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Stadtgalerie Kiel

Public Relations

07.03.2020 - 24.05.2020

Zur Eröffnung der Ausstellung am Freitag, 6. März, um 19 Uhr sprechen Stadtgaleriedirektor Dr. Peter Kruska und der wissenschaftliche Mitarbeiter der Stadtgalerie Kiel Sönke Kniphals.

Die erste neue Ausstellung des Jahres in der Stadtgalerie Kiel heißt „Public Relations. Poetik öffentlicher Kommunikation im Spiegel aktueller Kunst“. Sie läuft vom 7. März bis 24. Mai in der Stadtgalerie Kiel, Andreas-Gayk-Straße 31. Gezeigt werden Arbeiten von 13 Künstlerinnen und Künstlern, die sich in unterschiedlichen Medien mit Formen der öffentlichen Kommunikation auseinandersetzen. Präsentiert werden Werke aus den Bereichen Film, Video, Skulptur, Fotografie, Druckgrafik, Installation, Videoinstallation sowie kinetische Objekte, Wand- und Bodenobjekte.

Der Begriff Public Relations benennt zum einen professionelle Öffentlichkeitsarbeit, zum anderen ein weites Feld wechselseitiger Beziehungen zwischen Öffentlichkeit und Individuum. Die ausgestellten künstlerischen Positionen sind auf unterschiedliche Weise mit dieser Doppeldeutigkeit und damit verbundenen Phänomenen in Bezug zu setzen.

Ausgangspunkt der Ausstellung ist es, Hinweise auf Funktion, Techniken, Bedeutung und Folgen wettbewerbsorientierter Public Relations zu sammeln. In den Fokus rücken dabei insbesondere neue Orte von Öffentlichkeit und Formen öffentlicher Kommunikation im Zeitalter elektronischer Massenmedien, aktueller Konsum- und Dienstleistungsgesellschaften.

Wettbewerbsorientierte Public Relations finden vor etwa 100 Jahren ihren Ursprung in Technik und Funktion der Propaganda und in einem schrittweisen Prozess, der mit Druckpresse, Telegraph, Zeitung, Telefon, Psychoanalyse und Meinungsforschung begann. Davon ausgehend greift die Ausstellung Entwicklungen und Konzepte, Methoden und Strategien der Public Relations auf. Sie eröffnet Fragen zu deren Bedeutung für die Konstitution aktueller Konsumgesellschaften. Internet, elektronische Massenmedien, Massenspeicherung und algorithmische Auswertung von Informationen treten als Möglichkeiten des Marketings des 21. Jahrhunderts hinzu.

Als Resultat rückt ein Individuum in den Fokus, das nicht nur als Konsument und Rezipient, sondern auch als Produzent und Akteur in Erscheinung tritt. Der Zugriff auf digitale Technik prägt dabei die öffentliche Kommunikation und Öffentlichkeit.

Ausgestellt werden Werke der Künstlerinnen und Künstler Ute Barschel, Babak Behrouz, Adam Curtis, Soyon Jung, Nick Koppenhagen, Leon Leube, Marian Luft, Marge Monko, Franziska Opel, Jonas Roßmeißl, Jenny Schäfer, Christoph Schlingensief und Felix Thiele.

Ute Barschel (geboren 1987, lebt und arbeitet in Berlin) zeigt eine Serie von Porträtfotografien, die im Rahmen von Presseberichten über Gerichtsverhandlungen im Internet veröffentlicht wurden. Es handelt sich ausschließlich um Fotografien von Angeklagten, die sich hinter Gegenständen verbergen. Die Praxis der Gerichtsberichterstattung und der notwendige Versuch, zwischen öffentlichem Interesse und dem Schutz der Persönlichkeitsrechte zu regulieren, eröffnen exemplarisch Fragestellungen um Formen medial und journalistisch vermittelter Kommunikation, öffentlicher und privater Meinungsbildung und um grundlegende Bedingungen der Fotografie und des Porträts.

Der Aufbau der Arbeit „Akt“ (2011) von Babak Behrouz (geboren 1982, lebt und arbeitet in Hamburg und Berlin) folgt den Vorgaben eines Tutorials, das auf einer Videoplattform im Internet veröffentlicht wurde. Ziel der Video-Anleitung ist es, aus Alltagsgegenständen eine Anordnung herzustellen, die es einem Mann erlaubt, zum Zwecke der Masturbation vaginalen Geschlechtsverkehr zu simulieren. Der Aufbau steht für den Versuch, mit aktuell zur Verfügung stehender visuell-akustischer Digitaltechnik (Video, Internet) und Haushaltsmitteln eine analog-virtuelle Grenze behelfsmäßig zu überbrücken und verweist auf das veränderte Tabubewusstsein digitaler Netzwerkgesellschaften, deren Teilnehmerinnen und Teilnehmer jederzeit nur punktuell, interessengesteuert miteinander in Kontakt treten können.

Der Film „The Century of the Self“ (2002) setzt zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein und beschreibt den Beginn und die Verbreitung professioneller Public Relations, Massenmedien, Massendemokratien und der Psychoanalyse als sich gegenseitig potenzierende und beeinflussende Phänomene. Der Filmemacher Adam Curtis (geboren 1955, lebt und arbeitet in London) zeichnet eine Entwicklung nach, in deren Verlauf zunächst unterbewusste Gefühle und Affekte bei der Erzeugung von Zustimmung für bestimmte Produkte und Inhalte berücksichtigt, bald die Bedürfnisse von Teilöffentlichkeiten durch psychologische Techniken systematisch analysiert werden. Ihr Ideal finden Public Relations schließlich in einer Gesellschaft, in der Freiheit und Selbstbestimmung mit dem expressiven Ausleben von Emotionen gleichgesetzt werden.

Unter dem Titel „Futur II“ zeigt Soyon Jung (geboren 1982, lebt und arbeitet in Hamburg) eine Reihe von Ruinenlandschaften. Die Ruinen sind allesamt existierende Gebäude – Firmensitze aktuell bedeutender Unternehmen, Technologie- und Medienkonzerne oder aktuelle Zentren politischer, ökonomischer oder staatlicher Macht. Der Verfall ist fantasiert und nur in der Druckgrafik realisiert. Jung zerstört die Gebäude, reiht sie aber im gleichen Zuge dem Kanon eines klassischen Topos der Ruinendarstellung ein. Google, Twitter und Amazon, aber auch das Amt für Verfassungsschutz werden zu architektonischen Signifikanten einer Epoche erhoben.

In den Arbeiten von Nick Koppenhagen (geboren 1987, lebt und arbeitet in Berlin) verschränken sich Versuche und Strategien der Welterfassung mit einer subjektiven Phänomenologie des Alltags und deren ästhetischer Übersetzung. Die Sichtbarmachung und Konstruktion ökonomischer Zusammenhänge und die Reflexion und Kategorisierung emotionaler Gemütszustände verweisen auf das Gegenüber und Nebeneinander von Big Brother, Big Data und Big Deal in einer ebenso digitalisierten wie psychologisierten und emotionalisierten Welt.

Im Zentrum der Videoinstallation „Inexcusable Heat“ (2016) von Leon Leube (geboren 1992, lebt und arbeitet in Berlin) steht der Ausschnitt einer Fernsehsendung des Senders CNN-Philippines. Zu sehen ist ein Interview zwischen dem Präsidentschaftskandidaten Rodrigo Duterte, Senator Alan Peter Cayetano, der an dessen Seite für das Amt des Vizepräsidenten kandidiert, und einer Moderatorin. Das eingearbeitete Videomaterial, der Aufbau und die Materialität der Installation verdichten sich zu einem kontrastierenden Kommentar zu der hochauflösenden und massenmedialen Inszenierung Dutertes.

In die raumgreifende Installation von Marian Luft (geboren 1983, lebt und arbeitet in Leipzig und Istanbul) sind mehrere Einzelwerke eingearbeitet. Zu sehen ist eine offene Anordnung von Verpackungsrückständen, Bauschaum, Epoxidharz, Rost, vertrockneten Kartoffeln und unauflösbarem Grind, in dem sich Fragmente von Labels, Logos, Styles und Verpackungen als Symbole, Stigmata und Embleme ablagern. Marian Luft entwirft Abbilder einer wettbewerbsorientierten Konsumgesellschaft, in der Branding, Aufbau und Pflege von Marken- und Produktidentitäten mit der Identitätsfindung, Selbstwahrnehmung und Selbstdarstellung der Endverbraucherinnen und Endverbraucher unmittelbar ineinander übergehen.

In drei Werkgruppen setzt sich Marge Monko (geboren 1976, lebt und arbeitet in Tallinn, Estland) vor der Folie stereotyper Rollenkonzepte und unter Anwendung verschiedener Techniken mit Strategien und Symbolsprache von Werbung und Produktästhetik auseinander. In dem Film „Women of the World, Raise Your Right Hand“ (2018) untersucht die estländische Künstlerin verschiedene Werbekampagnen des Diamantenproduzenten und -händlers De Beers. Die Serie „Ten Past Ten“ (2016) führt Strategien der Uhrenwerbung vor. Mit dem technischen Verfahren des Fotogramms inszeniert Monko das Design von Strumpfhosenverpackungen (Untitled Photogram, seit 2014).

Die Bodeninstallation „FRIEND“ (2018) wurde von Franziska Opel (geboren 1984, lebt und arbeitet in Hamburg) für den Eingang im Innenhof des KUMU Eesti Kunstimuuseum in Tallinn entwickelt. Kontext und Verortung, die Trennung in „fri“ und „end“, Interaktion, Rastergrafik und der Verweis auf Bildpunkte und Pixel bilden die Koordinaten, in deren Zentrum das Wort „friend“ in einen unauflösbaren Spannungsmoment der Gleichzeitigkeit unterschiedlichster Freundschaftskonzepte zwischen Privatheit und Öffentlichkeit, tradierten Konventionen und der Praxis elektronischer Massenkommunikation und virtueller Netzwerke rückt.

Fragestellungen um Formen, Möglichkeiten und Bedingungen der Repräsentation, der Kollektivierung und der Individualisierung, Konzepte von Öffentlichkeit und Identität in den aktuellen Konsum- und Dienstleistungsgesellschaften verbinden die gezeigten Arbeiten von Jonas Roßmeißl (geboren 1995, lebt und arbeitet in Leipzig und Uttenreuth). In einer raumgreifenden Installation finden sich Auszüge aus dem Werk „DienstleisterInnen Denkmal“ (2017) mit dem Film „Arbeiter verlassen die Fabrik für immer / Workers are going Home forever“ (2020, gemeinsam mit Jan-Luca Ott) in Bezug gesetzt. Der „Fackelblock“ (2019) verbindet Bedeutungszuweisungen der Fackel (beispielsweise als Freiheits- oder Machtsymbol) mit einer produktästhetischen Verwertungslogik.

In ihren Arbeiten setzt Jenny Schäfer (geboren 1985, lebt und arbeitet in Hamburg) eigene Fotografien mit Gegenständen, Konsumprodukten, vorgefundenen Objekten, Text, Begriffen und Symbolen in Bezug. Aus dem ursprünglichen Kontext herausgelöst, verschränken sich die Versatzstücke in den beiden Arrangements zu Indizien einer emotional aufgeladenen Lebensumwelt. Produktdesign, Werbung, Symbole und Sinnsprüche erscheinen als Spiegel und Verstärker eines gesteigerten Sicherheitsbedürfnisses, von Angst, Orientierungslosigkeit aber auch Mobilisierung und Gleichgültigkeit.

Der Film „CHANCE 2000 – Abschied von Deutschland“ (2017), konzipiert von Kathrin Krottenthaler und Frieder Schlaich, ist eine Montage aus mehr als 100 Stunden, größtenteils bis dato unveröffentlichter Originalaufnahmen aus dem Nachlass von Christoph Schlingensief und Mitschnitten von Talk-Show-Auftritten. Er dokumentiert den Verlauf des Theaterprojektes „CHANCE 2000“ von Christoph Schlingensief (1960-2010), das mit „Baden im Wolfgangsee“ einen Höhepunkt medialer Aufmerksamkeit und am Wahlabend der Bundestagswahl in der Performance „Wahldebakel ´98“ in der Berliner Volksbühne seinen Kulminationspunkt findet.

Die Installation „Kriegserklärung“ (2018) von Felix Thiele (geboren 1981, lebt und arbeitet in Hamburg) verknüpft Werbevideos für Sicherheitsnebel mit privaten Videos, die den Einsatz von Bühnennebel bei Tanzveranstaltungen zeigen. Durch die Montage treffen das Bedürfnis nach Sicherheit und das nach Ekstase durch Orientierungslosigkeit unmittelbar aufeinander. Das Video „Evolution Bumper Sticker“ (2017) ist eine rhythmische Montage einer Vielzahl von Variationen des titelgebenden Aufklebermotives: die Darstellung der menschlichen Evolution von der Stufe des „Menschenartigen“ zum „Homo sapiens sapiens“ als schematisch vereinfachter Schattenriss in vier bis sieben Schritten. Die bruchlos fortschreitende Entwicklung löst sich in einer Konkurrenz verschiedener Lebensmodelle, in Wettstreit und Dekadenz einer pluralistischen Spaß- und Freizeitgesellschaft auf.

Der Eintritt in die Stadtgalerie Kiel, Andreas-Gayk-Straße 31, ist frei.