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"Durch Träume hindurch gehe ich zur Welt, wenn ich erwache. Durch Träume hindurch falle ich in Schlaf, den Abgrund ohne Träume. Wenn ich erwache, entreiße ich dem Schlaf seine oberflächlichen Träume, um sie wirklich zu machen." (Vilém Flusser, Dinge und Undinge, Phänomenologische Skizzen, München 1993, S. 100 )

Zeugenschaft. In den Zeichnungen von Sandra Vásquez de la Horra

Wie spricht und wie schreibt man von Erfahrungen, die einem einmal unter die Haut gegangen sind und die einem nun zu entgleiten drohen? Wie kann man diesen Zustand mit eigenen Sätzen festhalten? Wie wird man zum Zeugen eines Werkes? Und wie beobachtet man die so fremde und so unabwendbar sichtbare Zeugenschaft? Solche Fragen stellen Werke, deren Zeit noch nicht gekommen ist. Und doch braucht alles – Zeit.

Eine Paradoxie der glasklaren, rätselhaft-melancholischen Zeichnungen von Sandra Vásquez de la Horra liegt darin, dass sie zeichnend erkundet, was sich einer sprachlichen Annäherung zu entziehen scheint, je intensiver sie fixiert, was nur im Medium der Zeichnung festzuhalten ist. Ihre Zeichnungen gehen uns, wie Jean Christophe Amann geschrieben hat, buchstäblich unter die Haut, doch wohin zielen ihre Gebilde, wenn nicht auf uns – die suchenden Betrachter? Während die Zeichnerin wie in einer niemals endenden wollenden Zeitschleife mit ihren Erinnerungen und Ahnungen kämpft, verhält sich der Betrachter wie in einer double-bind-situation: er ahnt, dass er diese im Bild und am Bild gemachten Erfahrungen niemals wird in Sprache umsetzen können und er weiß nicht genau, was diese Erfahrung mit uns noch machen wird. Warum können wir uns vom Anblick der Präsenz dieser Zeichnungen nicht lösen?

Die Zeichnungen zeigen nicht, was sie nicht mehr vermitteln können. Und doch spüren wir, dass hier etwas Ausgeschlossenes nachwirkt. Diese Zeichnungen atmen gleichsam die Unheimlichkeit einer gewesenen und einer künftigen Zeit – eine Art von zeitloser Aktualität, in der Heil und Unheil nahe beieinander liegen. Sie dokumentieren, dass hier Formen (Metaphern, Anspielungen, Symbole) zur Anschauung kommen, die uns nicht überraschen oder verblüffen, sondern die etwas von einer gedämpften, unterschwelligen Wirklichkeit vermitteln, die sich einem aktualisierenden Wiedererkennen entzieht. Diese Zeichnungen wehren sich gegen eine vorschnelle Zuschreibung von Bedeutung, so dass uns scheinbar nur der Weg bleibt, auf formaler Weise die zunehmende Entfernung zu beschreiben, die die Wahrnehmung, meine Wahrnehmung in mir hinterlässt. Wo einst bildloser Schrecken herrschte, kann ein Bild nicht eindeutig werden. Doch die (rhetorische) Form, in der diese Gewissheit formuliert wird, erzählt auch etwas von der Verantwortung des Betrachters. Wenn ein Bild eine auch nur geringe Spur der eigenen historischen Existenz festhält, geraten alle bislang sicher geglaubten Maßstäbe ins Wanken. Wo bin ich, wenn ich in eine zeitlose Ferne hinein formuliere? Heißt zeichnen nicht auch Bilder zu erfinden, in denen das Rätsel von Zeit nicht ausgegrenzt wird? Die Gegenwart wird plötzlich zu einem zeitlichen Sog, der alles erfasst, was das Bild in ein unbestimmtes Außen wendet. Im Inneren der Zeichnung wohnt die unheimliche Gewissheit, dass wir unsere Zeit nicht mehr werden einholen können. Die Geschichte entgleitet uns und Gegenwart beschreiben wir, wie uns gerade abhandenkommt und anderes verändert wird. Auch davon scheinen diese Zeichnungen weniger anderen zu erzählen als von sich selbst Zeugnis abzulegen. Wenn heute viele Werke überraschen, indem sie auch sich selbst überraschen, verharren Sandra Vásquez de la Horras Zeichnungen in gewisser Weise dort, wo sie - langsam - ihren Ursprung nahmen. Sie markieren blinde Flecke, die unerreichbar für sich selbst, der Selbstgewissheit unserer Wahrnehmung den Boden unter den Füßen wegziehen.

Man kann sich die Frage stellen, wie ein Kunstwerk gleichzeitig eine Welt in sich einschließt und andererseits eine zweite unverfügbare Welt (des Betrachtens) ausschließt – und man kann dann plötzlich formulieren , wie man von der einen in die andere Welt zu wechseln versucht. So – oder so ähnlich – stelle ich mir die innere Reise vor, die Sandra Vásquez de la Horra in ihren Zeichnungen unternommen hat. Der Sirenenton einer Geschichte, der aus der Gegenwart ihrer Arbeiten zu uns hinüberweht, ist un(über)hörbar schmerzend – und will nicht mehr vergehen … . (Dr. Michael Kröger)

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Sandra Vasquez de la Horra
L'arcobaleno