artist / participant

press release only in german

Anlässlich des Gastland-Auftritts von Island zur Frankfurter Buchmesse 2011 präsentiert der Frankfurter Kunstverein die erste große Einzelausstellung von Ragnar Kjartansson (geb. 1976) in Deutschland. Die Ausstellung umfasst über 15 Videoarbeiten, Bilderserien und Installationen der vergangenen zehn Jahre des bekannten isländischen Künstlers, der im isländischen Pavillon auf der Venedig Biennale 2009 mit einer sechsmonatigen Dauerperformance für Aufsehen sorgte. Speziell für die Ausstellung im Frankfurter Kunstverein produziert Kjartansson eine neue skulpturale Arbeit.

Island besitzt eine kleine aber sehr lebendige und vielseitige Kunstszene, die sowohl von internationalen Einflüssen, als auch von den einzigartigen geographischen und historischen Gegebenheiten des Inselstaates geprägt wird. Zeitgenössische Kunst aus Island zeichnet sich durch intermediale und interdisziplinäre Ansätze aus: Viele Künstler arbeiten zugleich mit bewegten Videobildern und fotografischen Standbildern, mit Sound und elektronischer Ambient Musik, mit Performances und situativen Handlungen, die in räumliche oder objekthafte Arrangements münden.

So verfolgt auch der aus einer Theaterfamilie stammende Ragnar Kjartansson einen multidisziplinären Ansatz und setzt in seinen Werken Elemente der bildenden Kunst, der Musik und vor allem auch des Theaters ein. Es entstehen Happenings, Installationen, Zeichnungen, Fotografien und Videos. Kjartansson, der den Prozess des künstlerischen Arbeitens selbst als Performance versteht, agiert in vielen seiner Arbeiten als Protagonist und schlüpft dabei in unterschiedliche Rollen. Man sah den Künstler beispielsweise als Ritter, als Rockstar, Revolutionär oder sogar als Inkarnation des Todes und selbstverständlich – wie etwa zur Venedig Biennale 2009 – als Künstlergenie, besessen von der Suche nach dem ultimativen Bild.

Der Einsatz von Wiederholungen und Zeitschleifen und das damit verbundene Thema der Dauer und des Durchhaltens, stehen im Zentrum der Arbeiten von Ragnar Kjartansson. Der Künstler treibt dabei sich selbst und sein Publikum an physische und psychische Grenzen. Als Kulissen inszeniert er Räume oder Projektionsflächen, in denen der große Auftritt, der historische Augenblick oder der schicksalhafte Moment stattfinden könnte. Die Videoarbeit „God“ (2007) zeigt Kjartansson beispielsweise auf einer in pinkfarbenen Satinstoff ausgekleideten Bühne inmitten eines klassischen Orchester-Settings wie er 40 Minuten lang den Refrain „Sorrow conquers happiness“ wiederholt. Es sind keine identischen Wiederholungen, sondern – ähnlich den ermüdenden Proben der immer gleichen Theaterszene – endlos aufeinander abfolgende gesungene Sequenzen ähnlicher Tonalität, die jedes Mal anders ausfallen. Diese mantraartigen Übungen spiegeln die innere Suche und endlose Sehnsucht des Performers nach der wahren Aus- drucksform wider, die schließlich auf das Publikum überspringt und es in einen ambivalenten Zustand von Glück und Trauer, Schönheit und Horror, Humor und Drama versetzt.

Inspirationsquellen für seine Dauerperformances sind neben der Performance- kunst der 1970er Jahre, das isländische „Storytelling“. Die in Island populäre Erzähltradition beruht auf der mündlichen Weitergabe und Wiederholung alter Überlieferungen. So changieren Kjartanssons Werke zwischen regionalen Volks- erzählungen und popkulturellen Versatzstücken und entwerfen ergreifende und zugleich beklemmende Blicke auf Geschichte und Gegenwart.

Ragnar Kjartansson beschreibt sich selbst als unheilbaren Romantiker, dessen künstlerische Praxis in der Tradition der existentiellen Handlungsperformance steht. Seine Arbeiten sind Ausdruck von „Weltschmerz“, einem Gefühl von Trauer, Verzweiflung aber auch von Schönheit, das der Künstler auf einen existentiellen Moment zu reduzieren sucht. Es geht daher in vielen seiner Werke darum, literarische, musikalische oder gestische Momente der Ergriffenheit und der reinen Expression bis zur Erschöpfung aufzuführen und auszuhalten.

Schlüsselarbeiten hierfür sind die drei in der Ausstellung gezeigten Videos „Me and my Mother“ (2000, fortlaufend). Sie zeigen Kjartansson und seine Mutter in einer Performance, die der Künstler 2005 und 2010 wiederholte und auch in Zukunft alle fünf Jahre verfilmen wird, so es das Schicksal zulässt. Im elterlichen Wohnzimmer sieht man wie die Mutter, von Beruf Schauspielerin, ihren Sohn wiederholt anspuckt. In dieser Zeitschleife entsetzlicher Tragikomik befragt Kjartansson die ambivalente Mutter-Sohn-Beziehung, die sich im Spannungs- verhältnis emotionaler Nähe und Vertrauen, Distanz und Verachtung bewegt, und stellt sie in den Zusammenhang ihrer unaufhaltsamen zeitlichen Auflösung – ein möglicher Versuch die Zeit anzuhalten und die eigene Existenz zumindest momenthaft darin abzubilden.

only in german

Ragnar Kjartansson
Endlose Sehnsucht, ewige Wiederkehr