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Videokunst ist längst in den Museen angekommen. Die konservatorischen Eigenschaften des Mediums werfen neue Fragestellungen auf, die mit verwertungsrechtlichen Gesichtspunkten einher gehen. Die inhaltlichen Fragen, die mit der Besonderheit des technischen Mediums zu tun haben, geraten dabei oft ins Hintertreffen. Jetzt widmet sich die Hamburger Kunsthalle dieser Problematik mit einer Auswahl hochkarätiger Neuerwerbungen aus den Beständen der Videosammlung, ergänzt durch namhafte Leihgaben. SNAFU. Medien, Mythen, Mind Control ist eine Ausstellung über das prinzipielle Missverstehen in hierarchischen Kommunikationsstrukturen.

Die Themen der Liberalisierung wie Emanzipation, Drogenerfahrung, Jugendkultur, Rock und Pop, sexuelle Revolution und Freiheitskampf finden sich in unlösbare Widersprüche verstrickt. Für diese Gemengelage ist “snafu” möglicherweise eine sinnfällige Bezeichnung. Der Militärjargon meint mit dem Akronym “snafu” ein Prinzip, demzufolge Entscheidungen innerhalb von Kommandostrukturen dazu neigen, ihren Bezug zur Wirklichkeit zu verlieren und Fehlentwicklungen zu verstärken. Es entsteht eine sogenannte “situation normal all fucked up”. Amerikanische Soldaten erfanden diesen Ausdruck aus gegebenem Anlass während des Zweiten Weltkriegs. Im Laufe der 1970er Jahre wurde er zum geflügelten Wort für die politische und militärische Situation in Vietnam. Robert Anton Wilson machte in seiner Erzählung Illuminatus-Trilogie (1975) aus dem Begriff den Baustein für eine esoterische Verschwörungstheorie.

Die Ausstellung SNAFU. Medien, Mythen, Mind Control setzt eine thematische Klammer um filmische Arbeiten von Mitte der 1960er Jahre bis hin zu Videoinstallationen und Videofilmen allerjüngsten Datums. Alle Beiträge verbindet die Frage, wie Kommunikationsmittel eingesetzt werden und welche Bahnungen sich aus diesen Formierungen ergeben. Drei der Beiträge bilden ein historisches Bezugsfeld für die übrigen Arbeiten. Kurt Kren (1929-1998) rückte in seinen filmischen Interpretationen der Wiener Materialaktionen von Otto Mühl (hier: Nr. 11, Mama und Papa, 1964) dem Bildgedächtnis mit extrem kurzen Cut-up-Montageschnitten zu Leibe. Die visuelle Überlastung konfrontiert den Betrachter mit körperlicher Direktheit. Im vergleichbaren Zeitraum, April 1966, experimentierten Andy Warhol und seine Freunde im Umfeld der Factory in der New Yorker Diskothek DOM mit Lightshows, Filmprojektionen und Stroboskopeffekten zur Live-Musik von Velvet Underground. Exzessiver Drogengenuss und Reizüberflutung machten das sogenannte Exploding Plastic Inevitable zur ersten psychedelischen Multi-Media-Show der Welt. Ronald Nameth hat dieses Pop-Ereignis als einen Film neu komponiert.

Exploding Plastic Inevitable ist Zeitzeuge von Entwicklungen der 1940er bis 1960er Jahre, in denen sich die Horizonte von Wissenschaft, Kunst und Technologie nach allen Seiten zu öffnen schienen. Mit Kybernetik, Systemtheorie, Multi-Media-Kunst, Intermedialität und neuen Konzepten in Psychologie und militärischer Forschung wurden weitreichende Parameter der Moderne neu entwickelt. Die berühmten Macy-Konferenzen (1948-1953) läuteten eine interdisziplinäre Epoche ein und fragten nach den Grundlagen eines neuen freien Menschendaseins. Es entstand der Begriff der Kybernetik als Wissenschaft von Steuerungssystemen gleichermaßen für Lebewesen wie für Maschinen. Die “objektive Psychologie” von Burrhus Frederic Skinner (1904-1990), einem Wegbereiter des Behaviorismus, stellte mit der sogenannten Skinner-Box individuelles Verhalten als normierbar vor. Der wissenschaftliche Diskurs beobachtete wie sich Kontrolle zur Selbst-Kontrolle entwickelte. Daraus folgt umgekehrt, dass die Unberechenbarkeit Einzelner, verstärkt durch mediale Breitenwirkung, nie auszuschalten ist. Paranoia und Verschwörungstheorien gewannen in den 1960er Jahren neue gesellschaftliche Signifikanz, weil sie mit der Komplexität von Ereignissen rechnen. Lutz Dammbeck unternahm auf diesen Bahnen eine umfangreiche Recherche über Zusammenhänge zwischen militärischen Verhaltensstudien, LSD-Experimenten, der Erfindung des Internet und wissenschaftlicher Kybernetik. Als Teil seiner Arbeit entstand ein Nachbau der Waldhütte des Weltflüchters Ted Kaczynski, dem mutmaßlichen UNA-Bomber. Die Installation berichtet über Drogenversuche des US-Militärs in den 1960er Jahren, Acid-Tests von Ken Kesey und den Merry Pranksters sowie Mind-Control-Experimente mit dem Titel Multiform Assessments of Men an der Harvard Universität.

Video wird Ende der 1960er Jahre in der Funktion einer Kontrolltechnik als neues Bild- und Tonmedium von Künstlern gegen den Strich gebürstet. Sein Einsatz im künstlerischen Bereich, die Entwicklung zum Massenmedium und das Musikvideo tragen wesentlich zur Verfransung der Künste mit den Alltagskulturen bei. SNAFU stellt visuelle Anschlüsse zwischen unterschiedlichen künstlerischen Arbeiten her, ohne eine Lösung der vielfältigen Frage nach möglichen Kommunikationswegen vorweg zu nehmen. Die Ausstellung erfordert auch, einen eigenen Pfad zum Erfolgsfall geglückter Kommunikation einzuschlagen.

Ausgestellte Arbeiten von : Francis Alÿs, Kutlug Ataman, Oliver van den Berg, Günter Brus, Lenka Clayton, Lutz Dammbeck, Jeanne Faust, Johan Grimonprez, Rudolf Herz, Elmar Hess, Michael Hofstetter, Tellervo Kalleinen, Andrée Korpys & Markus Löffler, Eva Meyer / Eran Schaerf, Otto Mühl / Kurt Kren, Bruce Nauman, Walid Raad, Christopher Roth/Franz Stauffenberg, Annamaria und Marzio Sala, Corinna Schnitt, Andy Warhol/Ronald Nameth, Ulay, Klaus Wyborny

Frank Barth, Dirck Möllmann

Pressetext

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SNAFU. Medien, Mythen, Mind Control
Kuratoren: Frank Barth, Dirck Möllmann

mit Francis Alÿs, Kutlug Ataman, Oliver van den Berg, Günter Brus, Lenka Clayton, Lutz Dammbeck, Jeanne Faust, Johan Grimonprez, Rudolf Herz, Elmar Hess, Michael Hofstetter, Tellervo Kalleinen, Korpys / Löffler, Eva Meyer & Eran Schaerf, Otto Muehl / Kurt Kren, Bruce Nauman, Walid Ra´ad, Roth / Stauffenberg, Annamaria & Marzio Sala, Corinna Schnitt, Ulay , Andy Warhol / Ronald Nameth, Klaus Wyborny