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Punk war die letzte große Revolution in der pophistorisch codierten Gegenkultur: Eine völliger Umsturz der Zeichensysteme aus den sechziger Jahren, der Stilgesten und der musikalischen Ausdrucksformen. Punk wurde vielfach als illiterate Rebellion von unten gegen die Pop-Aristokratie der sechziger Jahre missverstanden. Dabei verhielt es sich genau umgekehrt: Der Impuls zum Drei-Akkorde-Aufruhr kam nicht aus der Arbeiterklasse, sondern von den Pop-Intellektuellen Malcolm McLaren und Vivienne Westwood, die im Bewusstsein der künstlerischen Avantgarden des 20. Jahrhunderts ein komplexes Patchwork aus visuellen und akustischen Signifiern webten, das sich wie ein Steppenbrand über die ganze westliche Welt ausbreitete. Aus heutiger Sicht ist es weniger die doch eher einseitige musikalische Seite des Punk, die nachhaltig weiterwirkt, als das Spiel mit Ikonografien und mit kunstimmanenten Bezügen. So hat Greil Marcus überzeugend nachgewiesen, dass sich etwa das im Punk omnipräsente Symbol der Sicherheitsnadel zu den Postern des Mai 68 und zur agitatorischen Bildrhetorik des Situationismus zurückverfolgen lässt. Ebenso nachvollziehbar ist das späte Echo dadaistischer Lautpoesie in der Zungenrede und im hysterischen Sprach-Stakkato etwa von Johnny Rotten oder Mark E. Smith. Die visuelle Charakteristik von Punk betrifft das gefährliche Spiel mit totalitären Zeichen genauso wie die zerhackte Typografie von Erpresserbriefen, die Adaptierung von Pop-Art-Traditionen wie die zeitgenössische Umcodierung lettrististischer Handlungsanweisungen. Die Ausstellung Punk. No One is Innocent versucht am Beispiel der drei Metropolen New York, London und Berlin zu belegen, wie unterschiedlich und doch konsistent Punk in verschiedenen Kulturräumen und gesellschaftspolitischen Milieus auf bildende Kunst, den „Look“ der Jugendlichen und die Chiffren der Revolte wirkte. Während er in England vor allem ein Stil- und Modephänomen war und eine typische Grafik hervorbrachte (Jamie Reid), gab es in den USA und in Deutschland von Beginn an eine enge Beziehung von Künstlern und Punkrockern, ja, viele Künstler und Avantgarde-Filmemacher wie Jim Jarmusch, Wolfgang Müller, Nancy Arlen und Salomé spielten selbst in Bands. Die Ausstellung will zeigen, dass Punk eine ästhetische Behauptung von Radikalität war, die sich vor allem als Revolution der Zeichen manifestierte und mit seiner Do it yourself-Ästhetik produktive Irritation stiftete. Die optischen Spuren dieser mittlerweile längst historisch gewordenen Bewegungen prägen bis zum heutigen Tag künstlerische Ausdrucksformen und haben über Protagonisten wie Laurie Anderson und Vivienne Westwood längst den Galerien- und Modemainstream erreicht.

Die Ausstellung umfasst neben bildender Kunst auch historische Artefakte (Flyer, Plattencovers, Manifeste, Fotodokumentationen), sowie typische Stil-Embleme, die als genetischer Code eines popkulturell verschlüsselten White Riot bis in die Gegenwart spürbar sind.

Vorläufige Auswahl von KünstlerInnen: Vito Acconci, Laurie Anderson, Elvira Bach, Lynda Benglis, Leigh Bowery, Jörg Buttgereit, Die tödliche Doris, EndArt, Einstürzende Neubauten, Genesis P-Orridge, Walter Gramming, Richard Hambleton, Derek Jarman, Richard Kern, Martin Kippenberger, Linder, Robert Longo, Ann Magnuson, Robert Mapplethorpe, Malaria/Mania D, Malcolm McLaren, Mark Morrisroe, Tony Oursler, Amos Poe, Jamie Reid, Christy Rupp, Salomé,Alan Vega, Arturo Vega, Vivienne Westwood, Stephen Willats, David Wojnarowicz, Bill Woodrow, Cerith Wyn Evans, Sonic Youth, Yana Yo

Kurator: Thomas Mießgang

Zur Ausstellung erscheint ein begleitender Katalog mit Textbeiträgen von Thomas Mießgang, Glenn O’Brien und Jon Savage.