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Gerade in der Geschichte des steirischen herbst beeinflussten sich Literatur, Performance, Bildende Kunst, Musik und andere Künste nachhaltig. Kollaborativ beteiligten sich Künstlerinnen und Künstler aller Medien an der Auflösung eines klassischen Werkbegriffs und an der Weiterentwicklung künstlerischer Formen. In den letzten Jahren scheint diese Auseinandersetzung ins Stocken geraten zu sein: Viele Autorinnen und Autoren ziehen sich an ihren Schreibtisch zurück; für andere Künste haben literarische Impulse oft an Bedeutung verloren. Zugleich ist das Verhältnis von Performance und Literatur in steter Bewegung: schreibende Performer, performende Schreiber, performatives Schreiben und Performance als Text. Welche Rolle also spielen der Autor, die Autorin, wo heute ohnehin jeder sein eigener Autor ist? Immer wieder müssen die komplexen Relationen zwischen den Medien neu verhandelt und ausgelotet werden. Writing Acts beschäftigt sich mit dem schwierigen Phänomen der Intermedialität. Dabei geht es aber nicht nur um eine erneute Begegnung der Gattungen, um die Möglichkeiten, die jeweils eigenen Arbeitsprozesse in eine andere Gattung zu übertragen, sondern um ein gemeinsames Aufbrechen zu neuen Formen. Deshalb wurden für dieses intermediale Projekt Schriftsteller, Regisseure, Komponisten, Performer, bildende Künstler und Theoretiker in einen sich wechselseitig beeinflussenden Forschungs- und Produktionsprozess verwickelt. Im Mittelpunkt standen die Fragen nach den Möglichkeiten der Kollaboration, der gemeinsamen Autorschaft und die Überlegung, inwieweit es eine produktive, notwendige Abgrenzung der einzelnen Medien geben muss. In einem ersten Workshop im Januar diesen Jahres trafen sieben Autorinnen und Autoren auf sieben Künstler/gruppen anderer Sparten, um sich im Selbstverständnis ihrer Arbeit zu befragen. Gegenstand und Interesse waren die unterschiedlichen Positionen, Lebens- und Produktionsmodelle der aufeinandertreffenden Künstlerinnen und Künstler. Aus diesen Begegnungen ergaben sich vier Arbeitszusammenhänge, die in einem zweiten Workshop zur Entwicklung konkreter Projekte und Arbeiten führten. Diesem angestoßenen Dialog folgten Auseinandersetzungen, Verwerfungen und Konkretisierungen. Die vorläufigen Ergebnisse dieser Begegnungen werden in Form von vier Performances und Installationen im steirischen herbst präsentiert und diskutiert.

Claudia Bosse / Robert Woelfl YAMO YAMO wer ist denn dieses verdammte ich? Ein performativer Dialog zu Fragen des Theaters, des Schreibens, künstlerischer Produktion und des politischen Selbstverständnisses zwischen Robert Woelfl und Claudia Bosse.

Die Theatermacherin Claudia Bosse und der Autor Robert Woelfl haben für ihre gemeinsame Arbeit die Form des Dialogs gewählt. Dokumente des seit Januar 2006 dauernden E-Mail-Dialogs, außerdem ein Text von Robert Woelfl, der um den Begriff der Identität kreist, sowie Materialien einer Nacht, die die beiden gemeinsam in der leeren Grazer Oper verbracht haben, werden zu einer Rauminstallation angeordnet. Der Dialog verhandelt die Politiken und Strategien der Repräsentation zwischen Autor, Figur, Akteur und Rezipient: Wer ist dieses verdammte Ich? „Das würde aus meinem Leben ein anderes Leben machen und dann hätte ich bloß ein anderes Leben, das ich nicht in den Griff bekomme. Deshalb kannst du das nicht von mir verlangen. Außerdem hat sich deine Stimme verändert. Plötzlich sprichst du mit einer viel höheren Stimme. Du sprichst jetzt eindeutig mit einer höheren Stimme und so kann ich dir nicht vertrauen. Dabei habe ich gedacht, dass es um Vertrauen geht. Gestern hast du mit deiner anderen Stimme gesagt, dass es immer um Vertrauen geht, jetzt kannst du mit dieser neuen Stimme nicht sagen, dass es nicht um Vertrauen geht. Ich verstehe nicht, warum du deine Stimme verstellst oder warum sich deine Stimme so einfach verändern kann. Sprich wieder mit der tieferen Stimme. Verdammt.“

Monika Rinck / Alexander Schellow / David Weber-Krebs Sie werden geliebt. Eine Theaterminiatur.

Sie sind alleine. Sie werden geliebt. Das ist ihr Stuhl. Ja, der ist verschraubt. Sie haben zehn Minuten Zeit. Sie sind nicht alleine. Der meteorologische Sommer beginnt, sobald die Tage kürzer werden. So spät schon wieder die Kirschen. Das hätten Sie sehen können, wenn Sie früher da gewesen wären, sagen wir mal, vor vier Monaten. Die Sache mit dem Flackern spielt sicherlich keine Rolle. Es ist ihnen schon klar, dass Sie ein gutes Drittel ihres Lebens bewusstlos verbringen, nicht wahr. Irgendwas scheint mit dem Licht nicht zu stimmen. Dieses Projektionsspiel für einen Zuschauer des Zeichners und Bühnenbildners Alexander Schellow, des Regisseurs David Weber-Krebs und der Autorin Monika Rinck arbeitet mit Fehlern und Störungen in der Wahrnehmung des Zuschauers. Ausgehend von einem gezeichneten Prolog, der den durch die Projektionsfläche versteckten Ausschnitt des umgebenden Raums im zeitlichen Format früher Filme abbildet, wird mit verschiedensten Verweistechniken gearbeitet. Realer Raum, Filmraum und Textraum untersuchen dabei gegenseitige Abbildungsstrategien und Materialisierungsmöglichkeiten. „Auf der einen Seite steht das Überhandnehmen der Erfahrung, auf der anderen Seite steht das Klappern der Theorie. Das wären jetzt mal so die Staustufen, die Ihnen zur freien Verfügung stehen.“

EMT/John Birke Vier Stimmen

Vier Performer, vier Tische, vier Stimmen, frontal zum Publikum. Elektronische Klangerzeuger, Mikrophone, Papiere, Bücher, Partituren, Kabelstränge, technische Vernetzung, minimale Eingriffe in Raum und Licht. Musiktheater als Behauptung und Versuchsapparat, Klang und Sprache bilden das Material. Die Monologe, Skizzen, Listen und Erzählungen des Autors John Birke werden als Steinbruch verstanden, der abgebaut und aufbereitet wird. Nach den musikalischen Prinzipien von Komposition und Improvisation werden die Texte und Fragmente zu einem Stimmenkonzert verarbeitet. Die Stimme bleibt das einzige Instrument, das allerdings elektronisch verändert, gesampelt, verstümmelt wird. So entsteht eine vielstimmige Inszenierung von Manipulation: Manipulation der Sprecher durch den Text, des Textes durch die Stimme, der Stimme durch die Elektronik. In der Zusammenarbeit unterschiedlicher Generationen (Jahrgang 1962 bis 1981) und unterschiedlicher Kunstsparten verorten sich unterschiedliche Zugriffe auf das Material, das gleichzeitig das Selbstverständnis als Künstler spiegelt. Selbstverortung und –behauptung der Mitwirkenden bilden den formalen Bogen, der thematisch mit nationaler Identität und nationalem Pathos spielt. „...und jetzt dieser Einfall des Japanischen in die Jugendkultur, das ist für mich nicht mehr begreiflich, ich verstehe die Ästhetik nicht und die Kommunikation, als ich ein Kind war, haben Menschen und auch manchmal Tiere in unseren Geschichten eine Rolle gespielt, heute ist das ein Schwamm und ein Brot, und wie soll ein Brot einem Kind Identifikationsfläche bieten, das ist doch unmöglich?“

LIGNA/Bernadette Schiefer Love is in the Air (I don't know what love is)

Pablo und Anna begegnen sich an einem Abend wieder. In der Kunstausstellung sind Bilder zu sehen. Im Theater wird gespielt. Sie aber suchen das Leben. Wie unaufregend aufgeregt das Leben manchmal sein kann, man lässt sich kurz darin fallen. Sie schleichen sich nach St. Andrä und verbringen die Nacht in der Kirche. Eben dorthin laden die österreichische Autorin Bernadette Schiefer und die Hamburger Künstlergruppe LIGNA das Publikum von Writing Acts ein. Sie verlassen mit dem Radio das Theater im Bahnhof. Formate wie das Hörspiel werden ebenso aufgelöst wie die des klassischen Theaterstücks. Love is in the Air (I don’t know what love is) ist ein Schauspiel ohne Schauspieler, ein Hörspiel, das sich in den gleichzeitigen Bewegungen seiner Hörer und Hörerinnen materialisiert. Das Publikum wird gemeinsam in St. Andrä die Geschichte der Liebenden hören und durch diese einmalige Situation kollektiven Radiohörens in seinen Bewegungen eine eigene Geschichte erzählen. Zwischen Hören und Bewegung wird so das Verhältnis von Repräsentation und Performativität befragt. „Und wenn ich eines Tages nicht aufstehen werde, bzw. ich stehe auf, ich mache mir etwas zu essen, ich setze mich hin, ich bleibe sitzen, und wenn ich dann eines Tages, einfach so sitzen geblieben wäre, irgendwo, in meiner Wohnung, einem Ort, einer fremden Stadt, würdest du mich dann anrufen und mir sagen, ich solle aufstehen, steh auf, das Leben spielt da draußen, komm, da gibt es noch Plätze zu entdecken, Orte zu beschreiben, komm - WÜRDEST DU DAS TUN?“

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steirischer herbst 2006:
Writing Acts
Ein kollaboratives Schreib- und Performanceprojekt
06.10., 19.30
07.10., 19.30
Theater im Bahnhof
Künstlerische Leitung: Edith Draxl, Haiko Pfost

Künstler: Claudia Bosse / Robert Woelfl, Monika Rinck / Alexander Schellow / David Weber-Krebs, EMT  (Oliver Augst, Marcel Daemgen, Michaela Ehinger) / John Birke, Ligna  (Ole Frahm, Michael Hüners,Torsten Michaelsen) / Bernadette Schiefer