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Rudolf Schlichter (1890 Calw – 1955 München) war ein württembergischer Maler und Zeichner sowie Verfasser von kunsttheoretischen Schriften, einer Autobiographie und eines Romans. Einige seiner Werke gehören zu den Ikonen der deutschen Kunst des 20. Jahrhunderts. Insbesondere seine herausragenden Porträts von Bertolt Brecht im Münchener Lenbachhaus oder von Egon Erwin Kisch in der Mannheimer Kunsthalle fehlen in keinem Werk über die 1920er Jahre.

Die Rezeption Schlichters ist immer noch überaus einseitig auf sein Werk aus den 1920er Jahren fixiert. Sicher erzielte er in diesen Jahren seine größte öffentliche Wirkung. Er gehörte zu den Berliner Dadaisten, der Novembergruppe und war Ateliergenosse von George Grosz, der ihm lebenslang freundschaftlich verbunden blieb. Gerade diese Nähe wirkte sich auf sein Werk deutlich aus. Wie Grosz provozierte er mit radikalen politischen, gesellschaftskritischen und antibürgerlichen Haltungen. Genauso durchleuchtete er lang tabuisierte Bereiche, indem er den Zusammenhang von Politik, gesellschaftlichem Bewusstsein und Sexualität thematisierte. Stärker noch als sein Künstlerfreund wirkte er aus einer Außenseiterposition. Wie Grosz zeigt er Szenen aus allen Facetten des modernen Berliner Großstadtlebens, vom Treiben auf den Straßen bis zu Einblicken ins Nachtleben.

Im Gegensatz zu George Grosz ist Schlichters politischer und künstlerischer Weg weitaus weniger geradlinig. Ende der 1920er Jahre wechselte er nicht zuletzt unter dem Einfluss seiner Frau in das Lager der Konservativen und näherte sich wieder dem Katholizismus an. Seither verband ihn eine Freundschaft mit Ernst Jünger, den er zweimal porträtierte. Schlichters Werk gehört in den späten 1920er Jahren in den Kontext der Neuen Sachlichkeit, in den frühen 1930er Jahre zeigt es immer stärker eine Auseinandersetzung mit klassischen Vorbildern der Malerei. Um 1930 publizierte er autobiographische Schriften in mehreren Bänden, in denen er mit beispielloser Offenheit seinen Lebensweg auch in intimsten Details ausbreitet.

Angesichts dieser Vorgeschichte verwundert sein ambivalentes Verhältnis zum NS-Staat nicht. Anders als seine radikalen Arbeiten der 1920er Jahre widersprachen viele seiner Werke aus den frühen 1930er Jahren in ihrem Klassizismus durchaus nicht den Vorstellungen der NS-Kunstpolitik. Andererseits brachten ihn seine vollständig unbürgerliche Lebensführung und seine autobiographischen Schriften in Konflikt mit dem Regime, was schließlich zu seiner vorübergehenden Verhaftung 1938 führte. Seither wird auch in seinen Werken eine starke Kritik am NS-Staat deutlich. Surreale Visionen oder allegorische Darstellungen gewinnen an Bedeutung, in denen die existenzielle Berohung durch das Regime und den Krieg reflektiert wird.

Nach dem Krieg beteiligte sich Schlichter durch mehrere Beiträge an der kunsttheoretischen Debatte um Figuration und Abstraktion, die insbesondere durch Hans Sedlmayrs Schrift „Der Verlust der Mitte“ (1948) und die „Darmstädter Gespräche“ (1950) befeuert wurde. Die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs und der beginnende Kalte Krieg prägen die Werke jener Jahre. Schlichters Werk ist sehr vielgestaltig und berührt mehrere zentrale politische und ästhetische Debatten der deutschen Kunst des 20. Jahrhunderts. Nicht nur durch seine Qualität, sondern gerade auch durch seine Widersprüchlichkeit gehört es zu den faszinierendsten Kapiteln der deutschen Kunst des 20. Jahrhunderts.

Die Ausstellung ist eine Kooperation mit dem Kunstverein „Talstraße“ in Halle. Die Ausstellung inHalle wird vom 28. April – 24. Juli 2016 zu sehen sein.