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Landschaften sind immer imaginäre Orte und beschreiben eine Idee von Raum in der Natur. Der Betrachtung von Natur geht eine kulturelle Deutung derselben voraus und so generiert der Blick auf Natur innere wie äussere Bilder. In Kunst transformiert öffnet sich die Wahrnehmung von Landschaft vielfältigen Interpretationen. Der Begriff der Landschaft schliesst im Gegensatz zur Natur den Menschen mit seinen Eingriffen ein. Die Erfahrung von Natur, die in unserer Zeit immer weniger eine ideale Landschaft sein kann und vor allem nur noch in medialen Bildern als visuelle Realität aufscheint, zieht eine Dekonstruktion der Wirklichkeit nach sich. In der zeitgenössischen Kunst werden daher Landschaft und Natur zu Konstruktionen, die sich als uneinheitliche Konzepte zwischen Vorstellung und Erfahrung von Wirklichkeit beschreiben lassen. In den hier gezeigten "SCAPES" scheinen keine Referenzen zu realen Landschaften mehr auf, vielmehr wird die Erinnerungen an Landschaft gefordert. Figuration von Natur wird als symbolhafte, formale Struktur gezeigt, die kein Abbild von Natur mehr sein will, sondern die bildnerischen Möglichkeiten von Landschaft untersucht. Das Motiv der Landschaft wird zum Vorwand einer künstlerischen Strategie, den Ausschnitt der inszenierten Räume als einen Ausschnitt des eigenen Umgangs mit Kunst zu präsentieren. Die vier ausgestellten Positionen sind Zitate von Landschaften, die im Falle von Sven Drühl, Rainer Neumeier und Hans Richard als Reflex der Malerei auf die Formen-sprache von Landschaft zu verstehen sind und die in den skulpturalen Arbeiten von Markus Schwander ihre eigene räumliche Gesetzlichkeit und Autonomie beanspruchen.

Landschaft in der Wiederholung zeigen uns die konzeptuellen Bilder des in Berlin lebenden Künstlers Sven Drühl (1968). Sie stammen aus der Werkgruppe der "kunsthistorischen Bilder", die zum Beispiel Motive von Claude Monet, Caspar David Friedrich oder Ferdinand Hodler aufnehmen und in einer neuen Bildsprache auferstehen lassen. Das bestehende Gesamtmotiv wird von Drühl mit Silikonlinien in Binnenflächen abstrahiert. Die plastischen Konturen dieser Flächen fungieren zugleich als Grenzen des Farbauftrags und werden entweder mit Öl-Farbe in rhythmischem Pinselduktus ausgemalt oder mit Lackfarbe zugedeckt. Je nach Mischungsverhältnis und Fliessbewegung der Lackfarben entstehen zufällig marmorierte Partien, die im Detail die malerische Virtuosität der "Vorbilder" imitieren. In den hier gezeigten Landschaftsausschnitten der "Bastard-Paintings" von 2003 gestalten ebenfalls Konturen aus Silikon "entleerte" Landschaften, in denen Bäume, Berge und Steine nur noch als schablonenartige Umrisse sichtbar werden. Die weisse Lackfarbe innerhalb der Binnenflächen, die zum Teil noch Gelb- und Grautöne annimmt, unterstreicht in ihrer Anspielung auf das Weiss einer unbearbeiteten Leinwand die Zeichenhaftigkeit dieser Arbeiten. Fragmentiert erscheint dem Betrachter im Bild "Bastard f.h." (2003) ein ausgewählter Ausschnitt eines Bildes von Ferdinand Hodler. Die bereits "gemalte" Landschafts-interpretation von Hodler wird von Drühl in eine Form transformiert, die sich gegen das Medium der Malerei selbst wendet: Das System "Landschaftsbild" wird unter neuen Bedingungen durchgespielt. Die Spannung in Drühls Arbeiten ergibt sich aus dem Kontrast der plastischen Konturen, den pastosen Farbfeldern und dem Hochglanzlack - also durch den individuellen Remix aus dem diese Bilder erst entstehen. Die Verschiebungen dieses Aneignungsprozesses erfahren vor allem im Dialog mit dem Betrachter ihre Wirkungskraft - sie liegt im noch Wiedererkennbaren von bekannten Landschafts-entwürfen und dem explizit Eigenständigen dieser Werke.

Der in Berlin lebende Künstler Rainer Neumeier (1975) entwirft in seinen Bildern Räume, die noch reduziert auf mögliche Landschaften verweisen. Es eröffnen sich Szenerien der obskuren Unschärfe, in denen figurative Landschaftselemente sichtbar bleiben, wie etwa die verwinkelten Äste von Bäumen, der Schattenriss eines Baumwipfels oder eine Horizontlinie/Strassenlinie. Störungen wie verwischte Farbflächen, Farbspritzer und -flecken stellen sich dem landschaftlichen Illusionsraum entgegen. Im Bild "Bäume" (2002) scheint sich das feingliedrige Geäst der Baumkronen geradezu in den dünnauslaufenden Farblinien zu wiederholen - die imaginäre Natur sucht sich im Bild ihren Weg zur Existenz aus Farbe zurück. Neumeier kombiniert Ölfarbe mit Acrylfarbe und Holzbeize: Das irritierend "Fremde" der Bilder wird durch diese Brüche verstärkt. In der düsteren Stimmung der Wald-Bilder ergibt sich eine weitere Unsicherheit. Der Wald zeigt sich als mystische Kulisse, die Referenzen zu medial geprägten, filmischen Landschaftssequenzen hat. In diesen unwirklich anmutenden Stimmungsräumen schwingt gleichzeitig etwas zutiefst Bedrohliches mit. Neumeiers Bilder sind Zwischenlandschaften, die uns als Übergänge des Motivischen in diffuse Farb- und Formzustände einen beklemmenden aber zugleich auch traumhaften Blick in eine unbekannte Welt schenken.

Die Landschaften des in Berlin lebenden Künstlers Hans Richard (1974) sind ganz Farbraum. In radikaler Weise entsteht Landschaft aus Malerei. Nicht mehr die Lesbarkeit des Bildes als das einer Landschaft ist intendiert, sondern die Entstehung von Form und Raum aus der Malerei selbst. Der breite, kräftige Pinselduktus überzieht die Leinwand mit einer ungebrochenen, dick glänzenden Farbschicht, so dass sich an den Rändern der verschiedenen Farbverdichtungen pastose Überschüsse bilden. Die deckende Oberfläche aus Farbe hält dem Betrachter dennoch mögliche Identifizierungsangebote von Landschaft bereit. In der Imagination von inneren Landschaften erkennt der Betrachter die dominanten Horizontlinien, assoziiert die Farbverläufe in den homogenen oberen Bildhälften als Lichtstimmungen und liest die Farbfelder als optische Eindrücke und Topographien einer Landschaft. Pinselstriche werden zu Landstrichen, die Intensität und Helligkeit der Farbe zu Licht: Das Grün wird zur Wiese, das Rosa zur Morgenröte, das Gelb an der Horizontlinie zur untergehenden Sonne. Die Bilder scheinen den Blick des Betrachters in die Tiefe zu ziehen - in eine vollkommene Welt aus Farbe, die in ihrer Ruhe eine ungebrochene Dauer verspricht. In der Betrachtung von Richards Bildern wechselt der Blick des Betrachtes zwischen der abstrakten Organisation der Bilder, die sich durch die Leuchtkraft und die Schichtungen der Farbe selbst behauptet und der Suggestion eines motivischen Landschaftsraumes.

Der in Basel lebende Künstler Markus Schwander (1960) entwirft dreidimensionale Landschaften, die Modellcharakter besitzen. Ausgehend von den grossen Skulpturen, den Kaugummis aus Polyurethan, schafft Schwander räumliche Kulissen auf Stehmöbeln, die echten Kaugummis einen Ort verleihen. Entweder werden diese wie in "Modell (Landschaft)" (2000) in eine an Modelleisenbahnen erinnernde Alpenlandschaft oder in modellierter, grösserer Ausführung in "Modell (Gletschermühle)" (2002) auf den Grund einer Gletschermühle platziert. Diese Ensembles haben ihre eigene Formensprache und definieren selbst ihre Bezüge zwischen ihren verschiedenen Körpern. In der Einbettung in eine autonome, wenn auch fiktive Realität können sich die Modelle der Kaugummis unabhängig von jedem Kunstkontext behaupten: Sie bringen ihre Umgebung selbst mit. Schwanders Arbeiten greifen den Begriff der Landschaft vielgestaltig auf. Der Blick des Betrachters auf die skulpturalen Bühnen - auf denen die Kaugummis zu Hauptakteuren geworden sind - erinnert an eine übergeordnete Perspektive auf eine Miniaturlandschaft. Gleichzeitig wiederholen auch die modellierten Kaugummi-Skulpturen in ihrer amorph abstrakten Gestalt die Struktur einer Landschaftsoberfläche. Die Form der "gekauten" Masse ist eine deformierte und beschreibt ein landschaftliches Relief an der Schnittstelle von Raum und Körper. Die Räume, die die Modell-Kaugummis umgeben, verweisen in ihren formalen Anspielungen noch auf Natur - die Kaugummis selbst sind als zivilisatorische Spuren auf den abwesenden Menschen in diesen Landschaften zu interpretieren. So liegen auch Schwanders Arbeiten zwischen Zitaten von Landschaften und der völligen Freiheit der Objekte und ihrer Anordnung, die ihre eigenen "SCAPES" fordern.

Simone Neuenschwander Pressetext

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"SCAPES" PART ONE

mit Sven Drühl, Rainer Neumeier, Hans Richard, Markus Schwander