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Hans Prinzhorn (1886-1933), als Kunsthistoriker und Arzt mit beiden Fachgebieten vertraut, gilt heute als Pionier einer interdisziplinären Sichtweise. Ihn interessierten kulturanthropologische Fragen, etwa nach dem Ursprung künstlerischer Gestaltung oder dem "schizophrenen Weltgefühl" in der expressionistischen Kunst seiner Zeit, und er hoffte, in den Werken der Patienten einen unverstellten, elementaren Zugang zur Kunst zu finden. In den Nachkriegsjahren des ersten Weltkriegs baute er, von Karl Wilmanns, dem Leiter der Heidelberger Psychiatrischen Klinik, unterstützt, eine einzigartige Sammlung von Werken aus psychiatrischen Anstalten auf. Mit seinem reich illustrierten Buch Bildnerei der Geisteskranken (Berlin 1922), in dem große Teile der Sammlung dokumentiert, interpretiert und in kulturkritische Überlegungen eingebettet werden, verabschiedet er endgültig die Frage nach einer diagnostischen Beweiskraft. Indem er die psychologische Gleichwertigkeit aller gestalterischen Phänomene betont und bestimmten Werken künstlerische Qualität zuerkennt, bewertet er die verachtete "Irrenkunst" und damit auch ihre Schöpfer neu. In dieser Öffnung einer fachspezifisch eingeengten, psychiatrischen Sichtweise in kunstwissenschaftliche und künstlerische Bereiche hinein ist die besondere Leistung Prinzhorns zu sehen. Es war ein mutiger Schritt, der - langfristig gesehen - dazu beitrug, über eine angemessene Anerkennung kreativer gestalterischer Leistungen der Patienten ihre gesellschaftliche Reintegration zu fördern. Künstler wie Alfred Kubin, Paul Klee, Max Ernst oder Pablo Picasso ließen sich von den Patientenwerken faszinieren und inspirieren. Psychopathologisch eingeweihte Künstler (Gorsen) wurden auch nach dem zweiten Weltkrieg zu wichtigen Transformatoren dieser Werke. Zusammen mit weiteren Entdeckungen von Anstalts- und Außenseiterkunst, von Dubuffet in den fünfziger Jahren zu Art Brut erklärt, geben sie bis heute wichtige ästhetische Impulse. Inzwischen hat auch die Psychiatrie weitgehend ihre Einstellung geändert. Es wird wieder gesammelt, doch jetzt unter ästhetischen Gesichtspunkten. Künstlerische Therapien haben sich in der modernen Psychiatrie etabliert. Die Sammlung vereint Zeichnungen, Gemälde, Collagen, Textilien, Skulpturen und eine Fülle unterschiedlicher Texte, die zwischen 1880 und 1920 in psychiatrischen Anstalten vorwiegend des deutschsprachigen Raums entstanden sind. Die meisten der oft langjährig internierten Patienten galten als schizophren. Die Werke spiegeln unterschiedliche soziale Herkunft und Bildung ihrer Autoren. In ihnen zeigt sich, oft in fragmentierter oder verfremdeter Form, Zeitgeschichte und ihre Ideologien, aber auch das individuelle Leben vor der Erkrankung sowie die deformierende Anstaltsinternierung. Nur wenige Patienten besaßen eine professionelle künstlerische Ausbildung. Oft waren sie aber über Schule oder berufliche Ausbildungen und Tätigkeiten in Kunstgewerbe, Architektur, handwerklichen oder technischen Berufen mit gestalterischer Praxis in Berührung gekommen. Der Umgang mit diesen 'Vorkenntnissen' ist unterschiedlich und reicht von der sorgfältigen Reproduktion des Erlernten bis zur freien Variation oder vollständigen Ablösung davon. Ein kleinerer, aber bedeutender Teil der Sammlung fesselt durch Verwendung eigenwilliger künstlerischer Mittel und ungewöhnliche, aber schlüssige formale Lösungen, die einen eigenen Sinn bergen. Sie gehören in den engeren Bereich der Kunst. Im ästhetischen Raum transportieren sie ein Wissen um extreme menschliche Empfindungen und Erfahrungen häufig vorsprachlicher Natur, wie sie in der Psychose durchlebt werden, und deren Verarbeitung, den Wahn mit seinem spezifischen Sinnhorizont. Die daraus resultierende, andere Weltsicht erscheint hermetisch, wobei uns die Relativität unseres eigenen, von der Gesellschaft vorgegebenen und getragenen Denkens meist nicht bewusst ist. So wird eine allgemein menschliche Dimension erfahrbar, die in uns allen potentiell vorhanden ist.

Kurator: Dr. Michael Braunsteiner

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Prinzhorn Collection
Museum für Gegenwartskunst, Admont
Kurator: Michael Braunsteiner

Künstler: August Klett, Heinrich Hack, Johann Knopf, Peter Meyer, Heinrich Anton Müller, Paul Goesch, Gustav Sievers, August Natterer, Oskar Voll, Else Blankenhorn, Oskar Herzberg ...