press release only in german

Das in Basel lebende Künstlerpaar Monica Studer (1960) und Christoph van den Berg (1962) ist mit seinem seit dem Jahr 2000 laufenden Internet-Projekt Hotel Vue des Alpes international bekannt geworden. Von diesem gross angelegten, verschiedene künstlerische Gattungen umfassenden Projekt ausgehend, widmet sich die Ausstellung dem Motiv der Landschaft, das Studer/van den Berg seit einigen Jahren fast ausschliesslich verfolgen. Es ist daher möglich, alle wichtigen Arbeiten der letzten sechs Jahre repräsentativ zu zeigen. Zudem bietet sich in dieser bislang grössten Ausstellung ihres Schaffens eine reizvolle Verbindung zur Tradition der Schweizer Alpenmalerei an, die gerade im Kunstmuseum Solothurn mit Werken von Calame, Frölicher und Hodler besonders gut vertreten ist. Neben bekannten Werken sind viele Arbeiten zu sehen, die noch nie in der Schweiz ausgestellt waren oder eigens für Solothurn geschaffen wurden, wie die interaktiven Computer-Arbeiten Wiese (2005) oder Nebel (2005).

Die symmetrisch angelegten Solothurner Ausstellungssäle eignen sich bestens für einen Parcours, der dem Motiv des Gehens und Wanderns entspricht. Er beginnt im grossen Saal zur Linken mit riesigen Inkjet-Drucken, die in ihrer kinematografischen Dimension und illusionistischen Wirkung das Publikum einnehmen. Im nächsten, abgedunkelten Saal wird dieser Eindruck noch verstärkt, steht das Publikum doch vor der Projektion eines rauschenden Wasserfalls, der dank Computeranimation und Tonspur täuschend echt evoziert wird. Wie in allen Werken lassen Studer/van den Berg aber auch hier die „Fallmaschen“ der Illusion deutlich genug zutage treten, so dass veritable Künstlichkeit und ersehnte Natürlichkeit als Pole aufeinander bezogen bleiben.

Dem Verführt-Werden halten Studer/van den Berg denn auch bewusst das eigenständige Gehen, sprich: Klicken entgegen. Die im dritten Saal gezeigte Arbeit Nebel (2005) ist interaktiv angelegt. Per Mausklick und Curser kann der Ausstellungsbesucher den Weg der Projektion, das scheinbare Irren im Nebel, selbst bestimmen. Mit dieser Arbeit wird klar, dass es nicht nur um Fragen des „schönen Scheins“, sondern um einen Prozess der Einbildung geht, der nicht nur traumhafte, sondern auch existentielle Züge annehmen kann. Die konsequente Beschäftigung mit Illusion und Wirklichkeit ist trotz der technisch kühlen Mittel von emotionalen Aspekten durchdrungen, in denen Sehnsucht und Melancholie eine grosse Rolle spielen. Illusion zeigt sich hier nicht mehr als perspektivisches Mittel zur Steigerung der Bild-Verführung, sondern als eine aus einem Mangel heraus entstehende Traumwelt. Studer/van den Bergs Werke mögen als täuschend echte Abbilder empfunden werden – ebenso sehr aber sind sie Ausdruck unserer virtuellen Zeit, in der das Surfen im Netz zum Ersatz für eine eigentliche Welt-Erfahrung wird.

In den beiden kleineren Nordsälen sind Computer-Stationen eingerichtet, auf denen die Besucherinnen und Besucher die Homepage des virtuellen Hotels Vue des Alpes kennenlernen und sich auf „Wanderungen“ in die alpine Umgebung begeben können. Bei der interaktiven Arbeit Wiese (2005) darf das Publikum frei durch eine blühende Bergwiese streifen. Trotz der blossen Monitor-Dimension des Bildes ist die Vorstellung einer direkten Naturbegegnung gross. Die Macht der Bilder zeigt sich gerade dort, wo diese ihre Künstlichkeit offen legen und uns gleichwohl verführen. In beiden Sälen befinden sich zudem Inkjet-Prints, die in ihrer Grösse und Strahlkraft, aber auch in ihrer Anlehnung an klassische Bildgattungen wie das Stillleben an Gemälde erinnern.

Im langen Quersaal sind die Panorama-Installation Wald (2001) sowie die interaktive Arbeit Gleissenhorn Livecam (2002/2003) zu sehen. In beiden Werken geht es um das Rundbild, das in der Kunstgeschichte seit der Romantik gehäuft auftritt. Zwischen wissenschaftlichem Überblick und sublimer Entrückung hat das Panorama verschiedenen Ansprüchen gedient. In Studer/van den Bergs Wald, der in einem Rundbau eine Waldlichtung zeigt, wird die Vorstellung eines panoramatischen Ausblicks jedoch ad absurdum geführt. Das Moment des Absurden fällt auch bei Gleissenhorn Livecam auf, können hier doch per Computer nicht nur Uhrzeiten, sondern auch Jahreszahlen zwischen 0 und 3000 frei gewählt werden. Die Freiheit der Einbildung (und Eingabe) kann zu offensichtlich „falschen“ Bildern führen. Von einer Luftseilbahnstation im Jahre 0 berichtet kein einziges Geschichtsbuch.

Im grossen Schluss-Saal ist ein Teil des künstlichen Berges zu sehen, der im Schweizer Pavillon der diesjährige Weltausstellung im japanischen Aichi zu sehen war. Als Mitglieder der Projektgruppe Panorama 2000 schufen Studer/van den Berg die Topografie und Oberfläche eines alpinen Geländes in natürlichem Massstab. Obwohl in Solothurn nur ein Bruchstück der monumentalen Bühnenarchitektur gezeigt werden kann, wirkt die Anlage monumental. Auch hier wird der direkte Eindruck jedoch relativiert durch die besondere Präsentation, die mit den hochgezogenen, blanken Seitenwänden an ein riesiges Modell erinnert. Abermals entsteht dadurch eine paradoxe Situation: ein Modell im (nie gesehenen) Masstab 1:1.

Zur Ausstellung erscheint in der edition fink, Zürich, ein zweisprachiges Katalogbuch (D/E) mit vier Aufsätzen und einem umfangreichen Bildteil (Preis Fr. 42.-). Bemerkenswert ist der Einband des Buches, bei dem es sich um einen kleinen Teil der Berg-Oberfläche handelt. Dafür wurden insgesamt 361 verschiedene Ausschnitte gwählt, die jeweils dreimal auf das Originalmaterial gedruckt wurden. Dadurch erhält jedes Buch fast einen Unikat-Charakter.

Christoph Vögele

Pressetext