturellen Umfeld der BRD losgelegt haben, eine hilfreiche Überlegung, um in einer für die Gegenwart produktiven Weise Rückschau zu halten und mit ein paar wenigen konzentrierten Akzenten aus dem Werk von Clegg & Guttmann und Günther Förg das zu skizzieren, was wir „Portrait of a Generation“ nennen. Das geschieht ohne Anspruch auf apodiktische Gültigkeit. Lediglich laufen in den ausgestellten Arbeiten ein paar Linien zusammen, die die 80er Jahre in künstlerischer und diskursiver Hinsicht durchkreuzten und zum Schwingen brachten.

In den 80er Jahren ging deutsche Nachkriegszeit zu Ende. Politische Diskurse um die Mechanismen von Macht und Faschismus oder die Theorien des Erhabenen und die ästhetische Neuorientierung der Popkultur nach den 70er Jahren, die sich in hedonistisch geprägten Bewegungen wie New Wave zeigte, existierten nebeneinander. Clegg & Guttmann und Günther Förg waren Protagonisten dieser Zeit und ihrer Arbeit lag diese Spannung zugrunde.

In diesem Zusammenhang sind Günther Förgs großformatige Fotos von mit faschistischer Ästhetik konnotierten Bauwerken, seine Portraits und Selbstportraits, etwa von der Szene-Goldschmiedin Gabi Dziuba auf den Treppen der Villa Malaparte auf Capri zu sehen. Das hier gezeigte Portrait von Gabi Dziuba und das Selbstportrait von Förg sind beide auf Streifenhintergründen inszeniert, eine direkte Referenz an Barnett Newmans Transzendierung des klassischen Bildrahmens ins „Unendliche" und „Erhabene".

Das Cover der Nummer 2/1987 der Zeitschrift Wolkenkratzer Art Journal* zeigte ein Selbstportrait des israelischen Künstlerduos Clegg & Guttmann. In der darauffolgenden Ausgabe interviewte Isabelle Graw (ab 1987 Redakteurin bei Wolkenkratzer) Günther Förg zu seiner verbalen Entgleisung bei der Eröffnung der Fotografie-Ausstellung „Blow Up“ im Württembergischen Kunstverein, Stuttgart. Clegg & Guttmann nahmen an dieser Ausstellung teil und zeigten unter anderem ein Portrait von Günther Förg und seiner Lebensgefährtin Ika Huber (“Artist and Models”), aufgenommen in den Privaträumen des "Malerfürsten" Franz von Stuck. Von Stuck selbst entwarf die 1897/98 erbaute Villa im neoklassizistischen Stil und ließ 1914/15 ein Ateliergebäude ebenfalls nach eigenen Entwürfen hinzufügen. Mit dem Gebäudeensemble realisierte er seine Vorstellungen vom Gesamtkunstwerk. In der Stuckvilla befand sich auch die Galerie Christoph Dürr, die Christian Nagel von 1986-88 zusammen mit Matthias Buck leitete. Dort zeigten sie neben Kippenberger, Krebber, Clegg & Guttmann, Zobernig und Franz West auch eine Einzelausstellung von Günther Förg. Blinky Palermo wurde in Bezug auf Förg einmal mit den Worten zitiert, "die Kunst ist fast so schön wie der Mann". Es ist unklar, ob dies als Beleidigung oder Kompliment gemeint war**.

Clegg & Guttmanns Portraits lassen sich in eine kunsthistorische und ikonographische Linie einfügen, deren Bezugsrahmen die ästhetischen Konventionen historischer Portraits und Gruppenbilder des 16. und 17. Jahrhunderts sind. Die Niederländer von Frans Hals bis Rembrandt, die Italiener von Tizian bis Caravaggio und die Spanier von Velasquez zu Goya sind das Referenzmaterial für einen Werkkomplex von Portraits, der kollektive Strukturen, gesellschaftliche Gefüge und Machtverhältnisse inszeniert. Ihr hier gezeigtes „Portrait of a Young Woman“ (für das Isabelle Graw Modell stand) stammt von 1988.

Die heutige Krise der political correctness, die sich in einer bisweilen drakonischen cancel culture von links und oft gegen die eigenen Reihen niederschlägt und möglicherweise einen überschüssigen Reflex darstellt, der auf dem schlechten Gewissen gründet, keinen Gegenentwurf zum ungebrochen fortschreitenden Neoliberalismus spätkapitalistischer Prägung zustande zu bringen, geht aktuell einher mit einer Renaissance der Portraitkunst, sei es in Form von Malerei, Fotografie oder technoider NFT Ästhetik.

Wir fühlen dieses politische Versagen unserer Generation und wollen es nicht leugnen. Es geht nicht darum die 80er Jahre zu idealisieren, sondern sie zu verstehen.

Saskia Draxler & Christian Nagel

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*Ab 1983 bis 1989 erschien die Zeitschrift Wolkenkratzer Art Journal im Abonnement und klassischem Zeitschriftenvertrieb im gesamten deutschsprachigen Raum alle zwei bis drei Monate im Soukup, Krauss Verlag, mit einer zuletzt verkauften Auflage von zehn bis zwölf Tausend Exemplaren. Die Zeitschrift gewann zunehmend Leser im europäischen Ausland und auch in der amerikanischen Kunstszene, weshalb ab 1986 teilweise eine Zusammenfassung in englischer Sprache hinzugefügt wurde.

Das Wolkenkratzer Art Journal befasste sich als eine der führenden deutschsprachigen Kunstfachzeitschriften auf unakademische Art und Weise mit Avantgarde- und zeitgenössischer Kunst und beleuchtete die aktuellen Trends der Kunstszene auch mit Berichten von Ausstellungseröffnungen und Messeveranstaltungen. Prägnant waren die in mehreren Ausgaben publizierten Portrait- und Personen-Fotos von Künstlern und Fotografen wie Benjamin Katz, Wilhelm Schürmann oder Günther Förg, welche den Lifestyle-Charakter des Journals prägten.
Der Journal-Charakter des Wolkenkratzer war für eine Kunstfachzeitschrift ein Novum. Die Zeitschrift wurde gegründet, herausgegeben und redaktionell geleitet von Roman Soukup und Lothar Krauss. Von Anfang an gehörten international tätige Autoren zum festen/freien Redaktionsteam. 1987 traten Isabelle Graw und Wolfgang Max Faust als Autoren der Redaktion bei, deren Leitung sie gegen Ende der Publikationszeit übernommen hatten. Als Autoren (teilweise auch mit redaktioneller Verantwortung) schrieben für den Wolkenkratzer u. a. Christoph Blase, Andreas Kallfelz, Peter Bexte, Wilfried Dickhoff, Pier Luigi Tazzi, Jutta Koether, Walter Grasskamp, Peter Weibel, Klaus Walter, Justin Hoffmann, Donald Kuspit, Sabine B. Vogel, Tom Holert, Thomas Daum und Karlheinz Schmid.

Die Zeitschrift wurde von ihrem Verlag 1989 eingestellt. Die Titelrechte wurden von Gruner + Jahr aufgekauft und von art – Das Kunstmagazin genutzt, das vorübergehend die Referenz noch im Untertitel trug (als „Das Kunstmagazin mit Wolkenkratzer Art Journal“) und den Titelschriftzug bis heute im Impressum von art führt.

**Thomas Groetz: Laconic Adaptations and Nebulous Abysses. On the Art of Günther Förg. Catalog excerpt from "Extended. Sammlung Landesbank Baden-Württemberg"; Editors: Lutz Casper, Gregor Jansen, published by Kehrer Verlag Heidelberg, 2009.