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Stefan Moses, 1928 im schlesischen Liegnitz geboren, gehört zweifellos zu den bedeutendsten deutschen Photographen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Neben seinen Reportagen für Zeitschriften wie Das Schönste, Revue, magnum und seit 1960 für den Stern reüssierte er insbesondere durch seine freien Projekte, in denen er Konzept- und Lifephotographie zu einer charakteristischen Bildsprache verband. Seit den sechziger Jahren entstanden so mehrere Bücher mit Bildnissen und in Bildsequenzen: „Manuel“ (Hamburg: Wegner, 1967), „Transsibirische Eisenbahn“ (München: Prestel, 1979), „Deutsche“ (München: Prestel, 1980), „Abschied und Anfang - Ostdeutsche Porträts“ (Ostfildern: Cantz, 1991) oder „Jeder Mensch ist eine kleine Gesellschaft“ (München: Prestel, 1998).

Dem Porträt als photographische Gattung und gleichzeitig als facettenreiches psychologisches Abbild der deutschen Gesellschaft blieb er bis heute treu. „Deutschland und die Deutschen“ wurde schließlich zu seinem Lebensthema. Seine großangelegten Bildzyklen spiegeln die soziale und kulturelle Entwicklung der Bundesrepublik wider, insbesondere das Projekt „Ostdeutsche Porträts“ aus den Jahren 1989 und 1990 kann als wichtigste photographische Arbeit über den Prozess der deutschen Wiedervereinigung angesehen werden. Sein gesamtes Bildwerk, ein „Synonym für Photographie in Deutschland“ (Claus Heinrich Meyer), ist ein bedeutender Diskussionsbeitrag zu dem Phänomen der deutschen Identität. Moses porträtiert seit nunmehr vier Jahrzehnten - stilistisch in der Tradition der Wanderphotographen - die Deutschen: Alte und Junge, Künstler und Intellektuelle, Arme und Reiche, ihre Wohnungen und Feste, deutsche Vereine und Schulen - und wurde so zu dem Chronisten und Porträtisten der deutschen Nachkriegsgesellschaft. Sein Vorgehen ist denkbar einfach: Unbekannte und prominente Bürger in Köln, Büsum oder Dachau werden vor einem mitgeführten grauen Filztuch festgehalten: der neutrale Hintergrund gerät zur Bühne, Körperhaltungen wirken symbolisch. Der Mensch wird seiner vertrauten Umgebung entrückt und - in der Rezeption als Bild - sein gesellschaftlicher Standort neu bestimmt. Diese Porträts sind individuelle Studien von großer Allgemeingültigkeit, es sind die „kürzesten Opern oder Operetten, die je geschrieben wurden“ (Wolfgang Kemp).

Moses nähert sich seinen Landsleuten in Ost und West mit analytischem Gespür und liebevoller Zuneigung. Sein photographischer Blick auf die Zeitgenossen ist sensibel, neugierig und forschend. Seine typologischen Porträts führen die früheren systematischen Bildserien eines August Sander oder Irving Penn in der Hinterfragung gängiger Posen weiter und bleiben so sehr eigenständig. Einerseits animiert Moses die deutschen Intellektuellen, sich vor einem Schneiderspiegel selbst zu photographieren, andererseits hinterfragt der Menschenkenner seine Zeitgenossen mit großem psychologischen Gespür jenseits der Oberfläche des rein Physiognomischen.

Die Liste der von Moses Porträtierten liest sich wie ein who is who der deutschsprachigen Geistes- und Kulturelite: Theodor W. Adorno, Ingeborg Bachmann, Ernst Bloch, Heinrich Böll, Willi Brandt, Hans Magnus Enzensberger, Max Frisch, Günter Grass, Walter Jens, Erich Kästner, Thomas Mann, Ludwig Meidner, Bernhard Minetti, Alexander Mitscherlich, Carl Orff, Botho Strauß, Martin Walser, Peter Zadek u.v.a.m.

Die Vielseitigkeit der dokumentierten Zeitereignisse und der porträtierten Persönlichkeiten des kulturellen Lebens in Deutschland ist ohne Vergleich. Seine befreundeten Kollegen vom Stern, beispielsweise Robert Lebeck, Thomas Höpker oder Max Scheler, waren - insbesondere in den sechziger Jahren - eher mit Bildreportagen im Ausland beschäftigt. Moses dagegen war - neben wenigen Reisen nach Südamerika, Australien, Israel oder innerhalb Europas - am liebsten in Deutschland, dem „interessantesten Land der Welt“ (Moses), unterwegs.

Vielfach ausgezeichnet, ausgestellt und publiziert, zählt dieses konstante, bis heute nicht abgeschlossene Bildwerk auch international zu den herausragenden Erscheinungen der deutschen Photographie nach 1945. Die geplanten zehn Kapitel, welche Retrospektive und Monographie gliedern werden, zeichnen einerseits die Lebensstationen von Stefan Moses nach und fokussieren andererseits das selbst gestellte Lebensthema: Die Deutschen.

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