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Rebecca Horn
Spiegel der Nacht - Mirror of the Night
24.5. – 2.8.1998

[…] So unterschiedlich die Eingriffe der Künstler in den Raum auch waren, keine der Arbeiten beanspruchte eine im Wortsinn derart raumgreifende Dimension wie die Installation Rebecca Horns. […] [Sie] erfasst den Raum von der Decke her in seiner vollen Höhe und lässt einen fünf Meter langen goldenen Stab durch seine Mitte hindurchfahren. Dort steht am Boden vor dem Thora-Schrank ein rechteckiges Stahlbassin, bis zum Rand gefüllt mit schwarzem Wasser. Die Spitze des Stabes sticht wie eine Nadel in die Wasseroberfläche und vollzieht in kürzeren und längeren Intervallen Bewegungen, die dem Schreiben von Zeichen gleichkommen. Diese werden begleitet von dissonanten Klängen einer Violine, die hoch oben an der dem Stab gegenüberliegenden Wand angebracht ist.

Was zunächst wirkt, wie von Geisterhand bewegt, erweist sich bei genauerem Hinsehen als profane Mechanik. Violine und Stab hängen an Maschinen, die sie in einem raffiniert zeitlich versetzten Rhythmus antreiben. Stehen die Maschinen still, spiegelt sich der Raum in der schwarz glänzenden, abgrundtief wirkenden Wasserfläche. Hier wird er ein weiteres mal durchschnitten, diesmal nicht von der Bewegung, sondern von der Reflexion des Stabes. Setzt sich die Mechanik mit deutlich vernehmbaren Geräuschen in Gang, verzerren Wellenbewegungen und Lichtreflexe erneut das Bild.

Trotz der enormen Transformation, die der Raum durch diese Installation erfährt, dominiert sie paradoxerweise die ihm eigene Atmosphäre nicht. Vielmehr gewinnt die vor allem durch ihre Schlichtheit überzeugende Architektur im Spiel der Spiegelungen eine geradezu glanzvolle Ausstrahlung und unterstützt der religiöse und historische Symbolgehalt des Ortes die Assoziationen, die die Künstlerin mit ihrer Formensprache evoziert. Die teilweise überdeutliche Symbolik der Installation und ihre enge Verzahnung mit der jüdischen Religion und Mystik können jedoch zu eindimensionalen Deutungen verleiten, die die Komplexität des Werks erdrücken und ihm eine unangemessenes Pathos verleihen.

Das rechteckige, quer zum Thora-Schrank liegende Stahlbassin erinnert durch an den Längsseiten angebrachte Auswölbungen an ein aufgeschlagenes Buch, in das der goldene Stab wie eine Himmel und Erde verbindende Achse seine Wahrheiten schreibt. Indem Horn das Bassin, dem sie selbst in einem lyrischen Text die Doppelbedeutung „Das schwarze Bad, das offene Buch“ zuschreibt, mit einem Kranz aus Lorbeerblättern umgibt, unterstreicht sie die allzu bedeutungsschwere Metaphorik. Der rituelle Charakter der Arbeit korrespondiert mit dem rituellen Kontext des Gebetsraumes. Zugleich weckt die Installation Assoziationen an das jüdische Kultbad, die Mikwe. Das schwarze Bad indessen gehört zum Formenrepertoire der Künstlerin und läßt Gedanken an Trauer und Tod zu.

Horn erzeugt eine Stimmung nahezu feierlicher Ergriffenheit, wobei die Schönheit ihrer Installation geradewegs betört. Die Lichtreflexe auf dem Blattgold des Stabes verleihen ihm die Immaterialität eines Strahls. Das Schreiben und Verlöschen der Zeichen im Wasser, begleitet vom Klagen der Violine, setzt die Dialektik von Erinnern und Vergessen, Sichtbarem und Unsichtbarem, Bewußtem und Unbewußtem, Ewigkeit und Vergänglichkeit auf eine tiefgründige, stark berührende Weise ins Bild. Immer spielt Rebecca Horn mit großen Gefühlen, aber sie tut es stets mit mal melancholischer, mal druchtriebener Ironie, die an Grausamkeiten grenzen kann. Wie in allen ihren Arbeiten steckt auch in der Stommelner Installation absurder Witz. Das Pathos ihrer Symbolik unterläuft Horn durch die kühle Ästhetik der durchschaubaren Mechanik und durch stetige Wiederholungen. Das Laufwerk der Maschine ist unüberhörbar präsent, plötzlich bricht die Violine ächzend ab wie eine nur halb aufgezogene Spieluhr. Da klopft einem sprichwörtlich der alte Heine auf die Schulter: „Mein Fräulein sein sie munter, das ist ein altes Stück…“. […]

Christel Wester