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Eröffnung: 12. September, 19 Uhr, NGBK

Der Ausstellungstitel Der Blinde Fleck, der im eigentlichen Sinne ein rein optisches Phänomen beschreibt, diente bei den Recherchen als metaphorisches Vehikel, um die Mechanismen und Bedeutungen des Vergessens, der Ausblendung und des Verdrängens in individuellen, sowie in gesellschaftspolitischen Lebenszusammenhängen assoziativ ausloten zu können. Versammelt sind zeitgenössische Positionen von Künstlern und Künstlerinnen, die sich in ihrer Recherche, Forschung und kritischen Auseinandersetzung exemplarisch den philosophischen, gesell-schaftspolitischen und individualpsychologischen Dimensionen dieses Themas nähern.

Klaus Weber, Jin Lie, Albrecht Schäfer, Hito Steyerl, Ilka Meyer, Hörner/Antlfinger, Sarah Vanagt, Matthias Jud / Christof Wächter, Nina Fischer / Maroan el Sani, Richard Schütz, Kriss Salmanis / Daiga Kruze

Aktuelle Debatten um Erinnerungs- und Gedächtnispolitik schließen Aspekte von Verdrängung und Vergessen ein, denn Erinnern und Vergessen bilden ein dialektisches Paar; es handelt sich um zwei Seiten ein und derselben Medaille. Fragen nach dem gesellschaftlichen Umgang mit kollektiven Traumata und der Bedeutung von Ausblendungen in gesellschaftlichen Systemen, soll im Kontext der Ausstellung ebenso nachgegangen werden, wie den Methoden und Erinnerungspraxen des Einzelnen und der damit verbundenen Identitätskonstruktion. Reflektiert wird hierbei auch, wie etwa das menschliche Gedächtnis biologisch funktioniert oder warum dem Vergessen oft eher negative Eigenschaften zugeschrieben werden. Eine der zentralen Fragestellungen beschäftigt sich mit künstlich erzeugten kollektiven Amnesien, die jedoch nicht nur die Geschehnisse in der kommunistischen Ära der ehemaligen Ostblock-Länder betreffen.

Im Spannungsfeld von individueller Geschichts(re)konstruktion und nationalen Traumata, bewegen sich die filmischen Arbeiten von Sara Vanagt und Hito Steyerl, die Versuchsanordnung des Künstlerpaares Hörner / Antlfinger, sowie das Video Historia der lettischen Künstler Daiga Kruze und Kriss Salmanis. Richard Schütz richtet sein „Foto-Auge“ auf den architektonischen Wandel Berlins und befragt damit ein mögliches (Geschichts-)Vergessen. Nina Fischer und Maroan el Sani nehmen Architektur als kulturhistorische Repräsentationsform in den Fokus. Ihr Film beschreibt den Verlust von tradierten Wissensräumen in unserer internetbasierten Gegenwart und zeigt auf, dass „die Vergesslichkeit zum Schatten unserer Informationsgesellschaft wird: Wir sind immer mehr informiert und erinnern uns an immer weniger.“ (W. Sützle) Aktiv produzierten (Wahrnehmungs-) Lücken widmet sich das Schweizer Künstlerduo Jud und Wachter mit ihrer Internetplattform ZONE*INTERDITE. Dass der Fehlstellen-produzierende Akt des Erinnern, abstrakt gesehen, dem Akt des Kopierens nicht unähnlich ist, verdeutlicht die Künstlerin Ilka Meyer, in ihrer Copy-Art Wandarbeit 1001. Die mediale Umwandlung der schwarzen Hülle des Notizbuches der Künstlerin produziert nahezu plastisch wirkende „blinde Flecke“. Durch materielle Überlagerungen und Vermengungen bringt Albrecht Schäfer die Informationen zum Rauschen und zeigt, dass die Ausblendung von Redundanzen zu einer aktiven Form des Vergessens und schließlich zu einem reinigenden Prozess führen kann. Die Folgen des Auslöschens lassen sich in den malerischen Portraits des chinesischen Künstlers Jin Lie ablesen, deren Entstehung ein Prozess aktiven Verdrängens vorausging. Mit seiner raumgreifenden Installation Allee der Schlaflosigkeit in Form eines begehbaren Archi-tekturmodells, thematisiert Klaus Weber die „Nachtseite der Moderne“ und führt die Besucher – von zivilisatorischen Zwängen immer stärker bestimmte Individuen – an einen Punkt, wo das Grenzüberschreitende und Exzessive berührt wird. Das idyllische Setting Webers ermöglicht es, sich in rauschhafter Überschreitung zeitweilig den Regularien der Wirklichkeit mit ihren Kon-trollmechanismen und Sicherheitskonzepten und auch der funktionalen Selbstbegrenzung des eignen Ichs zu entziehen. Dieser temporäre Kontroll- und Selbstverlust birgt die existenzielle Erfahrung, „sich zu vergessen“.

Der gleichnamige Katalog zur Ausstellung enthält neben einer thematischen Einführung der Kuratorinnen Lith Bahlmann und Anke Hoffmann, umfangreiches Text- und Bildmaterial zu den präsentierten künstlerischen Arbeiten, ergänzt durch Essays des Kulturhistorikers Max Glauner, der lettischen Kunstwissenschaftlerin Mara Traumane, der Medizinerin und Literaturwissenschaftlerin Yvonne Wübben und des Filmwissenschaftlers Matthias Wittmann. ISBN: 978-3-938515-20-4, dt./engl.

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REALISMUSSTUDIO
Der Blinde Fleck

Künstler:
Klaus Weber, Jin Lie, Albrecht Schäfer, Hito Steyerl, Ilka Meyer, Hörner / Antlfinger, Sarah Vanagt, Christoph Wachter / Mathias Jud, Nina Fischer / Maroan el Sani, Richard Schütz, Kriss Salmanis / Daiga Kruze