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Richard Serra
The Drowned and the Saved
23.4. – 13.9.1992

Der Titel dieser skulpturalen Arbeit Serras referiert auf den gleichnamigen Roman des italienischen Schriftstellers Primo Levi. Levi schreibt:

"Wir Überlebenden sind nicht nur eine kleine, sondern auch eine anormale Minderheit: wir sind die, die (...) den tiefsten Abgrund nicht berührt haben. Wer ihn berührt, wer das Haupt der Medusa erblickt hat, konnte nicht mehr zurückkehren, um zu berichten, oder er ist stumm geworden."

Zwei rechte Winkel, deren horizontalen Bemessungen länger als die Vertikalen sind, so dass sie unweigerlich stürzen würden, stünde jeder für sich, stehen sich gespiegelt gegenüber, der eine den anderen stützend. The Drowned and the Saved. Serra unternimmt keinen Versuch, mit dieser Skulptur etwas der Erfahrung des Holocaust Entsprechendes zu schaffen. Er reduziert vielmehr sein Vokabular auf elementare Funktionen wie die des Tragens, des Lastens oder des Aneinanderlehnens und meidet so jede konkrete Darstellung und Analogie. Das Verhältnis der Geretteten zu den Untergegangenen ist ein traumatisches und lastendes. Es ist eine Abhängigkeit und eine Unmöglichkeit, sich NICHT aufeinander zu beziehen, oder ein Zwang, sich unentwegt beziehen zu müssen. So ist dieses Stützen kein gegenseitiges UNTER-Stützens, sondern ein unfreiwilliges Sich-Stützen-Müssen. Es ist eine erzwungene Konstellation, eine aus den unsagbaren Erfahrungen des Holocaust hervorgehende Relation. Diese Relation ist hermetisch, für den Betrachter nicht oder nur mittelbar nachzuempfinden, und so steht auch Serras Skulptur dem Besucher frontal entgegen und erzeugt eine stille und zugleich massive Distanz. Gleichzeitig aber schafft die anthropometrische Dimensionierung der Skulptur die Möglichkeit, über diese Distanz hinweg den eigenen Körper und somit die eigene Erfahrung in Beziehung zu der hermetischen und traumatischen Relation treten zu lassen, die sich in der Skulptur realisiert.