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Jedes Glitzern als eine Reflektion, die das Licht zu brechen scheint

Die Ausstellung "shines like never before" präsentiert aktuelle Arbeiten von Malte Urbschat, die die Korrespondenz von Licht, Denken und Wahrnehmung im Raum zeichnerisch verhandeln. Die Materialien, die Urbschat für seine Zeichnungen und Skulpturen verarbeitet, sind der Alltagswelt entnommen. Lamettafäden, Wolle, Glitzerkugeln, Signalfarben, Klebeband und Tischdeckenbeschwerer – gewohnte kulturelle Insignien, die ständig in unsere Wahrnehmung dringen – finden in Urbschats Arrangements neue Verwendung. Die einzelnen modellhaften Entwürfe, die in sich kohärente Bezugssysteme bilden, fordern assoziative Vernetzungen vom Betrachter.

Urbschats "Migräne- Arbeiten" beschäftigen sich mit den mystifizierten Visionen der heiligen Hildegard von Bingen, deren Rezeption von spekulativen Erklärungsmodellen durchzogen ist. So gehen einige Wissenschaftler davon aus, dass Hildegard von Bingen unter Migräne litt, da ihre Erscheinungen an die Symptomatik dieser Krankheit erinnern. Urbschat löst vergleichbare Ambivalenzen nicht auf, sondern intensiviert sie: großflächige Zacken, ekstatisches Glitzern, radial streuende Knoten, blendende Farben und imaginäre Figurationen dehnen sich in scheinbar unzählige Richtungen des Raums aus und überführen die angeblichen Sehstörungen der Hildegard von Bingen in eine neue Dimension – die Ebene der sinnlichen und zweckfreien Erfahrung, die sich der Vereinnahmung entzieht. Die "Targets" weisen ein Zentrum auf, das zugleich keines mehr ist, da es von diffus reflektierenden Folienschnipseln überlagert wird. Die Einschusslöcher sind überklebt, um die Unversehrtheit der Schießscheibe provisorisch wiederherzustellen. Doch das Ziel im Visier wird nun mehrere. Das Prinzip von Gleichzeitigkeit, Überblendung, findet sich konzeptionell auch in den "Lucid Dreaming"- Folien wieder. Streifen, dünne Fäden und mikroskopischen Punkte aus Glanzpapier sind in spielerischen Konstellationen eingefroren, um den Zustand am Morgen zu beschreiben, in dem sich menschliches Traum- und Wachbewusstsein überkreuzen. Abstrakte idealistische Vorstellungen von Realität und Wahrheit, Virtualität und Fiktion gerinnen in Urbschats Entwürfen zu inkonsistenten Variabeln, die starke Nähe zueinander aufweisen und phasenweise ununterscheidbar werden. Urbschats "Malereien“ sind in diesem Sinne nur vordergründig als solche lesbar, sie entstehen aus den Bewegungen der Fingerkuppen auf dem Bildgrund und scheinen den Rahmen zu verlassen, um sich zeichnerisch in den Umgebungsraum auszudehnen und im Garten zu verdichten. Dort inszeniert Urbschat eine kugelförmige Skulptur aus lichtbrechenden Körpern: "Holy Shit". Die Objekte aus der Dekorationsabteilung eines Warenhauses sind auf einen Sockel montiert und verfremdet. Durch die blendende Wirkung der silbernen Kugeln und des Diamanten wird das Sehen entsystematisiert und auf die sensitive Ermittlung der physischen Materialität zurückgeworfen. Die Spiegeloberfläche der Kugeln reflektiert die ankommenden Strahlen – Anziehung wird im nächsten Moment zu Abstoßung.

Die Spontanität des Betrachters ist Grundlage für die gedankliche Re-Konstruktion von Urbschats Bedeutungssystemen. Gedanken bündeln sich, um einen Augenblick später wieder auseinander zu laufen. Manche Dinge scheinen bloß, als ob sie einen Anfang und ein Ende hätten. So bleibt offen, wohin die Suche nach dem Fuchs im Video "Wo ist der Fuchs?" führt. Vielleicht sind die Federn im Laub das Ereignis. seems like it shines like never before.

Ulrike Gerhardt & Sonja Vohland