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Eröffnung 27. September . 19 Uhr Lecture 30. September 2007 . 15 Uhr

Privatsammlung Thomas Koerfer, in deren Mittelpunkt der entblößte Körper steht.

Der nackte Körper ist eines der ältesten und faszinierendsten Motive in der Kunst. Während Künstler früherer Jahrhunderte bei der Darstellung des unbekleideten Körpers den Konventionen des Idealschönen verpflichtet waren, sprengen sie im 20. Jahrhundert mehr und mehr die traditionellen akademischen Posen – vor allem in der Fotografie ist diese Entwicklung rasant. Aus klassischen Akten werden Nackte. Der lebensechte Körper wird in der zeitgenössischen Kunst zur Projektionsfläche der künstlerischen Gedanken: Mit seinen Bedürfnissen und Trieben rückt er unmittelbar offen, bisweilen drastisch ins Bild, wird zur Chiffre für das Menschsein an sich.

Mit einer breiten Auswahl von Werken herausragender, internationaler Künstler widmet sich die Ausstellung der Darstellung des nackten Körpers in der zeitgenössischen Fotografie – unter anderem mit Nobuyoshi Araki, Richard Prince, Nan Goldin, Robert Mapplethorpe, Boris Mikhailov, Thomas Ruff und Cindy Sherman.

Anhand von über 150 Fotografien wird ein schonungsloses Panorama des nackten Körpers aufgezeigt - zart und pornografisch, abstoßend und lustvoll. Der Sammler Thomas Koerfer ist Filmregisseur und -produzent. Ausserdem amtiert er als Präsident des Stiftungsrates des Fotomuseum Winterthur und ist Vorstandsmitglied der Kunsthalle Zürich. 2004 ist ein umfangreiches Buch über seine Sammlung unter dem Titel „Stripped Bare. Der entblößte Körper in der zeitgenössischen Kunst" im Verlag Hatje Cantz erschienen.

Every Body von Marianne Karabelnik

“At least in the life of the mind, ventures should be carried through to the end. “ Norman O. Brown . Love’s Body

Es scheint, als hätte der nachhaltige Blick der Kunst auf den Körper des Menschen seinen eigenen Gegenstand verwischt. “Quel corps?” Von welchem Körper sprechen wir im frühen 21. Jahrhundert, nachdem das vorherige geprägt war von “Krisen” der Darstellung, aber auch von solchen der Wahnehmung? Die Kunst ist immer “zu früh” und ihr Rezipient immer “zu spät”, und hat sich letzterer - durch seine jeweilige kulturelle Entwicklung - in eine Metamorphose des veränderten Blicks eingeklinkt, so ist erstere dieser Standortbestimmnung schon wieder entwachsen. Dieser Paarlauf absolviert die Pflicht nach Regeln, die Kür hingegen bedarf noch Übung.

Dabei hatte alles so schön begonnen. Der nackte Körper, von der Kunst zum “Akt” erhoben, bedeutete in der westlichen Kultur die Kunst schlechthin, und an der aristotelischen Definition von Schönheit als Einheit und Geschlossenheit der Form gab es über ganze Epochen nichts auszusetzen. Jedenfalls nichts bis zur Erschaffung des ersten Menschenpaares durch das Alte Testament. Der Sündenfall von Adam und Eva konkretiesierte sich an der Bewußtwerdung ihres Körpers: “...und die wurden gewahr, dass sie nackt waren...” Die körperliche Realität war das erste Wissen, das in das menschliche Denken Eingang fand, und die Empfindungen von Scham, welche die Ausweisung aus dem Paradies begleitete, war ein erstes Bewußtsein, das sich am Körper zeigte. “Und seither ist es unmöglich, den Körper zu ignorieren” (Jean Starobinski).

Diesem Körper hat die Kunst ihre Bilder gegeben, ihn idealisiert und verehrt (als Akt) und ihn in seiner Versehrtheit nachempfunden (als nackt). Sie hat ihn ausgezogen und enthüllt, angezogen und verhüllt, ihn mit Sinn bedacht und ihn der Bedeutung entleert, ihn dem Schauen dargeboten und ihn für abbildungswürdig erklärt. Aber immer wieder kommt er zurück, als wäre noch nicht seine ganze Natur durch all die Bilder ausgereizt, als gäbe es noch immer bilderlose Körper.

“Quel corps” (“Was für ein Körper!”) ist in unserer Zeit die Losung für den Körper der Alltagswelt und für den instrumentalisierten Körper der Schönheitsindustrie. Der ideale Körper ist abrufbar und verfügbar geworden. Die Inszenierung des schönen Körpers - einstmals idealistisches Gedankengút un d der Elaboration durch die bildende Kunst vorbehalten - fällt in den Zuständigkeitsbereich des Mainstream. Die Kunst hat dieser Entwicklung seit den späten sechziger Jahren Vorschub geleistet. Seit Andy Warhol das Gebrauchsobjekt zu einer ästhetischen Kategorie gemacht hat, ist der Grenzbereich von “high and low” brüchig geworden. Ein solcher Übergriff auf die Wirklichkeit und eine Vereinnahmung des Gewöhnlichen griffen im Bereich der Körperdarstellung allerdings tiefer. Die ungeschönte Entblößung bis auf die Haut im Detailansichten des Körpers und mit agierenden Geschlechtsteilen rührte nicht mehr nur an eine innerästhetische Frage oder an überkommene Sehgewohnheiten. Damals wie heute steht der Körper, der den Sexus im Leibe hat, unter Verdacht: des Tabubruchs, der Überschreitung und der Subversion. Wenn der Titel dieser Ausstellung mit Stripped Bare an Marcel Duchamp angelehnt ist, so deshalb, weil der bekennende Erotiker den Akt mit seinem Hauptwerk The Bride Stripped Bare by Her Bachelors, Even (The Large Glass) von 1915-1923 zu einem erotischen Mythos gemacht hat. Das große Glas de-konstruierte die erotisch-visuelle Tradition der Bildwelt mit einem Paukenschlag. Die entkleidete Braut ist nur noch eine Metapher. Sie ist nur noch ein Bild im Kopf, die Darstellung weicht der Vorstellung. Die Sinne, die den physischen und sichtbaren Körper umwerben, sind lahmgelegt.

Nachdem Duchamp die Erinnerung an alles, was die erotische Malerei schon gemacht hatte, auslöschen wollte, konnte des Terrain neu erobert werden. Nachdem die Frage nach dem Sehen und der Reproduzierbarkeit des Sichtbaren angesprochen war, konnte sich der Blick vorbehaltloser auf den Körper richten. Nachdem diese “Subversion des Ich” durch den Künstler vollzogen war, stand nicht mehr nur das Gesehene auf dem Prüfstand, sondern ebenso die Befindlichkeit dessen, der sieht. Fortan geht es nicht mehr nur um Körper des anderen. Der eigene Körper des Künstlers stellt sich aus oder wird Verführungsobjekt. Der Verletzung des Objekts durch den Blick und der Stereotypisierung des Geschlechtlichen nimmt sich die Gender-Kunst an. Und indem die Fragen nach der Bedeutung der Kunst so radikal und anarchisch gestellt waren, verkürzten sich die Blickwinkel. Direktes Wahrnehmen, uneingeschränktes Sehen und unfiltriertes Darstellen sind die Charakteristika der modernen Kunst. Und ganz im Gegensatz zu Duchamp, der das Thema Körper letzlich zu einem Enigma machte, arbeitet sich die zeitgenössiche Kunst direkt, manipulierend, krud und manchmal bewußt vulgär zum Wesentlichen vor. Erotik und Sexualität, zu Bildern gefaßt, haben zum Nahkampf auf einem unendlichen weiten Feld von möglichen Fehden geführt und eine beachtliche Chronique scandaleuse hinterlassen. Denn Eros ist “ein listiger Gott”, der sich stets verwandelt und sich unterschiedlichste Masken aufsetzt. Er verwaltet das Begehren und die Begierde. Er umgeht die Gesetze zivilisatorischer Eintracht und untergräbt die Regeln von Moral und Anstand. Darin ist er Partner par excellence des Künstlers, der nicht bestätigen, sondern unterwandern will.

Und nochmals die Frage: ”Quel corps?” Welcher Körper also ist der Körper in der Kunst? Der Körper des anderen, der Körper des Künstlers, der bildtechnisch mutierte Körper, der abstoßende Körper, der begehrte Körper, der begehrende Körper oder der verworfene, kranke, sterbende, ja selbst der abwesende Körper? Jeder Körper, denn jedem bleibt ein Rest, der uns an uns selbst erinnert.

Die Ausgangslage dieser Ausstellung ist eine besondere. Sämtliche abgebildeten Werke stammen aus der Sammlung von Thomas Koerfer, und sie sind die Auswahl aus einem weitaus größeren Bestand. Aber von Anfang an stand fest, dass sich die Ausstellung auf einen thematischen Schwerpunkt konzentrieren und sich nicht auf die Sammlung als solche ausrichten soll.

Die unsichtbare Regie des Sammlers - der in seinem wirklichen Leben auch Regisseur ist - umgreift seine Werke mit Zuneigung, und sein Auge führt sie zusammen in einem visuellen Dialog. Chronologie und Techniken werden in dieser Ausstellung bewußt durchmischt. Die Schau-Lust soll vordringlich sein, der subversive Gedanke verbogen. Als hätte man vorher noch nie gesehen, soll hier mit Sehen begonnen werden. Eine solche Unvoreingenommenheit bedeutet ein großes Stück Freiheit und einen hohen Grad an Selbstbestimung. Aus: Stripped Bare - Der entblößte Körper in der zeitgenössishen Kunst und Fotografie

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Stripped Bare
Der entblößte Körper in der zeitgenössischen Fotografie
Einblicke in die Schweizer Privatsammlung Thomas Koerfer

mit Nobuyoshi Araki, Nan Goldin, Boris Mikhailov, Cindy Sherman, Merry Alpern ...