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Simon Wachsmuth, der letztjährige Otto Mauer-Preisträger, befasst sich bereits seit längerem mit dem kulturellem Konstrukt Natur, den Formen ihrer Simulation und Steuerung sowie deren Bedeutung in kulturhistorischen und gesellschaftspolitischen Diskursen.

Die Bedeutung des Kopierens spielt eine vielseitige Rolle in den neuen Arbeiten Simon Wachsmuths. Der Titel der Ausstellung ist zugleich auch der Titel eines Textes des englischen Mathematikers Charles Babbage (1792-1871), der darin unterschiedliche Vervielfältigungsverfahren wie den Bronzeguss, Wachspräparate oder Hoch- und Tiefdruckverfahren, etc. beschreibt.

Zwei weitere Texte* von Charles Babbage sind Bezugspunkte eines Objektes, das aus einem speziell angefertigten Studiertischchen besteht, auf dem in Bronze gegossene Rispen des Tomatenstrauchs zur Ansicht präsentiert werden. In einem der Texte mit dem Titel "Vademecum des Fälschers" findet man eine Anleitung "kleine Zweige der zartesten Gewächsproduktionen in Bronze darzustellen" im anderen Text mit dem Titel "Himmlische Vision", eine Beschreibung der Funktionsweise der „Analysis Maschine“, einer Vorform des heutigen Computers. Babbage war nämlich nicht nur Pionier auf dem Gebiet der Computerentwicklung sondern auch Theoretiker der Arbeitsteilung (sogar der geistigen). Sein Buch "Die Ökonomie der Maschine" (1833), aus dem die beiden Texte stammen, wurde unter anderem von Marx rezipiert. Es beinhaltet eine Auseinandersetzung mit der Arbeit, die sich selbst bearbeitet, um sich als Aufwand zu reduzieren und die Hegel die „analytische Arbeit“ nannte.

Die Fragen der Ökonomie, die hier angestupst werden, ziehen sich durch die gesamte Ausstellung. Während die Natur zerfällt, bleiben die bronzenen Tomatenrispen bestehen, wenn sie auch als "Fälschungen" bezeichnet werden können, transformieren sie im Galerieraum zur langfristigen, unvergänglichen Wertanlage. Beherrschte die Moderne noch die Ethik des Originals so kann man in der Postmoderne einen Paradigmenwechsel hin zur Kopie, Fälschung und Pastiche beobachten. Trotzdem hat es etwas schelmisches, wenn ein Künstler eine Galerieausstellung dem Thema der Kopie widmet, wo er sich doch gerade in der Galerie, an einem Ort eines explizit ökonomischen Diskurses befindet, der immer noch sehr präzise zwischen Original und Kopie unterscheidet. Hier dominiert als Grundlage ein sehr banales binäres Ordnungssystem, ähnlich wie beim Computer, der seine Komplexität auf Einsen und Nullen aufbaut.

An diese "langweilige", weil monotone Grundstruktur knüpft auch eine weitere Arbeit von Simon Wachsmuth an: Eine s/w Videoprojektion zeigt die Wegstrecke einer Fähre, die tagtäglich zwischen den beiden Ufern der Elbe, das eine gehört zu Niedersachsen, das andere zu Mecklenburg Vorpommern (ehemaliger Osten), verkehrt. Jeweils nach einer Flussüberquerung wird eine schwarze oder weiße Sequenz eingeblendet. Die endlose Wiederholung des Dargestellten wird einzig durch die feinen Nuancen der unterschiedlichen Tageszeiten und Witterungen variiert. Die schwarz/weiß Unterbrechungen fügen der realen Beobachtung etwas maschinelles hinzu. Sie erzeugen einen Filmschnitt, der aber für die Handlung keinerlei Bedeutung hat.

Das Kopieren hat auch immer mit der Wiederholung eines Vorganges zu tun, man ahmt etwas nach oder erzeugt eine Form, von der man immer wieder Kopien abnehmen kann. Das Kopieren hat per se einen seriellen Charakter. Außerdem wird es trotz Postmoderne und Cultural Studies kulturell immer noch tendenziell mit etwas minderwertigem verbunden. Das Abschreiben, Zitieren, Nachmachen, Wiederholen erzeugt eben nicht das geniale neue Schöpfungsphantasma, an dem doch noch alle Anteil haben möchten. Es wird kulturell mit Entwertung verbunden, weil es das vorgegebene Ökonomiesystem in Frage stellt, ebenso wie das "Downloaden" im Computerzeitalter die Ökonomie des Copyrights und der Lizenz untergräbt.

In der zweiten Videoarbeit Simon Wachsmuths ist die Nachahmung geradezu werkimmanent. Sie besteht aus einem Video, in dem einfach eine weiße Ziegelwand zu sehen ist. Der Videomonitor steht auf einem "Sockel", der die Struktur der Ziegelwand wiederspiegelt und aus weiß lackierten Holzwürfeln angefertigt wurde. Die Ordnungsstruktur der Holzwürfel ist etwas beeinträchtigt, da zu ihrer Ausführung grobes einfaches Holz gewählt wurde, sodaß sich jeder der Einzelbausteine „minimal“ unterscheidet. Gefundene Ordnungsstrukturen werden aufgegriffen, gesteuert und verstärkt, aber ebenso in ihrer Aufgeladenheit mit sozialen, kunsthistorischen und narrativen Bezügen bloßgelegt.

Wachsmuths Aluminiumstangen, die schwarz und weiß lackiert sind und auf dem Galerieboden liegen, erinnern dann ebenso an die Markierungsstangen zur Flusspegelmessung, als auch an den Künstler André Cadere, der in den 70er Jahren mit seinen "Barres de Bois" genannten Markierungsstäben, die er beispielsweise als Wanderstab in der Hand hielt, für Störungen und Unruhe in den Ordnungsstrukturen des Kunstsystems sorgte.

Man könnte Simon Wachsmuths Ausstellungssettings auch als Untersuchungsanordnungen beschreiben, die testen, wieweit man mit visueller Reduktion gehen kann bzw. kommen will, wenn man komplexe kulturelle Inhalte, Konstruktionen und Projektion erforscht. Oder besser gesagt: wie lassen sich Inhalte überhaupt zeigen? Was die einzelnen Werkteile verbindet, ist eine angenehme Ruhe und Unaufgeregtheit angesichts des möglichen Assoziationszusammenhanges.

Cosima Rainer Pressetext

*Die Texte von Charles Babbage wurden in dieser Kombination in dem Buch „Riten der Selbstauflösung“ (Hg. v. Verena von der Heyden-Rynsch, München, 1982) abgedruckt. Die Titel stammen von Oswald Wiener.