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Portrait - reine Oberfläche oder Blick auf die Wahrheit? Die verheißungsvollen Zuschreibungen an die Abbildung eines Gesichtes reflektierten seit den Anfängen des Portraits als künstlerisches Genre eine spezifische Erwartung des Betrachters: nämlich die, im Portrait selbst das zu finden, was das eigentliche Gesicht als Repräsentation nach Außen verbirgt. Lange blieb bei Künstler wie Betrachter der Glaube - und die Hoffnung - lebendig, durch den Blick auf die Oberfläche, eine Bedeutung des Dahinter – des Individuums und seiner Persönlichkeit – zu erkennen. Zweifel an dieser Erkenntnisleistung des Portraits entstanden nicht erst mit der Entstehung der digitalen Fotografie. Mit der Infragestellung der Einigkeit des Individuums in den 80er Jahren, wandelte sich analog auch der Anspruch an das Portrait: nicht mehr die Einheit, sondern die Vielheit des Gesichts, nicht mehr das Sichtbare, sondern vielmehr das Unsichtbare hinter jeden mechanischen Repräsentation von Menschen, bilden heute den Ausgangspunkt der künstlerischen Auseinandersetzung.

In unserer Ausstellung “Portraits – the view behind the make-up” zeigen wir das formale wie auch inhaltliche Spektrum aktueller Formen der Annäherung an das Portrait auf. In Fotografie, Video und Videoinstallation befragen die teilnehmenden KünstlerInnen sowohl das einzelne künstlerische Medium als auch das Medium “Portrait” nach seinen Möglichkeiten und beziehen gleichzeitig den Betrachter und dessen Selbstverständnis in die Befragung mit ein.

ERDGESCHOSS

Der Fotograf Anton Corbijn (Niederlande) wurde weithin bekannt durch seine Portraits namhafter Persönlichkeiten der Musik- und Filmszene; so trägt beispielsweise die weltweite Repräsentation der Gruppe U2 seine unverkennbare Handschrift. Corbijns Portraits oszillieren beständig zwischen Inszenierung und verborgener Wahrheit, ohne dem Abgebildeten zu nahe zu treten. Sie reflektieren damit nicht nur die scheinende Oberfläche der Welt des Glamours, sondern gleichzeitig auch die diesbezügliche Erwartung des Betrachters.

Die junge Künstlerin Flavia Da Rin (Argentinien) hingegen entlässt den Betrachter von vornherein in eine Welt der Fiktionen. Selbstportraits der Künstlerin mit weit aufgerissenen Augen blicken aus dem Bild und machen gleichzeitig den Blick frei auf märchenhafte Landschaften und Situationen, die hinter dem Spiegel zu liegen scheinen. Die Grenzen des Mediums werden in diesen digital bearbeiteten Fotografien ebenso offenbar wie die Grenzen unserer Wirklichkeit.

Der Betrachter und seine Projektion steht auch im Mittelpunkt der Foto- und Soundinstallation “Moscow Girls” von Melanie Manchot (England): 9 fotografische Portraits junger russischer Mädchen stehen hier 9 Geschichten über persönliche Erlebnisse dieser Mädchen gegenüber, wobei die erzählerische Ebene nicht eindeutig einem Bild zugeordnet werden kann. Während die abgebildeten Mädchen in ihrer Selbstdarstellung im Bild den Traum nach Schönheit und westlicher Lebensart repräsentieren, spiegelt sich in den von ihnen erzählten – oft schockierenden - Geschichten der Verlust von Sicherheit und die Sinnsuche einer ganzen Generation.

Unabhängig von spezifischen Orten portraitiert Andreas Kohler (Deutschland) in seiner Serie “Alabasterkörper” die Selbstwahrnehmung Jugendlicher, wobei der Körper hier als Spiegel der Seele dient. Fast durchscheinende, oft nur spärlich mit Kleidungsstücken bedeckte Körper und die dort hinterlassenen Spuren offenbaren - als dem Selbst äußerliche Haut - die Suche nach der eigenen Identität, die weder im eigenen Körper noch der persönlichen Umgebung zu finden zu sein scheint.

Ist die Suche nach Identität für die Abgebildeten in Thomas Weisskopfs (Schweiz) Portraitserie “Cut” schon abgeschlossen, beginnt sie für das Publikum bei jeder Betrachtung von Neuem. Das Wissen um die transsexuelle Identität der portraitierten Frauen bricht mit dem Bild einer perfekt inszenierten Weiblichkeit. Während sich die Frauen im Spannungsfeld zwischen der Anerkennung der eigenen individuellen Persönlichkeit und dem gleichzeitigen Streben nach einem weiblichen Schönheitsideal bewegen, wird der Betrachter mit seinem eigenen stereotypen Bild von Weiblichkeit und Geschlechterrollen konfrontiert.

Ebenfalls die Frage nach Zuschreibungen durch das Geschlecht stellt Sarah Baker (USA) in ihrer, aus Fotografie und Video bestehenden, Installation “A Portrait of Bill May”. Der Synchronschwimmer Bill May, mit dem die Künstlerin - selbst erfolgreich in diesem Sport - jahrelang trainierte, wird auf Grund seines Geschlechts, trotz entsprechender Leistung, nie die Möglichkeit haben, an Olympischen Spielen teil zu nehmen. Baker karikiert diese Rollenzuschreibung, indem sie den unüberwindbaren Graben zwischen einem gesellschaftlich verankerten Bild des männlichen Macho und des gleichermaßen “verweiblichten” Synchronschwimmens aufzeigt.

VIDEOSPACE

Mit bestimmten Clichée- Vorstellungen setzt sich auch Shahram Entekhabi (Iran) in seinen performativen Videoarbeiten auseinander. Mit der eigenen Erfahrung als Ausländer in Deutschland zeichnet er in unterschiedlichen Arbeiten das “Bild des Migranten” in Deutschland nach. Er reflektiert dabei Ängste, Vorurteile und Unwissen der umgebenden deutschen Gesellschaft, die sich über die Zeit in Stereotype verfestigt haben. In dem in der Ausstellung gezeigten Video “Miguel” appelliert er durch das Zitat bekannter Zeichen an diese unterbewussten Denkmuster und bricht gleichzeitig mit ihnen.

In den Sälen des Prado befindet sich die Kopie einer romanischen Skulptur, die eine Frau, ausgestreckt auf einem Bett, beim Erwachen zeigt. Die Proportionen der Skulptur, die ein Zwitterwesen darstellen soll, weichen vom hellenischen Idealmaß einer Frau ab. In seiner Videodokumentation “Vero” dokumentiert Roger Bernat (Spanien) eine transsexuelle Frau, ebenfalls im Moment des Erwachens. Der Betrachter findet sich gefangen zwischen Faszination und Befremdung.

Eva Teppe (Deutschland) schließt mit ihrer Videoinstallation “Omertá” den Kreis der Ausstellung. Omertá bezeichnet das Schweigegebot der Mitglieder der sizilianischen Mafia, das gleichzeitig aber auch für die Bevölkerung Siziliens Geltung besitzt. Auf fünf Monitoren ist jeweils ein Gesicht zu sehen, das sich, aus seinem ursprünglichen Kontext isoliert, dem Betrachter in einer langsamen Geste zu- und, nach einem kurzen Blick in die Kamera, wieder abwendet. Der Blickwechsel zwischen Kamera und Gefilmtem und der damit dokumentierte Eingriff in die Persönlichkeitssphäre des Gegenüber im Film lassen die Gesten in dieser Installation zu einer – auch für den Betrachter, den der Blick gleichsam verfolgt - bedrohlichen Handlung werden.

Tasja Langenbach

Pressetext