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Exaltierte Schönheit mit mystisch satanischem Zug, der sie vor gar nicht langer Zeit auf den Scheiterhaufen gebracht hätte. (Arztnotiz, 1917).

Weil sie „gewalttätig“ werden könne, wird Jeanne Natalie Wintsch 1922 ins Burghölzli in Zürich eingewiesen. Zu diesem Zeitpunkt hat sie schon zwei Klinikaufenthalte hinter sich und ein bunt besticktes Nachthemd dabei. Drei Monate später wird sie in die Kantonale Pflegeanstalt Rheinau für „Unheilbare“ abgeschoben.

Als sie 1917 Stimmen hört und die Mutter als Teufel ansieht, bringen die Brüder sie in eine Privatklinik, dann in die Lausanner Anstalt Cery und in Landpflege. Offen ins Gesicht sagt man ihr die folgenschwere Diagnose: „Incurable“. 1922 kehrt sie heim, ist zornig gegen die Mutter und die Vormundschaft des Bruders. Erneut wird sie mit „Verfolgungsideen“ und „religiösem Wahn“ eingewiesen. Auch im Burghölzli begehrt sie auf, macht Szenen und ergreift Partei für ihre Mitpatientinnen. Oft wird sie auf eine andere Station versetzt, weil die Ärzte die Solidarität unter den Frauen nicht dulden. Sie rollt den Liebesfaden der Ariadne aus, der Erlösung verspricht.

Jeanne Natalie Wintsch steht im Dienst der Familie, versorgt die altersterroristische Mutter und heiratet nie. Als sie 1917 Stimmen hört und die Mutter als Teufel ansieht, bringen die Brüder sie in eine Privatklinik, dann in die Lausanner Anstalt Cery und in Landpflege. Offen ins Gesicht sagt man ihr die folgenschwere Diagnose: „Incurable“. 1922 kehrt sie heim, ist zornig gegen die Mutter und die Vormundschaft des Bruders. Erneut wird sie mit „Verfolgungsideen“ und „religiösem Wahn“ eingewiesen. Auch im Burghölzli begehrt sie auf, macht Szenen und ergreift Partei für ihre Mitpatientinnen. Oft wird sie auf eine andere Station versetzt, weil die Ärzte die Solidarität unter den Frauen nicht dulden. Sie rollt den Liebesfaden der Ariadne aus, der Erlösung verspricht.

Schon in der Privatklinik beginnt Wintsch zu sticken. Und sie stickt weiter – im Burghölzli und später in Rheinau. „In drei Monaten breitete sie ihr Reich der Zeichen über ein Dutzend leuchtend bunter Tücher. Sie verstickte Buchstaben, Wörter, Satzfragmente, formte, fügte und konstruierte, liess geheime Zeichen fallen und Arabesken tanzen. Jeanne Wintsch, die Wörter aus Mund und Ärmel schüttelte, sie stickend festhielt und zugleich einer Lesbarkeit wieder entzog, wurde in der Anstalt zur Schrift- und Stickkünstlerin“ (Bettina Brand-Claussen).

Mit Vorliebe widmet sie ihre kostbaren Stickereien den Ärzten, von denen ihr Schicksal abhängt. Klinikdirektoren (Dr. Mahaim, Cery; Prof. Bleuler, Burghölzli; Dr. Ris, Rheinau) verdammt sie als Teufel. Oberärzte jedoch beschenkt sie mit feinster Nadelarbeit und hohem symbolischem Transfer, Unterärzte oft nur mit Schreibbewegungen auf Papier. Nahezu ein Dutzend Psychiater umgarnt sie.

„Je me déclare Dieu-Mère, Femme-Créateur“

Wintsch erfindet gestickte Kalligrafien, die sie mit magisch-okkulten Bildzeichen und Symbolen überhöht. Sie verformt Buchstaben in kaum lesbare, kryptische Zeichen, schreibt phonetisch oder in ‚verkehrter‘ Richtung oder legt ähnlich geformte Buchstaben ‚doppeldeutig‘ übereinander. Auch erfindet sie Bilderrätsel. Held fast aller Tücher ist Octave Rochat, dem sie einst flüchtig in der Schulküche begegnet ist. Die ohne Liebe lebende Jeanne Natalie Wintsch gestaltet daraus ihre Sehnsuchtsfigur. Er tritt auf als Jehova, Gott-Vater, Jesus, Père oder Octave und steht ihr, der Schöpferin („J.N.“), Gott-Mutter, Maria, Mère zur Seite.

Die Stickereien verraten neben ihrer Eigenwilligkeit eine Schulung an der überladenen Typografie der Gründerjahre. Sie zeigen Konzentration und Präzision. Und viel Zeit. Mit ihrer sorgfältigen Arbeitsweise entspricht Jeanne Natalie Wintsch der zeitgemässen Norm weiblicher Sittsamkeit, nutzt sie jedoch zum Aufbegehren. Sie fädelt ihre Freiheit aus eigener Kraft ein, indem sie ihre ‚Krisis‘ verstickt und an den Mann zu bringen weiss.

30 Stickereien sind erhalten: Sammlung Rheinau (14), Sammlung Prinzhorn, Heidelberg (13 sowie 4 Vorzeichnungen), und Psychiatrische Universitätsklinik Zürich (3). Jeanne Natalie Wintsch zählt heute zu den bedeutendsten Künstlerinnen der Sammlung Prinzhorn. Viele deutschsprachige psychiatrische Anstalten waren um 1920 dem Aufruf von Hans Prinzhorn gefolgt und hatten Werke nach Heidelberg gesandt. So fanden Stickereien von Jeanne Natalie Wintsch den Weg aus der Schweiz nach Deutschland. Erstmals vereint das Museum im Lagerhaus ihre Werke – wenn auch in zwei Folgen. In der Ausstellung „Sammlung Rheinau“ ab 30. November 2010 sind weitere, teils noch unbekannte Arbeiten von Wintsch zu sehen. Damit wird in der Schweiz erstmals eine Werkübersicht gezeigt.

Die in Warschau lebende Familie Wintsch (aus Illnau) war in Not geraten, als der Vater 1885 an Paralyse in der Zürcher Klinik Burghölzli starb. Auch zwei seiner Söhne starben. Die Mutter zieht mit der kleinen Jeanne und deren zwei jüngeren Brüdern nach Lausanne, wo sie als Weissnäherin die Familie ernährt. Die Tochter hilft seit ihrem vierzehnten Lebensjahr mit Klavierstunden und französischem Hilfsunterricht Schule und Studium ihrer Brüder zu finanzieren.

Schon in der Privatklinik beginnt Wintsch zu sticken. Und sie stickt weiter – im Burghölzli und später in Rheinau. „In drei Monaten breitete sie ihr Reich der Zeichen über ein Dutzend leuchtend bunter Tücher. Sie verstickte Buchstaben, Wörter, Satzfragmente, formte, fügte und konstruierte, liess geheime Zeichen fallen und Arabesken tanzen. Jeanne Wintsch, die Wörter aus Mund und Ärmel schüttelte, sie stickend festhielt und zugleich einer Lesbarkeit wieder entzog, wurde in der Anstalt zur Schrift- und Stickkünstlerin“ (Bettina Brand-Claussen).

Mit Vorliebe widmet sie ihre kostbaren Stickereien den Ärzten, von denen ihr Schicksal abhängt. Klinikdirektoren (Dr. Mahaim, Cery; Prof. Bleuler, Burghölzli; Dr. Ris, Rheinau) verdammt sie als Teufel. Oberärzte jedoch beschenkt sie mit feinster Nadelarbeit und hohem symbolischem Transfer, Unterärzte oft nur mit Schreibbewegungen auf Papier. Nahezu ein Dutzend Psychiater umgarnt sie. Der junge Rheinauer Assistenzarzt Oscar E. Pfister ist beeindruckt und würdigt die künstlerische Ausdruckskraft der Patientin. Mit seiner Unterstützung wird Wintsch 1925 von den „Unheilbaren“ in die Freiheit entlassen. Nach Lausanne zurückgekehrt, arbeitet sie als Klavier- und Sticklehrerin. Sie stirbt 1944, nach kurzem Aufenthalt, in Cery an Tuberkulose. Noch 1968 begründet Pfister ihre „Spontanheilung“ mit der „intensiven bildlichen Betätigung und Auseinandersetzung mit ihren Wahninhalten“.

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Subversive Sorgfalt
Stickereien von Jeanne Natalie Wintsch (1871-1944)