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Unter dem Ausstellungstitel Reality in general is almost unavoidable beschäftigen sich Anna Gollwitzer, Kirstine Roepstorff und Patrick Rieve mit politischen und soziologischen Fragestellungen unserer Gegenwart. Die künstlerische Produktion der vorgestellten Positionen ist vordergründig an einer äußeren ästhetischen Erscheinungsform interessiert und orientiert sich an der Populärkultur. Im Sinne einer Strategie der "poetic politics" wird die politische und kulturelle Realität, die sich hinter der schönen Oberfläche befindet, sichtbar gemacht. Dies geschieht durch verschiedene Medien wie performative Skulptur (Anna Gollwitzer), Collage (Kirstine Roepstorff) und Zeichnung (Patrick Rieve).

Kirstine Roepstorff verarbeitet in ihren Collagen gefundenes Bildmaterial aus Magazinen und Zeitschriften. Auf den ersten Blick zeigen diese Arbeiten eine fast kitschige Oberflächenstruktur, die mit Glitterpartikeln und anderen dekorativen Elementen übersät ist. Betrachtet man aber ihre Arbeiten genauer, so erkennt man eine kritische Auseinandersetzung mit den politischen, kulturellen und ökonomischen Systemen der Gegenwart, die stufenweise erscheinen und die gesellschaftliche Realität zeigen.

Für die Ausstellung im Neuen Berliner Kunstverein wird in zwei ortsspezifisch entwickelten, großformatigen Wandarbeiten untersucht, wie eine aktuelle Kunstproduktion politische Utopien ästhetisch begreifen und reflektieren kann.

Die Hinterfragung gesellschaftlicher Prozesse findet bei Anna Gollwitzer durch die Transformation von Sprache in eine bildhafte und skulpturale Ebene statt. Ihre Arbeiten sind bestimmt von einem tiefen Interesse an philosophischen, psychologischen und kultursoziologischen Diskursen. Worte werden bei ihr zu Skulpturen, zu Zeichen im Raum und zur gleichsam sinnlich erfahrbaren Konkretisierung von Sprache. Neben der Skulpturengruppe “Satzzeichen" und der "Knownowtüre" wird Anna Gollwitzer für die Ausstellung im Neuen Berliner Kunstverein eigens eine Folge ihrer seit 1998 erscheinenden “talktv"-Serie produzieren. Im Format einer Talkshow lädt Gollwitzer Gäste ein, die an den Grenzen des Kunstdiskurses agieren. Der aktuelle Themenschwerpunkt bei "talktv" liegt in der prekären Situation von Freiberuflern sowie der Umordnung des Feminismus zum Popfeminismus.

Patrick Rieve greift die Formensprache amerikanischer Comics aus den 40er/50er Jahren auf. Ein zentraler Aspekt seiner Arbeit ist die Aneignung von Räumen. Auch sein Katalogbeitrag ist eine publizistische Erweiterung der Ausstellung. Die hauptsächlich in schwarz-weiß gehaltenen Blätter haben den Charakter von detailgetreuen Architekturzeichnungen. Rieve kartiert durch sie in einem ständigen Perspektivwechsel seine Umgebung und verortet sich darin selbst. Er zeichnet exakte Grund- und Aufrisse des Hauses - in dem er einige Zeit mit Freunden lebte - mitsamt Mobiliar und erfindet weitere Räume hinzu. Im Fokus steht sein eigener Lebensraum, den er in immer wieder wechselnden Auf-, An- und Innensichten darstellt, bis hin zu einer “Being-John-Malkovich"-Perspektive aus den Augenhöhlen heraus. Der Arbeitstitel der Ausstellung “Ortsbegehung" erhält bei Patrick Rieve eine wörtliche Bedeutung. Im Vorfeld der Ausstellung erforschte er detektivisch alle möglichen Zugänge zum Neuen Berliner Kunstverein von den umliegenden Gebäuden und Straßen aus. Je bewusster er dem Betrachter diese Zugänglichkeit macht, desto bedrohlicher wirkt sie.

Zur Ausstellung, die vom 12. bis 31. Dezember 2006 auch im Kunstverein Göttingen gezeigt wird, erscheint ein zweisprachiger Katalog.

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