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Die speziell für das Kunsthaus Bregenz konzipierte Ausstellung von Roni Horn ist die erste umfassende Einzelpräsentation der international renommierten New Yorker Künstlerin in Österreich. Auf vier Stockwerken zeigt das KUB bedeutende Werkgruppen der letzten Jahre und ermöglicht somit einen tiefen Einblick in die künstlerische Vorgehensweise Roni Horns.

Den Auftakt bilden im Erdgeschoss, der so genannten KUBArena, mehrere großformatige Papierarbeiten. Ohne Abbilder realer Gegebenheiten zu sein, wecken die Zeichnungen eine Reihe von Assoziationen und rufen ihren Entstehungsprozess in Erinnerung, wodurch sie zu »Zeugnissen ihrer eigenen Geschichte« werden. Im Zuge der Anfertigung zerschneidet Horn ihre Papierarbeiten und fügt zuweilen mehrere Blätter in Form von großen Zeichnungen zusammen, wobei sie die Schnittstellen neu kombiniert. Durch das Aneinanderstoßen der zerlegten Blattfragmente entstehen raue Oberflächen und eine taktile Qualität. Gesteigert wird die Haptik der Blätter durch die Verwendung ungebundener, porös erscheinender Pigmente. Interpretatorisch betrachtet könnte das Zerschneiden und Neu-Zusammensetzen als Suche nach der idealen Form oder nach einer räumlichen Einheit gelesen werden. Darüber hinaus verweist diese Technik auch auf das grundlegende Bewusstsein, dass Welt nur fragmentarisch wahrgenommen wird.

Die große Diversität des Werks von Roni Horn – nicht nur in der Wahl der Medien, die Künstlerbücher, Zeichnungen, Fotografien und Skulpturen umfasst – manifestiert sich auch in ihrer breiten inhaltlichen Ausrichtung. Bei aller Vielfältigkeit lassen sich jedoch bestimmte Vorlieben der Künstlerin immer wieder ausmachen, wie beispielsweise die einfühlsame Beschäftigung mit Sprache und deren kulturellem, sozialem und poetischem Potenzial. Roni Horns profunde Sensibilität für die weichen, auf Veränderung angelegten Faktoren verbaler und schriftlicher Kommunikation spiegelt sich bereits im Titel ihrer Bregenzer Ausstellung »Well and Truly«. Seine deutsche Übersetzung bedeutet soviel wie »ganz und gar«. Im Englischen gilt sie heute als eine leicht veraltete idiomatische Redewendung, sodass Horn mit ihr nicht nur einen historischen Filter einblendet, sondern auch zusätzliche Verweisebenen impliziert. In seiner insistierenden Doppelbetonung erinnert »Well and Truly« zugleich an Gegensatzpaare wie »hell und dunkel« oder »weich und fest«.                                   Dieses Denken in Paarbildungen ist ein weiteres charakteristisches Moment im Werk von Roni Horn. Mit der Kombination von scheinbar Identischem – zum Beispiel den beiden Wörtern des Titels ihrer Bregenzer Ausstellung mit oberflächlich gesehen gleicher Bedeutung – sensibilisiert sie den aufmerksamen Betrachter für feine Nuancen und Abweichungen.

Das Spiel mit Ähnlichkeiten und Unterschieden lässt sich in veränderter Form bei ihrem Werk a.k.a., das ein ganzes Stockwerk des KUB einnimmt, nachvollziehen. Dreißig zu Paaren angeordnete Porträts der Künstlerin, aufgenommen vom kleinen Mädchen bis heute, entwerfen eine bildliche Abfolge, die Themen, wie das Vergehen von Zeit und geschlechtliche Identität, abwechslungsreich verhandelt. Diese Arbeit veranschaulicht einmal mehr, dass für Horn die Selbsterkenntnis, resultierend aus intensiven Erfahrungen des eigenen Subjekts in Relation zu dem ihn umgebenden Ort und zur Zeit, wichtiger ist als festgeschriebene Normen wie Geschlecht, sexuelle Orientierung und ethnische, kulturelle oder soziale Zugehörigkeit.

Vor dem Hintergrund der erwähnten, äußerst differenziert ausgeprägten Sprachsensibilität Roni Horns verwundert es nicht, dass sie sich seit vielen Jahren mit den Gedichten der amerikanischen Lyrikerin Emily Dickinson beschäftigt. Diese lebte im 19. Jahrhundert sehr zurückgezogen in dem kleinen Ort Amherst in Massachusetts. Emily Dickinson ist nicht nur eine Dichterin, deren Werk sich um subjektive Erfahrungen, Einsamkeit und Faszination des Todes dreht, sie ist auch und vor allem eine Naturalistin. In den in Bregenz ausgestellten Aluminiumstangen mit eingelassenen weißen Buchstaben, Werke aus einer Serie, die den Titel White Dickinson trägt, finden sich Worte und Umschreibungen, die genau dieses unmittelbare und ambivalente Verhältnis zur Natur verdeutlichen, das Horn mit Dickinson teilt.

Die im Ausstellungstitel »Well and Truly« angedeutete Dichte weckt räumlich-skulpturale Assoziationen an Tiefgang, Verwurzelung und grundsätzlich an eine vertikale Ausrichtung. Diese Verweise kommen der Künstlerin nicht ungelegen, bezieht sie sich mit ihnen doch auf eine neue, eigens für Bregenz entstandene Serie von Skulpturen, in deren jeweiligem Titel stets das Wort »Well« auftaucht. Mit den zehn aus massivem Glas gegossenen niedrigen runden Objekten, die einen Durchmesser von 92 Zentimetern aufweisen, setzt die Künstlerin ihre Auseinandersetzung mit einem Material fort, das je nach Bearbeitung gleichermaßen opak und transparent, schwer und leicht, matt und spiegelnd erscheinen kann.    

                        Roni Horn hat ihre Arbeiten in großen internationalen Einzel- und Gruppenausstellungen gezeigt. Derzeit ist eine umfangreiche Überblicksschau ihrer Werke mit dem Titel »Roni Horn a.k.a. Roni Horn« im Whitney Museum in New York zu sehen. Dies ist die dritte Station der Ausstellung nach der Tate Modern, London, und der Collection Lambert in Avignon. Weitere Einzelausstellungen fanden unter anderem im Australian Centre for Contemporary Art, Melbourne (2007), im Reykjavik Ar t Museum (2007), im Inverleith House, Edinburgh (2006), im Ar t Institute of Chicago (2004), im Folkwang Museum, Essen (2004), im Centre Pompidou, Paris (2003), am Dia Center for the Arts, New York (2001–2002), im Castello di Rivoli, Turin (2000), im Musée d’Art Moderne de la Ville de Paris (1999), in der De Pont Foundation for Contemporary Art, Tilburg (1998), im Wexner Center for the Arts (1996), Ohio, und in der Kunsthalle Basel (1995) statt. Zu den wichtigsten Gruppenausstellungen zählen die Whitney-Biennale 2004 in New York, die 47. Biennale in Venedig (1997) sowie die documenta 9 in Kassel (1992). Die Künstlerin lebt und arbeitet in New York und Rejkyavik.