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INSIDEOUT #1 Raphaela Vogel

kuratiert von Gesine Borcherdt

1.–25. Februar 2021

Weißes Silikon, wie schockgefrorene Körpersäfte. Aufgespannte Tierfelle, als wären sie gebrochene Flügel. Die Installationen von Raphaela Vogel (geboren 1988 in Nürnberg, lebt und arbeitet in Berlin) appellieren an alle Sinne. Sie sind forsch und fordernd, verträumt und intensiv, humorvoll und melancholisch, widersprüchlich und provokant. Viele beziehen sich auf Tiere. Aber auch Marsias und Arachne sowie Musikcollagen aus Klavierkompositionen, Drohnensounds und schrillen Schlagern kommen immer wieder vor, ebenso wie die Künstlerin selbst, wenn sie in ihren Videos auftaucht. Vogels Arbeiten bilden Kreisläufe: intuitiv, verzerrt, unwirklich und genau deshalb in sich stimmig. Allgegenwärtig ist das innere Druckgefühl einer Künstlerin, deren Werk wie in einem hypnotischen Bewusstseinsstrom alles mit sich reißt – und die der Gegenwartskunst eine ganz neue feministische Bildsprache verleiht.

Für INSIDEOUT im Schaufenster der Kunsthalle Gießen stellt Raphaela Vogel eine Reihe von „Uris“ auf: Weiße Silikonabgüsse von freistehenden Urinalen, wie sie an Stränden oder auf Festivals benutzt werden. Die seltsamen, skelettartigen Formen wirken, als würden sie selbst gerade brav anstehen, bis sie an der Reihe sind. Trotz ihrer expressiven Erscheinung sind sie beinahe identisch und weisen keine signifikant individuelle Handschrift auf – ihre Figuren entstehen allein durch das Material, das an den Pissoirs herabgelaufen ist.

Über ihnen ist an der Wand eine riesige bemalte Collage aus Elch- und Pferdehäuten angebracht. „Der Zahn“ erinnert in seiner Zuspitzung an eine Zahnwurzel, doch vor allem greift er eine Form auf, die bei Raphaela Vogel immer wieder auftaucht: das Dreieck. Als stärkster Kontrast zum virilen Rechteck, wie es die meisten Architekturen bestimmt, findet sich in ihm eine Metapher, die bei INSIDEOUT besonders ins Auge springt: Wie ein Schamdreieck dominiert es die Wand als riesiges weibliches Genital, das zugleich abstrakte Malerei ist. Vogel spielt damit auf eine Disziplin an, die besonders für männliche Kunstgeschichte steht. Schon früh hat die Künstlerin Leder bemalt und so eine neue Freiheit von der vorbelasteten Leinwand erlangt, zumal Tierhäute bereits eine Bedeutung transportieren.

Es ist diese obskure Körperlichkeit, die Raphaela Vogels Werk auszeichnet. Kombiniert mit neuesten Materialien und Techniken, denen jedoch stets etwas Brüchiges anhaftet, entstehen Erzählungen in einer ganz eigenen, dystopischen Bildsprache – voller Scharfsinn, Symbolkraft und Humor, die weit über den Zeitgeist unserer digitalen Epoche hinausgeht.

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Unter dem Titel INSIDEOUT bespielen die Kuratorinnen Gesine Borcherdt und Dr. Julia Wirxel nacheinander ab Februar bis April das Schaufenster der Kunsthalle Gießen mit monatlich wechselnden künstlerischen Positionen. Mit diesem neuen Format antwortet die Kunsthalle auf die aktuellen, pandemiebedingten Schließungen von Kulturinstitutionen. INSIDEOUT trägt die Kunst vom geschlossenen Innenraum in den Außenraum und ermöglicht so den Besucher*innen, weiterhin aktuelle Kunst zu sehen.
INSIDEOUT is the new exhibition series, where the curators Gesine Borcherdt and Dr. Julia Wirxel successively occupy from February to April the display window of the Kunsthalle Gießen with monthly changing artistic positions. With this new format, the Kunsthalle is responding to the current, pandemic-related closings of cultural institutions. INSIDEOUT carries the art from the closed interior to the exterior, thus enabling visitors to continue to see current art.