press release only in german

11.03.2023 - 29.04.2023
ERÖFFNUNG: FR 10.03. 2023 18:00
Begrüßung: Daniela Lanziner Mühlberger (Obfrau), Dr.in Ivana Marjanović & Sophie Utikal
19:00 Konzert: Hyeji Nam

"SHE HAD ALREADY LEARNED TO BREATHE UNDERWATER"
SOPHIE UTIKAL

Kuratiert von Ivana Marjanović

Als Beitrag zum 8. März, dem Internationalen FrauenKampftag, zeigt Sophie Utikals Einzelausstellung aktuelle Arbeiten, die Konzepte von Miteinander und Resilienz im Kontext der Klima- und anderer Katastrophen stärken. Aus der Position der Agency, der Handlungsmacht von Women of Colour, beschäftigt sich Sophie Utikal mit Körpern, Migrationserfahrungen, multiplen Zugehörigkeiten und daraus resultierenden Widersprüchen.

Die Künstlerin schafft traumähnliche Szenen und Landschaften auf Textilien, die kollektive Empowerment-Rituale, Praktiken der Fürsorge und neuerdings imaginäre zukünftige Transformationen des Lebens auf der Erde adressieren. Klangstücke der Künstlerin und Musikerin Hyeji Nam begleiten die Ausstellung und tragen zur Reflexion über die Schaffung neuer Welten bei. Sophie Utikal wurde in Tallahassee, USA geboren und lebt derzeit in Berlin.

Die Ausstellung zeigt textile Arbeiten, die in den letzten Jahren entstanden, sowie neueste Werke, darunter eine Installation, die speziell für den Kunstraum produziert wurde.

Inspiriert von populärem Kunsthandwerk von Frauen* aus Südamerika, der arpillera, bunten Patchworkarbeiten, hat Sophie Utikal ihre eigene wiedererkennbare visuelle Sprache entwickelt, die sich aus reduzierten figurativen Formen zusammensetzt, die aus grob zusammengenähten Textilstücken bestehen. Ihre „brutale“ Art des händischen Nähens, die symbolisch die „Wunde“ sichtbar lässt, wird ausbalanciert durch freundliche und frische Farben und Kompositionen. Der Wechsel von Freude zu Schmerz und wieder zurück zu Freude ist eine künstlerische Methode, um komplexe Gefühle und Themen zu vermitteln. Diese reichen von Liebe, Solidarität, Entfaltung, Schmerzempfindung, Regeneration, Ko-Abhängigkeit bis zum Überleben.

In den letzten Jahren konzentrierte sich Sophie Utikals Bilderwelt vorwiegend auf die Darstellung von Frauen, die ruhige Gespräche führen, in Kontemplationen versunken sind, oder die für sich selbst und einander einstehen, unabhängig von ihren Rollen im Dienst des Patriarchats (zum Beispiel Fluids (2017), Within Me (2021), Ocean of Tears (2020)). Diese sinnlichen, gesichtslosen Frauen stellen symbolische Figuren des Wandels dar und erscheinen oft in Verbindung mit Wasser und Flüssigkeiten. Darüber hinaus umfassen sie mehr als die Figur einer Frau; sie können sich auf eine Art weiblicher innerer kreativer Energien oder spiritueller Zustände beziehen, auf ein Handeln im Jenseits oder, letzthin, sogar auf nicht ganz menschliches Handeln. Sie sind Teil der Gesamtheit aller lebenden und unbelebten Wesen, und das ist es, was ihr Schicksal bestimmt. Wie Sophie Utikal sagt: „Auch wenn eine der Frauen allein auf einem Stück Stoff lebt, gehören sie alle zusammen. Ob ich damit nun verschiedene Menschen meine, oder mich selbst in der Vielfalt und Widersprüchlichkeit meiner Selbst, ist eigentlich nicht so wichtig. Es geht um die Begegnung im Miteinander, mit sich und der Umgebung.“

Sophie Utikals Arbeiten basieren auf Erinnerungen und Wissen über ihre eigene (Familien-)Geschichte und deren diasporischen Weg von Süd- nach Nordamerika und dann nach Westeuropa. Die Künstlerin übersetzt reale Lebenserfahrungen von Differenz und grenzüberschreitenden Kämpfen in Reflexionen über Wege der inneren und kollektiven Transformation. Das Leben zwischen den Welten, die Suche nach Strategien zum Nähren und Pflegen des Körpers und seine Reinigung von verinnerlichten hegemonialen Ideologien sind einige der Aspekte, die ihre Kunstwerke verarbeiten. Sophie Utikal verwandelt jedoch die Spuren sozialer Verletzungen in kraftvolle Bilder, die in die Regeneration und Erhaltung des Lebens investieren.

Der Blick nach innen, das Wahrnehmen des eigenen Körpers (alleine oder gemeinsam), das Verbundenbleiben, das Hören und Heilen stellen überzeugende Praktiken dar, die darauf abzielen, rationales Wissen sowie neoliberalen Produktivitätsdruck anzufechten und aus den aufgezwungenen zeitlichen und räumlichen Bindungen in die eigene Raumzeit einzutreten.

"Ich wollte mir einen Ort vorstellen, an dem man sich zum Überleben nicht von sich selbst trennen muss, an dem mich keine Strukturen gefangen nehmen, weil ich meinen Körper hören kann, wo ich mir erlaube, meine Frustrationen zu fühlen, weil ich weiß, dass sie mich bewegen werden, wo meine Angst mich scharf und präzise macht, wo meine Wut mich alles, was mich stört, beenden lässt und wo mein Ausruhen nicht als Zeitverschwendung, sondern als Verantwortung angesehen wird", erklärt die Künstlerin in ihrer Diplomarbeit von 2019.

Ihre neuesten Kunstwerke entwickeln sich aus der Arbeit Those Inbetween (Water me), 2022 und stellen einen ästhetischen Wandel dar, bei dem sich Sophie Utikal von imaginären Darstellungen, die auf Autofiktion basieren, in die Welt der Fantasie begibt, die durch Angst und Ungewissheit über die Zukunft des Lebens auf dem Planeten Erde getriggert und inspiriert wird. Dieser neue künstlerische Ansatz spiegelt den Wechsel von weichen Textilstoffen, Pastellfarben und beruhigenden Formen zu härteren Materialien (z. B. Kunstleder oder upgecyceltem Leder) und raueren Designs wider. Dies könnte als Erweiterung der Narrative von selbst- und kollektiven Praxen der Unterstützung der Gegenwart zu zukünftigen, durch Knappheit und Mangel verursachten Transformationen angesehen werden.

Das Schmelzen der Gletscher, extreme Trockenheit oder Niederschläge, die Energiekrise, das Artensterben – alles Themen, die von den Umweltbewegungen seit Jahrzehnten diskutiert werden, sind erst in jüngster Zeit in das kollektive Bewusstsein eingedrungen und verändern die Art und Weise, wie wir uns auf die Gegenwart und die Zukunft beziehen. Auch wenn die Werkserie I thought we had more time (2021) mehrere Referenzen haben mag, kann sie uns nicht nicht an die Prognose denken lassen, dass wir es als menschliche Spezies nicht ewig in dieser Form auf der Erde und im Universum schaffen werden. Das Überleben in der gegenwärtigen Form, limitiert durch soziale Diskriminierungsmechanismen, die aus ideologischen Fiktionen (von Rasse, Nation usw.) resultieren, verlagert sich auf die Frage, ob wir überhaupt als organisches Leben überleben können. Auf diesem Weg in die Ungewissheit und das Chaos werden wir uns viel radikaler verändern müssen als diejenigen, die jetzt Grenzen überschreiten, unsichtbar werden oder jemand oder etwas anderes werden, um zu überleben. Daher könnte man sagen, dass diese Ausstellung auch darüber nachdenkt, wie diese neue, härtere Welt aussehen könnte, und versucht sich vorzustellen, wie wir darin gemeinsam leben, in der Verbundenheit grenzüberschreitender Körper und vielleicht sogar über das Leben hinaus. Inmitten dieser scheinbar melancholischen Meditation könnte es tröstlich sein, eine Art „Spezien-Zentrismus“ zu überwinden und den gesamten Baum des Lebens, von dem der Mensch ja nur ein kleiner Zweig ist, neu zu betrachten und vielleicht auf die Kräfte der Evolution des Lebens zu vertrauen. Wie Sophie Utikal feststellt, "hatten wir schon einmal gelernt, unter Wasser zu atmen. Im Schoß unserer Mutter", und ich würde hinzufügen, dass wir es schon gelernt haben, bevor wir überhaupt Menschen wurden.

Sophie Utikal
studierte kontextuelle Malerei an der Akademie der bildenden Künste in Wien in der Klasse von Ashley Hans Scheirl. Sie ist Mitherausgeberin des Buches Anti*Colonial Fantasies / Decolonial Strategies (Wien 2017). Ihre Kunstwerke wurden in Kunstinstitutionen in ganz Europa ausgestellt, wie der Kunsthalle Wien (2021), Kristianstads Konsthall (2021), Mediterranea Biennale 19 in San Marino (2021), Museion Bolzano (2018), und vielen anderen. Ihre vergangenen Einzelausstellungen zeigten der Neue Wiener Kunstverein (2022) und die Galerie im Turm (2020). Weitere Informationen zur Künstlerin HIER

Text: Drin Ivana Marjanović

*Das Wort „Frau“ ist hier gebraucht als soziale und nicht als biologische Kategorie und bezieht sich auf alle, die sich damit identifizieren.

*

Künstlerinnentext

Ihr Meer von Tränen und Tropfen / Es irgendwie in einer fremden Umgebung schaffen

Meere, Tränen und Himmel
In Wellen
Zu anderen Körpern werden

Wir hatten bereits gelernt, unter Wasser zu atmen. In ihrem Bauch wurden meine Lungen mit Sauerstoff genährt durch das Wasser ihres Seins. Ständig in Bewegung, rotieren in einem schwarzen Raum, gefüllt nur von flüssigen Formen und warmen Mustern und das Schlagen unseres schnellen und ihres langsamen Herzens zusammen. Ein anderer Rhythmus, dennoch verbunden durch die gleiche Liebe für das Leben. Und was ist dann geschehen? Was ließ uns vergessen? Was bewirkte den Bruch? Lügen. Schweigen. Nicht zu sagen, was wahr war oder warum.

Doch die Steine verschmelzen weiter,
lösen sich auf
Werden zu jemand anderem
Die Sanftheit eines einzelnen Tropfens
Die Welten der Empfindlichen

Unsere Stimmen haben sich verändert, sie sind so tief geworden, dass wir sie nicht mehr wiedererkennen, wir können sie nicht unterscheiden, sie klingen fast gleich.

Und mit ihren letzten Worten, tritt sie langsam in eine neue Zeit ein, verändert sie die Zeitrechnung und bewegt sich in einer neuen Dimension, einer Dimension, wo ihr Körper weiter und größer und durchlässig wird, wie ein sehr sehr dichter Nebel. Sie bedeckt alles. Groß, lockig, weich und wellig.

Ich wandere durch meine Tage
Auf der Suche in mir
Wo ist diese freie Person?
Ich versuche mich einzulassen auf meine Verwirrung,
Unsicherheit und mein Chaos.
Auf welche Zukunft bereite ich mich vor?

In verschiedene Länder und soziale Klassen migrieren, hin und her ziehen, Pässe und Freund*innen zurücklassen. So viele Teile und Versionen von mir selbst zurücklassen. Aber die Leere, die fehlenden Stücke, die bleiben bei mir. Und in der Mitte dieser Leere wird ein neues Leben wachsen. Alles zur gleichen Zeit.

Tränen der Sanftheit
Tränen aus Blut, Lymphe, Schweiß und Spucke
Die Weichheit unserer Organe
die sich mit warmem Blut vollpumpen
Alle Grenzen überschreitend, mich auffordernd, überzulaufen
als hätte sie keine Haut

Auf der Suche nach einer Zukunft, in der wir weniger Schaden anrichten
wo wir überleben können, ohne alle zu zerstören.
Versuche, die Hoffnung nicht aufzugeben. Arbeite an den Stellen, die du erreichen kannst.
Es gibt nichts, was der Atem nicht bewegen kann
Versuche, auf jeden Tropfen zu hören
Der uns Geschichten über die Tiefe des Ozeans erzählt
All die verschiedenen Körper, die sie durchlaufen haben
Das Wasser in mir ist dasselbe wie das Wasser in dir

Mit den Toten zusammenarbeiten, ihre Häute zu neuen Körpern umgestalten, Häute, die weggeworfen wurden, beschädigte Häute, gequälte Häute, gebrochene Häute, Häute, die als wertlos bezeichnet wurden. Wir versuchen, sie und ihre Erinnerungen zu retten, sie zu ehren in unserer Welt, die bald untergehen wird.
Sophie Utikal (2023)

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VERANSTALTUNGEN

WORKSHOP MIT SOPHIE UTIKAL 04.03. 14 UHR

ERÖFFNUNG UND KONZERT 10.03. 18 UHR

ARTIST TALK 11.03. 12 UHR