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Unter dem betont aktuell erscheinenden Titel 'Going Nuclear' führt die Ausstellung Arbeiten zweier junger, in den Niederlanden lebende, Künstlerinnen zusammen. Im Fokus steht dabei jedoch nicht die nach wie vor bedrohlich prekäre Lage des havarierten Atomkraftwerks in Japan, wenngleich dieser Hintergrund als Folie selbstverständlich nicht ausgeblendet bleiben kann. In der Zusammenschau rückt die lange vor dem Katastrophenszenario konzipierte Ausstellung vielmehr grundlegende Fragen nach der Condition Humaine in den Blick. Errungenschaften des vermeintlich voranschreitenden Zivilisationsprozesses, seien sie mit Fluch oder Segen belegt, werden kreativ lustvoll zur Disposition gestellt.

Raquel Maulwurf, 1975 in Madrid geboren, beendete 1997 in Arnheim ihr Studium und lebt heute in Amsterdam. In verführerisch schönen, monumentalen Kohlezeichnungen bannt die Künstlerin das grelle Licht, welches unseren Tanz auf dem Vulkan hin und wieder schlaglichtartig erleuchtet, auf übergroßem Museumskarton. Die Bilder, auf die sie dabei zurückgreift sind uns nur zu geläufig: Kriegsschauplätze, Trümmerfelder, Flakfeuer und Bombenhagel auf große Städte verarbeitet Maulwurf zu eindringlichen Szenarien des Menschenuntergangs. Es sind solche 'Ereignisblitze', um einen Begriff des Philosophen Peter Sloterdijk aufzugreifen, bei denen die Welt ihre Farbe verliert. Offensichtlich resultieren sie aus einem unablässigen Drang des Menschen, sich, seine Gattung und die Umwelt zu zerstören. Mit ihren schwarz-weißen Serien zu einzelnen Themenkomplexen transformiert Maulwurf ihre Form der Welterkundung hin zu einer Selbstbefragung, geht der manische Zeichnungsprozess doch mitunter einher mit dem Ausloten des eigenen destruktiven Potentials. Der weiße Kartonuntergrund mutiert im künstlerischen Akt somit, bewusst überspitzt formuliert, zum Schlachtfeld. Eine eindeutige Stellungnahme bleibt, entgegen der landläufigen Erwartung, daher zunächst verwehrt. Für die aktuelle Ausstellung wählte Raquel Maulwurf eigens einige Arbeiten aus der 2008 begonnenen Serie 'Going Nuclear' aus, welche die bekannt schaurig schönen, jedoch vornehmlich beklemmenden Bilder von Atombombentests an diversen Orten des Globus wiedergeben. Mit dem Mururoa- und Bikini Atoll im Pazifik, oder Semipalatinsk im heutigen Kasachstan sind ausgelöschte Orte markiert, die vom Menschen hinfort nicht mehr aufgesucht geschweige denn bewohnt werden können. Lediglich die überkommenen Bilder künden noch von ihrer Präsenz.

Auch für die 1972 geborene und in Den Haag lebende Birgit Verwer steht die Frage, wozu der menschliche Geist fähig ist, im Zentrum der künstlerischen Arbeit. In ihren plastischen Collagen werden Fragmente der Wirklichkeit abgebildet, angeeignet, einverleibt, erfunden, verfremdet und verzerrt. Weniger das jeweils verwendete Medium steht dabei im Vordergrund, viel eher die Dringlichkeit des Anliegens. Dieses zielt auf einen selbstbestimmten, kritischen und kreativen Umgang mit unseren Symbolen, Werten und Vorbildern, verbunden mit der Einladung zum kommunikativen Austausch über uns und unsere Welt. Verhandelt werden das Wissen, die Macht und die Subjektwerdung des Menschen. Der Logik der Systeme und dem universellen Verblendungszusammenhang gilt es pointiert entgegenzutreten und spielerische Freiräume des offenen menschlichen Umgangs miteinander einzufordern. Für die Kölner Galerieräume fertigte Birgit Verwer eine weitere Version ihrer Ticketschalter, eine Collage aus entsorgten Möbelstücken, in welchem zwei ausgestopfte Füchse, stellvertretend für die zwei Seelen in unserer Brust, Karten für abgelegte Prioritäten zum Verkauf anbieten. Dass wir Menschen nicht ohne Illusionen leben können und uns deshalb nur all zu gerne mit Simulacra begnügen, bezeugt eine weitere Installation, die ein Automobil darstellt, wie Kinder es sich aus den Utensilien der Wohnungseinrichtung zusammenbasteln. Darin unternehmen sie weite Reisen in die entlegendsten Winkel dieser Erde und kommen doch nicht von der Stelle. Offenkundig gibt es immer einen Spielraum zwischen einer Form, einer Essenz und der entsprechenden Realität. Der Irrtum unterscheidet sich eben nicht radikal von der Wahrheit.

Wie weit sind wir in der Lage, in ein Zeitalter und ein Weltverständnis einzutreten, das ohne Mythen, Religion, Ideologien und Illusionen, mithin auch ohne uns selbst betreffende allgemeine Wahrheiten auskommen könnte? Raquel Maulwurf und Birgit Verwer weichen solchen Fragen nicht aus. Was beide Künstlerinnen verbindet, ist die souveräne formale Artikulation ihres Engagements, das zugleich die radikale Absage an den Fortschritt und dessen affirmative Ideologie bedeutet.

Harald Uhr

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Raquel Maulwurf, Birgit Verwer
GOING NUCLEAR
Zeichnungen, Skulpturen